Danke

Job und Uni, zwei Städte, eine WG zu wenig.
Meine alte WG sagt: Du kannst immer kommen. Gästematratze belegt? Umbuchung in die nächste WG – einfach so.
Danke.

Job und Uni, vier Abschlussprüfungen.
Chef sagt: Alles gut!
Danke.

Scheißtag, Frust und keine Nerven.
Freund sagt: Einatmen. Ausatmen. Yoga machen.
Danke.

Weinfest, Fahrrad kaputt, letzte Bahn weg.
Mein Sturkopf verkündet: Dann lauf ich halt. Die Freundin neben mir sagt: Kommt gar nicht in die Tüte.
Gepäckträger, Wind im Gesicht, Lachen um mich rum.
Danke.

 

Alex, auf uns!

Es ist Abend geworden, ich schenke mir ein Glas Wein und erfreue mich an dem Berg Wäsche, der darauf wartet von der Leine genommen, zusammengelegt und verstaut zu werden. Ich warte darauf, dass das Telefon schellt – und der ersehnte Anruf bimmelt im Messenger durch: es ist Alex! Vor vielen Jahren während des Studiums lernten wir uns kennen – als zusammengewürfelte Besatzung eines Krankenwagens mit der Mission, einen Schlaganfall-Patienten in der Nähe von Paris abzuholen. Das war 2011. Heute, 2018, fahren wir nicht mehr zusammen Krankenwagen international – aber schaffen es dennoch, obwohl uns viele hundert Kilometer Weg und viele verschiedene Perspektiven und Einstellungen zum Leben trennen, aneinander zu denken, sich zu fragen, was im Leben des anderen abgeht, was ihn bewegt – und bleiben angetrieben von der Sehnsucht, mal wieder ein Bierchen zu trinken und über unsere erste  gemeinsame Krankenwagen-Fahrt zu philosophieren. Dies ist ein phänomenales Gefühl, das eine tiefe Dankbarkeit und besondere Verbundenheit auslöst. Also Alex, nicht die Aussicht auf das Bier! 😉

Die Wäsche blieb dann doch größtenteils liegen, während wir telefonieren. Die Prioritäten verschieben sich. Die Wäsche läuft nicht weg – Alex schon, wenn man nicht aufpasst. Es tut mir gut, sich Zeit zu nehmen. Für Alex, für uns. Und ein Glas Wein, auf uns!

Peng und dann weiter

Ich öffne meine Augen.
„Zu früh., gestern zu lang.“, sind die ersten Gedanken dieses viel zu lauen Wintermorgens.
Zwei Kaffee später stehe ich unter der Dusche und realisiere Zeit, Raum und wie unnütz es eigentlich ist an diesem Morgen zu duschen.
„Bitte wird man da nicht super dreckig“, flehe ich grammatikalisch inkorrekt in den Raum.
Egal, die Zeit ist mal wieder meine eigentliche Baustelle. So hetze ich mich zum Zug, entwickle eine seltsame Vorfreude und den Gedanken:
„Heute Abend weißt Du, wie es ist ein Tier zu töten.“

Diese Frage stellt sich mir jetzt schon länger. Ich konsumiere Fleisch relativ moderat.
Aber zur Wahrheit meines studentischen Geldbeutels gehört es auch, keinen Bullshit zu reden:
Völlig entkoppelt kaufe ich trotzdem oft widerlches Fabrikhühnchen. Schmerz in Plastik.

Anderthalb Stunden später stehe ich – etwas wacher-  auf einer matschigen Wiese und umarme Herzensmenschen.
Zigarette in der Hand haltend begutachte ich das Szenario.
Hinten rechts im Zaun gackern noch 19 von 24 (Surprise: ich bin spät dran) der glücklichsten Puten.
Sie sind das ganze Jahr fröhlich über einen grünen Hugel gehüpft.
Heute hüpfen sie ins Grab.
Sechs haben schon das zeitliche gesegnet.
„Bolzenschuss durchs Hirn“, wird mir erklärt, „danach sind die futsch, alles andere ist Nachzucken.“

Und schon liegt der Kopf einer Pute vor mir auf einem Heuballen.
Schlaufe um die Füße, Bolzenschussgerät senkrecht auf den Kopf.
„Nee, bisschen mehr in die Mitte“, korrigiert mich einer meiner Mittäter*innen.
Und: „Nach dem Abrdrücken am besten schnell zurück, die hauen ganz schön um sich.“

– Peng –

Die geplatzte Patrone riecht nach Feuerwerk und schreit Neuanfang.
Ich ducke mich weg und beobachte einige Schritte enfernt, wie das Leben vergeht.
Nach ein bis zwei Minuten ist alles anders.
Und das ist überraschend ok.
Da ist jetzt nur noch Fleisch.
Den restlichen Tag wird geschlachtet, gebrüht, gerupft, geputzt.

Ich kann also ein Tier töten.
Das wollte ich als Fleischfresser wenigstens wissen.
Wenn ich das kann, dann kann ich ja wohl auch konsequenter genießen.

