Irgendwann 2017

„2017 wird mein Sterbejahr sein.“

Ich schlucke. Das sitzt. Eine Reaktion auf diesen Satz kostet Zeit.

Also erzählt sie, dass sie einfach nicht mehr könne.
Für ihre 94 sei sie zwar noch einigermaßen fit, doch eben nicht fit genug.
Das sei doch kein Leben mehr.
Und außerdem werde es stetig schlechter. Und anstrengender.

Sie hat es schwer. Womit genau?
Vielleicht mit dem Mensch-Sein so wie es für sie mittlerweile ist.
Vielleicht mit dem Gefühl, nicht mehr wirklich Mensch zu sein.
Oder mit der Angst, durch ihre Pflegebedürftigkeit andere Menschen am Mensch-Sein zu hindern.
Wahrscheinlich spielen all diese Aspekte zusammen und machen ihr das Leben schwer.

Sie sucht nach Erleichterung.
Die hat dann Gott für sie parat, hofft sie.

Wie das wird? Und wie oder was sie dann wird?
Es wird besser, glaubt sie.

Irgendwann 2017.

Haltewunsch

Da ist er also, der Advent, in vollem Gange, fast fertig. Ja, ich weiß – Lebkuchen und Spekulatius warten schon seit Monaten vertrocknend darauf, endlich gekauft zu werden, die Weihnachtsmärkte werden seit zehn Wochen (mindestens!) aufgebaut und überhaupt – man hätte schon merken können, dass er kommt, der Advent.

Hab ich aber nicht. Der November und auch der Dezember waren zu voll dieses Jahr – zu voll mit Veranstaltungen, Terminen und Aufgaben. Und dazu war der November auch kein richtiger, mit seinen Schreckensmeldungen und den dazu so gar nicht passenden Sonnentagen. Eigentlich die stringente Fortführung dieses Jahres. Ich finde, der Dezember mit seinem Advent hätte noch ein paar Tage warten können. Der Welt noch ein bisschen Zeit geben zum Sich-Beruhigen, statt täglich neue Kriegsverbrechen, Anschläge und Menschenhass zu verkünden. Da passt Weihnachten gerade so wenig wie Eis am Stiel.

Und irgendwie passt es halt ja doch wieder. Hilflose Kinder, die versuchen, die Welt wachzurütteln, Junge und Alte, die keine Heimat finden, Unglauben, Wut und Ratlosigkeit angesichts dessen, zu was Menschen fähig sind. Dahinein wird Gott Mensch, vor 2000 Jahren wie heute, und gibt damit das Versprechen, da zu sein.

Mein Kopf kann das alle wunderbar zusammenbringen. Aber entgegen allem Denken wünsche ich mir einfach nur, dass wenigstens an Weihnachten die Welt kurz still steht. Dass Gott nicht nur da ist, sondern einfach mal Frieden macht. Auszeit. Und sich alle, überall, in diesen Frieden verlieben. Utopisch. Ich weiß. Trotzdem.

Wenn die Hoffnung auf diesen Frieden sich nicht zur riesigen Sehnsucht auswächst, was bleibt dann?

Will ich Mensch sein?

Mensch werden? Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen, und gerade in der Adventszeit blicke ich zurück – und frage mich manchmal, ob ich überhaupt Mensch sein will. Natürlich, mir geht es gut. Aber: Milliarden Menschen leben in Armut. Millionen leiden unter Krieg, Terror, Gewalt, Rassismus, Hass. Wie ist es für diese Menschen zu sein?

Tagtäglich habe ich mit Nachrichten zu tun, tagtäglich fühle ich mich hilflos ob der unfassbaren Unmenschlichkeit, zu der Menschen fähig sind. Dann schäme ich mich dafür, Mensch zu sein. Zwei Dinge helfen mit, damit umzugehen. Beide haben mit dem Gott zu tun, an den ich glaube.

Erstens: Im Advent blicke ich auf Jesus, der gekommen ist, um für das Höchste zu werben: die Liebe. In meinem kleinen Rahmen kann ich in meinem Umfeld gegen Unmenschlichkeit vorgehen. Den Mund öffnen gegen Hass und Rassismus. Alles dafür tun, dass jede*r erleben kann, wie wertvoll es ist, Mensch zu sein.

Zweitens: Wo das endet, was ich persönlich tun kann, da muss ich loslassen. Sonst gehe ich zugrunde. Da muss ich mich der Hoffnung hingeben, dass das stimmt, was wir an Weihnachten feiern und was Jesus vorgelebt hat: Gott ist unter uns. Er blickt auf diejenigen, die unter dem Sein Unmenschliches erleiden müssenEs ist gerade die Stärke meines Gottes zu wissen, wie es ist, schwach, hilflos und ausgeliefert zu sein.

Ich hoffe darauf: Mein Gott verzweifelt genauso wie ich, wenn er auf die Welt blickt. Weil er Mensch geworden ist.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Der richtige Platz

Umzug.

Neue Wohnung.

