Ich halte dich nicht fest

In dem Moment, in dem ich losgefahren bin, hatte ich schon keine Lust mehr. Vor mir lagen sechs Stunden Autofahrt – drei hin und drei zurück. Es war ein Montagmittag, als ich für eine Besprechung zur Autobahnkirche Baden-Baden aufbrach. Das Treffen klang vielversprechend, das unangefangene Hörbuch (Känguru Offenbarung) machte es erträglich, doch der Regen und das orientierungslose Fahren durch die Pfalz nahmen mir jede Freude. Umso dankbarer war ich, als mich das erste Schild auf die Autobahnkirche hinwies. Da bin ich.

Während der Fahrt und auch schon davor bei der Reiseplanung musste ich immer wieder schmunzeln. Wie verrückt es doch ist: Eine Raststätte als Zielpunkt ins Navi einzugeben. „Was machst du heute so?“ – „Och, ich fahre zu einer Raststätte.“ Ein verrücktes Bild, aber passend zu dem, wie sich die Autobahnkirche Baden-Baden präsentiert: Als Pyramide. Mitte in Baden-Baden. Direkt an der Autobahn. Neben einer kleinen Raststätte, einem Motel und hunderten parkenden LKWs. Eine Pyramide auf einem Sockel.

Drinnen spannt sich ein Zelt auf. Drumherum nur Glasfenster. Jeder Zentimeter ist gesäumt von Symbolen. Nichts hier sagt mir: „So muss es sein.“ Alles sagt mir: „Finde es heraus! Suche! Entdecke!“ Symbole, die auf ein Mehr verweisen – die Richtung vorgeben, nicht die Interpretation liefern. In diesem Raum hätte ich mich verlieren können.

Das Gespräch lief gut und damit auch die Gewissheit, dass ich diesen Ort wohl noch öfter besuchen werde. Zeit für die Rückfahrt.

Es ist schon verrückt eine Raststätte als Reiseziel zu haben, es ist gut zu wissen, dass ich nochmal wiederkomme und es ist beruhigend, dass dieser Ort einfach da ist. Mich nicht festhalten möchte, von mir nichts einfordert. Er ist einfach da und ich werde wiederkommen. Freiwillig.

Aufstehn

Seeed - Aufstehn (official Video)

Die Sonnenstrahlen brechen durch die Rollos deines Zimmers.
Du erkennst sie blinzelnd. Stechen in deinem Kopf.
Den Geschmack der letzten Nacht auf der Zunge.

Dein Wecker beginnt den Tag. Unnachgiebig piepst er. Will, dass du ihn drückst.
Du tust es. Aber nicht so zärtlich. Eher so genervt. Eher so mit voller Kraft.
Mit deinem alten Wecker wäre es gegangen, aber deinem Handywecker ist es egal, ob du draufhaust.
Du drehst dich zur Seite, entsperrst den Wecker. Kein Snooze.

Du solltest endlich aufstehen. Die Rollos hochziehen. Dich bereit machen.
Kopfschmerzen vergessen und in den Tag starten.

Die Welt wartet auf dich.
Es könnte der beste Tag deines Lebens werden.

Nebenbei Freundschaft

Ich und er haben viele Gemeinsamkeiten. Genauso viele Geschwister, fast den gleichen Geburtstag (3 Tage ist er älter) und fast gleich viel Quatsch im Kopf. (Wobei ich an dieser Stelle – auch weil ich weiß, dass er es lesen wird – anmerken möchte, dass ich einen feineren Humor habe.)

Kein Wunder also, dass wir seit der 5. Klasse, also seit dem Moment, an dem sich unsere Wege kreuzten, befreundet sind. Die Datingfrage? „Was? Du hast Worms?“

Ja, es ist eine gute Freundschaft, die schon lange dauert und so einiges an hohen Wellen überlebt hat. Die größte Herausforderung war es, auch nach der Schule noch Kontakt zu halten, denn ab dem Abitur waren wir nicht mehr zusammen in einer Stadt und hatten keinen gemeinsamen Tagesablauf mehr.

Klar, man hätte (auch damals schon) anrufen können. Skype war auch schon erfunden und statt WhatsApp gab’s ICQ und MSN. Es lag nicht an den mangelnden Möglichkeiten regelmäßig Kontakt zu halten, sondern eher an den Themen. Was sollte ich denn sagen, wenn ich anrufe? Auf Smalltalk stehe ich nicht und Freundschaft definiert sich durch Aktionen, nicht durch Worte.

Es ist eben nicht so, dass wir uns nie gesehen haben in der Zeit. Wir hatten stets Kontakt, besuchten uns in den Städten und trafen uns in der gemeinsamen Heimatstadt.