Ein Freund bleibt ein Freund…

Nachtschicht auf dem Rettungswagen, gegen halb zwölf ruft uns der Melder zu einem Notfalleinsatz. Ein gestürzter Mann auf der Straße – die Passant*innen, die den Herrn umsorgend versuchen in der stabilen Seitenlage zu halten, berichten, er sei umgefallen wie ein Brett. – Kein Wunder, denn die zwölf großen Bier, von denen er berichtet, gingen nicht spurlos vorbei.

Es ist ein Klassiker: ein wohnungsloser Mann, nur einige Jahre älter als ich, nach einem Streit mit Verwandten hat er seinen Frust kräftig im Hopfensaft ertränkt. Während unserer Versorgung wiederholt er seine Fragen, und  schildert seine Eindrücke von dieser Welt und seinem Leben. Die Situation – in einem Rettungswagen liegend und nicht mehr wissend, was geschah – kränkt ihn,  ist ihm peinlich. Er weint. Ich hoffe, dass das Wechselbad der Gefühle nicht in Aggression umschlägt, wie es auch durchaus mal vorkommt. Klientelpolitik, bei der ich mich selbst erwische, da sie keinerlei Relevanz für die Versorgung und die Situation hat.

Wir reden ihm gut zu, wiederholen geduldig, fast mantraartig unsere Maßnahmen und unsere nächsten Schritte. „Ein Freund bleibt ein Freund“, sagt er immer wieder. Er glaubt, wir seien uns schon mal begegnet und fantasiert mich in abstruse Situationen seines Lebens.

In der Klinik hockt er in der Notaufnahme auf einer Trage und ruft mich zu sich, er bietet mir den Platz neben sich an, den ich etwas zurückhaltend doch einnehme. Dann stützt er sich mit dem Arm auf meiner Schulter ab und erklärt mir noch einmal „ein Freund bleibt ein Freund“ und bedankt sich per Handschlag für unsere Versorgung. Für die Klinik-Kolleg*innen ein etwas seltsames Bild: der rot-blau leuchtende Uniformträger nebst der Alkoholfahne, die wie zwei Freunde auf einer Mauer sitzen und über das Leben sinnieren. Einerseits mag ich diese Nähe nicht mit diesem fremden Menschen, andererseits sehe ich, dass es ihm gut tut – und mir nicht weh.

Für mich eine kurze Begegnung, eine Mission, die mir wieder einmal zeigt wie die in unserer Gesellschaft, in unseren Vorurteilen, in unserer Welt untergehen, die wenig bis nichts haben. Ihre Wünsche nach einem „normalen“ Leben, nach verlässlichen Freund*innen – wer kennt sie nicht? Ich wünsche, er findet ihn*sie: der*die Freund*in, der*die ein*e Freund*in bleibt.

Vom Wert und vom Nutzen

Ich bin ja von Natur aus ein sehr perfektionistischer und ehrgeiziger Mensch und das in allen Lebenslagen. Das ist toll, denn in der Uni regnet es quasi gute Noten und auch im Ehrenamt, so versichert man es mir ab und an mal, könne man immer auf mich zählen. Alle Dinge, die anstehen, sind bei mir so geplant und strukturiert, dass ich allen Anforderungen gerecht werden kann. Und wenn dann mal wieder ein anstrengender Tag hinter mir liegt, an dem viele Termine eingehalten, viele gute Worte gesprochen und viel auf die Beine gestellt wurde, ja, dann kann ich mich am Abend beruhigt auf der Couch zurücklehnen und mir sagen: Was du heute wieder alles geschafft hast! Du bist wirklich ein wertvoller Mensch!

Heute läuft nur leider alles ganz anders. Ein langer freier Nachmittag liegt vor mir und auch die Aufgaben türmen sich auf meinem Schreibtisch. Nur mein Gehirn, das will heute nicht so recht, meine Motivationsakkus scheinen komplett leer zu sein.

Ich vergeude also den Nachmittag mit Kochen, Aufräumen, auf dem Sofa und trinke einen Kaffee und einen Tee nach dem anderen. Ich schaue in die Luft, denke nach, mache ein kurzes Nickerchen, aber bei all dem, was ich tue, nagt das schlechte Gewissen in mir.

Wie nutzlos du heute bist, sagt es mir.

Was für eine Zeitverschwendung deiner wertvollen Lebens- und auch Arbeitszeit.

Wie gut hättest du heute das ein oder andere lesen oder zusammenfassen können.

Und was machst du daraus? Nichts!

Ein schrillendes Geräusch reißt mich plötzlich aus meiner Gedankenspirale. Noch etwas verträumt ergreife ich den Telefonhörer. Am anderen Ende der Leitung höre ich die Stimme meiner Mutter. Als ich mich nach dem Grund ihres Anrufs erkundige sagt sie: „Och, ich wollte einfach nur mal kurz deine Stimme hören.“

Sofort wird es mir warm ums Herz, denn was meine Mutter mir in diesem Moment eigentlich sagt ist: Du bist wertvoll und das einfach, weil du du bist.

