Mit Jesus vor die Wand und an den Abgrund

Predigten sind so was wunderbar Herrliches, so etwas schön zu Veräppelndes. Vor allem, wenn der*die Prediger*in einen übertrieben pastoralen Ton draufhat und Bilder verwendet, die gar nicht zueinander passen: Nach der Hochphase im Glauben kommt die Wand, die dann zum Abgrund wird. Ein gefundenes Fressen für (geniale) Leute wie Oliver Kalkhofe:

KALKOFES MATTSCHEIBE REKALKED – VOR DIE WAND UND AM ABGRUND

Es ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen ich mich frage: Was für eine Sprache benutzen wir eigentlich als Christ*innen? Die im Video aus der Predigt zitierten Metaphern sind ja noch harmlos, Kalkhofe treibt das satirisch auf die Spitze. Er trifft aber einen wunden Punkt.

Allzu oft höre ich Predigten, die an meiner Sprachwelt – und damit an meiner Lebenswelt! – vorbeigehen. Viel zu häufig singe ich Lieder mit Worten, die ich sonst niemals in den Mund nehmen würde. Selbst wenn ich Christ*innen miteinander reden höre, denke ich: Was für eine merkwürdige, in manchen Bereichen fast schon lächerliche, Binnen-Sprache hat sich da mitunter ausgebildet?

Und dann kommt mir der eigentliche Gedanke:

Wenn ich das als Christ schon furchtbar finde, …

Sprachen-Wirrwar

Das Pärchen im Bus vor mir unterhält sich aufgeregt in irgendeiner fremden Sprache – hebräisch denke ich. Neben mir flirtet ein anderes Pärchen in Mandarin.

Ich muss unvermittelt lächeln. Ich verstehe kein Wort; aber ich verstehe die Stimmung – angeregte Diskussion vor mir – schüchterne Kontaktaufnahme neben mir. Ich fühle mich nicht unwohl und lausche gespannt den unbekannten Lauten.

Doch Sprachen können auch echte Grenzen sein. Vor einiger Zeit habe ich als Freiwillige in Taizé eine junge Frau aus Guatemala getroffen. Evelin sprach weder Französisch, Englisch oder Deutsch und ich weder Spanisch noch Portugiesisch. Wie also kommunizieren? Manchmal war es zum verzweifeln. Das Gefühl, wenn man* etwas ganz Banales sagen will und keine Worte dafür hat. Tiefgreifende Gespräche waren gar nicht möglich. Vielleicht haben wir so die Chance verpasst, uns wirklich kennenzulernen. Bis heute weiß ich nicht mal, was sie mag und was nicht. Dabei haben wir wochenlang ein Zimmer geteilt. Ohne gemeinsame Sprache war da eine unüberwindbare Grenze zwischen uns – scheinbar…

Denn es gab sie eben doch, die tiefgreifenden Gespräche – aber ohne Worte. Ein Lachen, ein Lächeln, eine Umarmung oder einfach nur nebeneinander Sitzen, gemeinsam Essen und Beten. Das Leben mit Evelin ging trotz aller sprachlicher Hürden.

Wir wussten nichts voneinander und nahmen die andere einfach so an.

Verständnis, ohne sich verständigen zu müssen.

Wie viele Worte stecken in einem Lächeln, einer Umarmung?

Plädoyer für ein altes Wort

Sprachen sind etwas Lebendiges – sie verändern sich, schaffen neue Worte, übernehmen Ausdrücke aus anderen Komunikationsgemeinschaften und andere Begriffe werden aussortiert, wenn sie keiner mehr benutzt. Das ist ganz normal – Menschen und Kulturen verändern sich, ihre Kommunikation auch.

Dennoch finde ich es schade, dass manche Worte uns scheinbar „verloren gehen“. Auch, wenn sie meistens durch ein neues Wort ersetzt werden. Aber jedes Wort hat doch eine eigene Nuance, sonst gäbe es dieses ja auch gar nicht.

Ein Wort, das ich kaum noch zu Ohren bekomme, ist „beherbergen“ – außer in Jugendherberge oder der Weihnachtsgeschichte lese ich es eigentlich nie. Wodurch es ersetzt wird, ist schwer zu fassen. „Gastfreundschaft“ fällt bestimmt in den Bedeutungsbereich. Auch dieses Wort ist wunderschön und erzählt davon, dass Menschen ihre Türen öffnen, um andere einzulassen. Die/der Andere ist dann ein Gast und zwischen uns gibt es eine Freundschaft.

Aber „Beherbergen“ verknüpfe ich mit etwas anderem. In meiner Phantasie ist eine Herberge einfach, man teilt Räume, Tisch und Badezimmer. Es braucht dafür nicht ein extra hergerichtetes „Gästezimmer“, sondern lediglich eine*n, die/der einfach die Tür aufmacht. Damit ein*e andere*r eintreten kann, für eine ungewisse Dauer, aus verschiedensten Gründen. Ob die Beteiligten sich vorher schon kannten, spielt keine Rolle. Ob sie nach der Beherbergung noch in Kontakt bleiben – wer weiß das schon. Wichtig an der Herberge ist nur, dass die Tür aufgemacht und das Leben (von A wie apfelgrüne Bettwäsche, über M wie Musik, S wie Sorge bis zu Z wie Zahnpasta) dahinter geteilt wird.

Für eine gewisse Zeit, die Beherbergte und Beherbegende miteinander ausmachen. Für die Zeit des Sturmes, für die Dauer des Krieges, für einen Sommer, bis der Streit woanders vorbei ist, bis die Renovierung fertig ist.

Das alles steckt für mich in diesem wunderschönen Wort. Zu schön, um es aus unserer Sprache zu verbannen. Zu wichtig, um es zu vergessen.

In Kooperation mit katholisch.de befassen wir uns die Fastenzeit mit den 7 Werken der Barmherzigkeit. Montag, Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag veröffentlichen wir einen Gebetsimpuls auf der katholisch.de Facebookseite. Und jeden Sonntag einen Gedanken auf unserem Blog. Alle Gedanken sind unter Fastenaktion 2016 abrufbar. #barmherzlich