Mittlerweile haben wir regelmäßig Kontakt. Dank (Ich weiß nicht, ob ich sowas bei DreifachGlauben schreiben sollte, aber, da es wahr ist…) Counterstrike. Ein wunderbarer Taktikshooter, der sich vortrefflich mit Freund*innen, da (nomen est omen) taktisch, spielen lässt. So spielen wir einmal die Woche eine Runde. Skypen dabei und erzählen uns in Kürze was gerade ansteht.

Im Vordergrund steht der gemeinsame Spaß und nebenbei die Freundschaft.

Wer bin ich eigentlich, wenn keine*r guckt?

Es rotiert Prinz Pi – Im Jetzt ist das Chaos in Spotify. Und die Gedanken kreisen:

Wer bin ich eigentlich, wenn keine*r guckt?

Wenn ich mit mir alleine bin.
Wenn gerade keine*r mit mir redet.
Wenn ich gerade an keine*n denke.
Wenn keine Benachrichtigung mich an was erinnert.
Wenn ich einfach alleine mit mir bin.
Wenn keine*r guckt.

Wer bin ich eigentlich, wenn keine*r guckt?

Am Anfang war die Maske nur gemalt.
Und dann haben alle mich genauso kennengelernt.
Ohne Makel – die habe ich überschminkt.
Ohne Fehler – die habe ich geheim gehalten.
Ohne Probleme – die interessieren nicht.

Am Anfang war die Maske nur gemalt.
Und die Farben waren die Waffen meiner Wahl.
Doch die Farben bleiben
und die Maske sitzt fest.

Wer bin ich eigentlich, wenn keine*r guckt?

Wenn keine*r was sagt.

Wenn ich nur mich selbst hören kann.

Alex, auf uns!

Es ist Abend geworden, ich schenke mir ein Glas Wein und erfreue mich an dem Berg Wäsche, der darauf wartet von der Leine genommen, zusammengelegt und verstaut zu werden. Ich warte darauf, dass das Telefon schellt – und der ersehnte Anruf bimmelt im Messenger durch: es ist Alex! Vor vielen Jahren während des Studiums lernten wir uns kennen – als zusammengewürfelte Besatzung eines Krankenwagens mit der Mission, einen Schlaganfall-Patienten in der Nähe von Paris abzuholen. Das war 2011. Heute, 2018, fahren wir nicht mehr zusammen Krankenwagen international – aber schaffen es dennoch, obwohl uns viele hundert Kilometer Weg und viele verschiedene Perspektiven und Einstellungen zum Leben trennen, aneinander zu denken, sich zu fragen, was im Leben des anderen abgeht, was ihn bewegt – und bleiben angetrieben von der Sehnsucht, mal wieder ein Bierchen zu trinken und über unsere erste  gemeinsame Krankenwagen-Fahrt zu philosophieren. Dies ist ein phänomenales Gefühl, das eine tiefe Dankbarkeit und besondere Verbundenheit auslöst. Also Alex, nicht die Aussicht auf das Bier! 😉

Die Wäsche blieb dann doch größtenteils liegen, während wir telefonieren. Die Prioritäten verschieben sich. Die Wäsche läuft nicht weg – Alex schon, wenn man nicht aufpasst. Es tut mir gut, sich Zeit zu nehmen. Für Alex, für uns. Und ein Glas Wein, auf uns!

Zu spät

Manchmal ist einfach alle zu spät. Zu spät für ein ordentliches Frühstück. Zu spät, um eine Entscheidung zu überdenken. Zu spät, um überhaupt zu entscheiden, nur noch die Zeit zu handeln.

Manchmal lebt mein Leben sich ohne mich und es ist zu spät noch auf diesen einen Zug mit aufzuspringen. Lieber nebenherlaufen. Hoffen, dass er nochmal anhält.

Manchmal ist eben alles zu spät und ich verpasse Dinge. Fristen. So kommt dieser Eintrag erst Montagmittag statt Sonntag früh. Doch um das zu ändern ist es jetzt auch zu spät.

Zeit für ein Wendemanöver. Zurück zum Agieren, statt stets zu reagieren.

Früchte nach dem Brennen

Ich liebe Whisky. Keine Angst, nicht flaschenweise, nicht im Übermaß und nicht jeden Tag. Aber zu Besonderheiten. Ich mag die Komplexität des Geschmacks. Das Karamell, die Vanille und die sanften Früchte, vor allem, wenn die Birne sich erschmecken lässt. Gerne auch mal so einen richtig Rauchigen. Wie der eine bekannte Whisky von Islay, der so richtig die Algen, das Meersalz und den Torf der Landschaft auf die Zunge bringt.