Ausbildung beendet.

Angekommen? Irgendwie nicht…

Die Suche nach dem richtigen Platz geht also weiter?

Gibt es ihn überhaupt? Den richtigen Platz?

Vielleicht kein Ort.

Sondern ein Gefühl.

Geborgenheit. Zufriedenheit. Ankunft.

Mensch-Werden und Den-richtigen-Platz-Finden.

Immer und immer wieder.

Kein ewiges Suchen und Hinterherrennen.

Sondern Finden.

In Momenten.

In Begegnungen.

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Eine Ahnung von dem, was kommt

Zugegeben: Es sind nicht die geschliffensten Worte, die aus dem Mund meiner Tochter kommen. Tiere werden eher durch ihre Laute klassifiziert („brumm, brumm“ für die Biene, „waaaah“ für den Löwen), als mit ihrem Namen angesprochen und der Hunger mit einem einfachen „njam njam“ ausgedrückt. Ja, all das ist noch weit entfernt von rhetorischer Perfektion oder einer verständlichen Umgangssprache. Aber ich verstehe sie.

Es fasziniert mich wie konkret „Mensch werden“ ist, wenn ich dabei zuschaue, wie sie Mensch ist. Jeden Tag etwas Neues dazulernt und etwas mehr von der Welt um sie herum entdeckt.

Aber was mich am allermeisten fasziniert, mich manchmal auch ganz fassungslos zurücklässt, ist der Ausblick auf das, was kommt. In ihrem Gebrabbel höre ich die Reden, die sie mal sprechen wird, und das „Nein, Papa du bist so peinlich.“, was ganz bestimmt kommen wird. Wenn sie Bauklötze aufeinanderstapelt, weiß ich, dass sie auch mal etwas macht, worüber ich staunen werde, was ich selber nicht geschafft habe. All die kleinen Momente, die mir zeigen, dass sie immer mehr wächst und irgendwann auch über mich hinaus.

Und während ich mir das denke, guckt sie mich nur mit großen Augen an und sagt: „Popo.“
Die Freude, dass sich das in Zukunft auch ändern wird.

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Gegenlicht

Genau der richtige Moment!

Nach einem anstrengenden Bürotag ist endlich Feierabend.
Tagsüber ist es an diesem Novembertag auch nicht richtig hell geworden.

Grau in Grau, November halt.

Unbewusst gehe ich heute einen Umweg nach Hause.
Der Himmel über mir ist genauso langweilig und eintönig wie die Pflastersteine unter mir.
Ich biege um die Ecke.

Mir fällt die ungewohnte Beleuchtung der Fassaden auf.
Ein Moment für die Ewigkeit.
Der Himmel spiegelt die Farbe der Erde wider.

Gegenlicht.
Nur einen Augenblick lang.
Wunderschön.

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Tauet Himmel

Tauet Himmel
den Gerechten.
Wolken, regnet ihn herab!

Jetzt.

Nicht irgendwann!
Die Welt braucht ihn,
der Frieden und Gerechtigkeit schafft.

Wolken, öffnet euch,
leert aus,
was ihr habt.

Den, der weiß, wie das mit dem Sterben ist.
Den, der es überwunden hat.

Wo ist er?!

Es reicht!
Die Welt braucht Frieden.

Jetzt.

Deswegen, Himmel,

reiß auf!

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Immer noch Mensch…

Nichtsahnend stand ich an einem Dienstag im Dezember an einer Bushaltestelle in Trier-Heilig Kreuz. Ich wartete auf den Bus, als ich völlig belanglos über die Straße aufblickte, eine Plakatwand entdeckte und mir dann die Worte, die dort standen, ins Herz stachen:

„Immer noch Mensch“

So heißt das aktuelle Album von Tim Bendzko, womit er 2017 auf Tour geht und dafür wirbt die Plakatwand.

Diese drei Worte haben mich in dem Moment voll erwischt.

Bei allem, was in meinem Leben schon so passiert ist, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Trotz all der Menschen, die ich schon verloren habe (und dazu müssen sie nicht gleich gestorben sein), bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Mit allem, was in diesem Jahr los war, und wenn ich so drüber nachdenke, war das eine ganze Menge schöner aber auch nicht so schöner Dinge, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

… Oder vielleicht gerade deswegen?

Tim Bendzko - Keine Maschine (Offizielles Video)

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Die Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Was unantastbar ist, ist… ja, was denn eigentlich?

Unverhandelbar.

Nicht einschränkbar.

Grenzenlos.

Aber warum muss etwas, das unantastbar ist, dann überhaupt geschützt werden?

Navid Kermani nennt den ersten Satz unserer Verfassung ein „Paradox„, und doch „vollkommen„.

Menschenwürde ist eine dieser Vokabeln, die jeder kennt – oft benutzt.

Ein schönes Wort.

Die Menschenwürde…

Aber sind wir uns immer darüber bewusst, was sie beinhaltet?

Woher sie kommt?
Wohin sie führt?
Warum sie da ist?

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