Als wir aufgelegt haben, setze ich mich erneut auf die Couch, lasse mich in die Kissen sinken und denke mir voll Stolz: Heute musstest du einfach mal nur du sein.

Würd‘ ich anders machen?

Das Jahr neigt sich mit der Adventszeit langsam dem Ende zu. 2017 war für mich ein turbulentes und aufregendes Jahr. Vieles hat sich verändert. Vieles hat sich gefestigt und vieles steht noch offen.

Heute vor einem Jahr stand ich noch auf wackligen Beinen und hatte Angst zum Ende zu kommen. Die Mosel hat mir beigebracht, dass Schleifen zu schlagen auch mal gut tut. Ich habe Held*innen verloren und das Chaos regieren lassen.

Einiges ist einfach passiert. Vieles habe ich selbst so entschieden. Nie die riesen Entscheidungen, aber auch nie wirklich einfache. Schritt für Schritt bin ich da angekommen, wo ich jetzt bin.

Würd‘ ich es anders machen?

Sicher einiges, aber wer weiß, wer ich dann jetzt wäre.

Der richtige Platz

Umzug.

Neue Wohnung.

Ausbildung beendet.

Angekommen? Irgendwie nicht…

Die Suche nach dem richtigen Platz geht also weiter?

Gibt es ihn überhaupt? Den richtigen Platz?

Vielleicht kein Ort.

Sondern ein Gefühl.

Geborgenheit. Zufriedenheit. Ankunft.

Mensch-Werden und Den-richtigen-Platz-Finden.

Immer und immer wieder.

Kein ewiges Suchen und Hinterherrennen.

Sondern Finden.

In Momenten.

In Begegnungen.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Die Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Was unantastbar ist, ist… ja, was denn eigentlich?

Unverhandelbar.

Nicht einschränkbar.

Grenzenlos.

Aber warum muss etwas, das unantastbar ist, dann überhaupt geschützt werden?

Navid Kermani nennt den ersten Satz unserer Verfassung ein „Paradox„, und doch „vollkommen„.

Menschenwürde ist eine dieser Vokabeln, die jeder kennt – oft benutzt.

Ein schönes Wort.

Die Menschenwürde…

Aber sind wir uns immer darüber bewusst, was sie beinhaltet?

Woher sie kommt?
Wohin sie führt?
Warum sie da ist?

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Das Sein im anderen

Wenn ich bei Ärzt*innen im Wartezimmer sitze, so wie gestern, widme ich mich grundsätzlich den ausliegenden Klatsch- und Boulevardmedien, da diese mir schließlich erklären, was in ist, was wichtig ist, aber vor allem, wie ich sein soll, was ich tun soll, um glücklich zu sein, und was ich bin. Thema ist immer das eigene Selbst, das Individuum. Was muss ich tun, um mich gut darzustellen? Wie kann ich mich im Berufsleben durchsetzen? Was will ich in meinem jetzigen Lebensabschnitt erreichen? Wie mache ich meine*n Partner*in für mich zu einem*r perfekten Liebhaber*in? Diese Liste an Fragen könnte endlos weitergeführt werden. Sie dreht sich, vom Selbst handelnd, um sich selbst. Mich selbst und mein Ego zum Zentrum machen; das muss es sein, was mich zu einem glücklichen und erfüllten Leben führt, in dem ich mich selbst verwirklichen kann!

Beim Verlassen der Arztpraxis bin ich nachdenklich gestimmt. Sieht so tatsächlich das Geheimrezept des Menschseins aus?

Diese Frage ist immer noch wach in mir, als ich heute morgen unter die Dusche steige. Ich höre im Radio den Sender RPR1 und werde aufmerksam, als deren aktuelle Spendenaktion thematisiert wird, bei der es darum geht, gerade in der Vorweihnachtszeit ein Stück vom eigenen Glück an Menschen in Not abzugeben. In Not ist heute eine Mutter, deren zweijährige Tochter an Krebs erkrankt ist. Der Krebs beeinträchtige nicht nur die Tochter, sondern erschwere auch das Familienleben. Der Wunsch ist groß nach einer Auszeit. Erfüllung findet er durch die Arbeitskollegin der Mutter, die RPR1 auf das schwere Schicksal der Familie aufmerksam gemacht hat.

Die uneigennützige und freundschaftliche Handlung der Kollegin löst tiefe Dankbarkeit, Freude und Aufgelöstheit aus, die sich in diesem Moment in meinem kleinen Bad ausbreitet. War es da nicht? das wahre Menschsein? Das Menschsein, das sich nicht mit sich selbst, mit dem Sein zufrieden gibt? Menschsein begnügt sich nicht mit dem bloßen Sein; es ist Mitsein. Es heißt, nicht für mich, sondern für andere zu sein.

Wo ich andere wahrnehme, da ist, liebe Klatsch- und Bouelevardmagazine, Glück und Erfüllung, da bin ich ganz Mensch und ganz nebenbei auch Gott.

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