Mit jedem neuen Whisky, den ich probiere, und jeder Tastingkarte, die ich dazu lese, entschlüsselt sich die Komplexität des Geschmacks. War der erste Whisky noch brennend, undifferenziert und verbarg seine Geschmäcker hinter einer nebulösen Wand von zu vielem, habe ich gelernt genauer hinzuschmecken. Zu differenzieren.

Ich habe gelernt Dinge zu schmecken. Indem ich an allen Dingen gerochen habe, gelesen habe, was andere schmecken, nachgeprüft habe, ob ich das auch schmecken kann und mich immer wieder aufs Neue auf die Suche gemacht habe.

Jetzt besteht Whisky für mich aus tausend Geschmäckern.
Jetzt erst, obwohl schon seit dem ersten Schluck alles da war.

Peng und dann weiter

Ich öffne meine Augen.
„Zu früh., gestern zu lang.“, sind die ersten Gedanken dieses viel zu lauen Wintermorgens.
Zwei Kaffee später stehe ich unter der Dusche und realisiere Zeit, Raum und wie unnütz es eigentlich ist an diesem Morgen zu duschen.
„Bitte wird man da nicht super dreckig“, flehe ich grammatikalisch inkorrekt in den Raum.
Egal, die Zeit ist mal wieder meine eigentliche Baustelle. So hetze ich mich zum Zug, entwickle eine seltsame Vorfreude und den Gedanken:
„Heute Abend weißt Du, wie es ist ein Tier zu töten.“

Diese Frage stellt sich mir jetzt schon länger. Ich konsumiere Fleisch relativ moderat.
Aber zur Wahrheit meines studentischen Geldbeutels gehört es auch, keinen Bullshit zu reden:
Völlig entkoppelt kaufe ich trotzdem oft widerlches Fabrikhühnchen. Schmerz in Plastik.

Anderthalb Stunden später stehe ich – etwas wacher-  auf einer matschigen Wiese und umarme Herzensmenschen.
Zigarette in der Hand haltend begutachte ich das Szenario.
Hinten rechts im Zaun gackern noch 19 von 24 (Surprise: ich bin spät dran) der glücklichsten Puten.
Sie sind das ganze Jahr fröhlich über einen grünen Hugel gehüpft.
Heute hüpfen sie ins Grab.
Sechs haben schon das zeitliche gesegnet.
„Bolzenschuss durchs Hirn“, wird mir erklärt, „danach sind die futsch, alles andere ist Nachzucken.“

Und schon liegt der Kopf einer Pute vor mir auf einem Heuballen.
Schlaufe um die Füße, Bolzenschussgerät senkrecht auf den Kopf.
„Nee, bisschen mehr in die Mitte“, korrigiert mich einer meiner Mittäter*innen.
Und: „Nach dem Abrdrücken am besten schnell zurück, die hauen ganz schön um sich.“

– Peng –

Die geplatzte Patrone riecht nach Feuerwerk und schreit Neuanfang.
Ich ducke mich weg und beobachte einige Schritte enfernt, wie das Leben vergeht.
Nach ein bis zwei Minuten ist alles anders.
Und das ist überraschend ok.
Da ist jetzt nur noch Fleisch.
Den restlichen Tag wird geschlachtet, gebrüht, gerupft, geputzt.

Ich kann also ein Tier töten.
Das wollte ich als Fleischfresser wenigstens wissen.
Wenn ich das kann, dann kann ich ja wohl auch konsequenter genießen.

Mehr Konfetti

Dieses Jahr wünsche ich mir mehr Konfetti. Ja, ich habe auch andere Vorsätze. Ernstere, körperliche, selbstoptimierende, aber genau deswegen brauche ich zusätzlich auch immer eine Handvoll Konfetti, um spontane Anlässe gebührend zu feiern, langweilige Meetings effektvoll zu verlassen und schöne Momente in Papierschnipsel einzupacken.

Ich will mehr Konfetti, um der Spirale des „Aber so hatten wir das doch schon immer!“ zu entkommen.
Mehr Konfetti, um vom fertigen Plan abzulenken.
Mehr Konfetti, um Träume tausendfach in die Luft zu werfen.

Ich will einfach hochwerfen, nachschauen und versuchen ein, zwei aufzufangen. Nur um sie mit weiteren Träumen erneut hochzuwerfen. Nicht zu lange festhalten, einfach mal freilassen. Genießen, wie sie sich auf andere legen und die Reaktionen abwarten.