Liebe Langeweile,

Ich werde das bestimmt nicht nochmal schreiben, also pass gut auf und bewahr dir diesen Brief auf. Ich sag’s bestimmt nicht wieder, aber für jetzt gilt: Liebe Langeweile, ich vermisse dich ab und an.

Bild dir nichts drauf ein. Es ist sicher keine Liebe, aber ganz ohne dich ist irgendwie auch so stressig. Gefangen zwischen dem Getriebe von Alltag und Routine ist es doch eher anstrengend. Nicht so wie bei dir. Auf der Couch. Vor Netflix. Vor sehr, sehr viel Netflix. Was waren das noch für Zeiten, als ich FRIENDS in ein paar Monaten durchgeschaut habe.

Liebe Langeweile, du hast mich zu geistigem Leerlauf genötigt. Zeiten, in denen ich nichts wusste mit mir anzufangen, statt wie jetzt (theoretisch) durchgetaktet in den Tag zu starten.

Und wenn der Lärm um mich herum mal aufhört, so höre ich es doch noch eine Weile im Kopf weiterarbeiten.

Liebe Langeweile, wenn du mal wieder Langeweile hast, wäre das voll okay für mich, wenn du mal wieder vorbeikommst.

Durchlüften

So, jetzt hab ich also auch endlich mal Stromberg geguckt. Ja, ich weiß, das ist jetzt keine Sensationsmeldung und ich hinke da dem Rest der Welt wahrscheinlich etwas hinterher. Aber ich mache das gerne, abgelaufene Serien gucken. Dann natürlich am Stück und auf einen Rutsch.

Ich habe also in meinem mehr oder weniger aufgeräumten Wohnzimmer gesessen, alles, was ich zu tun gehabt hätte, schön an den Rand meiner Wahrnehmung geschoben, Herr Stromberg hat seine Mitarbeiter*innen schikaniert und ich hab Angry Birds gespielt. Oder Candy Crush. Oder was auch immer. Vielleicht 2048.

Achso, das sollte ich vielleicht erwähnen. Bei so einem Serienmarathon häng ich immer irgendwann am Handy. Ich hab eben eine kurze Aufmerksamkeitssp (Die mäßig witzige Bemerkung mit „Oh! Ein Eichhörnchen!“ spare ich mir an dieser Stelle. Aber so hieß eine StudiVZ-Gruppe, in der ich war… Good night, sweet StudiVZ, and flights of angels sing thee to thy rest!… Ich fühl mich alt.) anne.

Während ich so mit Vögeln auf Schweine geschossen oder Bonbons zusammengeschubst oder Kacheln aufeinander geschoben hab, musste ich auf einmal doch meine Aufmerksamkeit der Schadensregulierung M bis Z der Capitol Versicherung AG schenken, Fernbedienung suchen, zurückspulen.

Ich halte Bernd Stromberg sicher nicht für eine moralische Richtschnur, ein Vorbild oder sonst was in der Art, aber das, was er da grad gesagt hat und wahrscheinlich nicht mal ernst meint, merk ich mir.

„So’n schlichter Dank, eine einfache Anerkennung. Das ist so, als ob dir die ganze Seele einmal komplett durchgelüftet wird.“

Krass.

Ich hab mir das direkt noch mal angehört. Und nochmal.

Danke ist wie Durchlüften. So würde ich das ja nie formulieren. Aber ich weiß, was gemeint ist. Dieses Durchlüften-Gefühl kenne ich.

Da will man mal eben fünf Staffeln deutsche Comedy gucken und aus Versehen lernt man was über das Leben. Verrückt.

Ach übrigens: Danke, dass du dir die Zeit nimmst, das zu lesen.

(Wer mir das nicht glaubt: Stromberg Staffel3, Folge 4, „Der Protest“, ca. bei 11:28)

Zweifelsfrei

09:29, Hausflur.

„Du solltest an deinen Essgewohnheiten zweifeln“, scheint der Pizzakarton morgens auf dem Weg zur Tonne zu murmeln, bevor er mit einem lautem Knall in ihrem Rachen verschwindet.

Heute bin ich zweifelsfrei.

09:54, Bushaltestelle.

„Du solltest an deinem Zeitmanagement zweifeln“, dröhnt der Bus frech, bevor er mir vor der Nase wegfährt. Ich lächle mir die Sache schön und warte in der Sonne.

Heute bin ich zweifelsfrei.

14:37, Bibliothek.

„Du solltest an deiner Arbeitsmoral zweifeln“, blitzt es von der Chronik der letzten Stunden, bevor ich das Youtubefenster schließe und mich wieder an die Arbeit mache.

Heute bin ich zweifelsfrei.

20:03, Supermarkt.

„Du solltest an deinem Musikgeschmack zweifeln„, scheint es vom Display meinen Handys zu blinken, als die Wiedergabeliste von Maeckes zu Musicals springt.

Heute bin ich zweifelsfrei.

Mensch, wo bist du?

„Mensch, wo bist du?“ Etwas genervt sprach ich in mein Handy.

„Wir wollten uns um fünf hier treffen.“

„Ja, vor der Tür.“

„Ich warte…!“

Etwas genervter steckte ich mein Telefon wieder in die Tasche, schaute auf die Uhr. Mein Atem bildete kleine Wolken vor meinem Gesicht. Ich ließ meinen Blick über die Straße schweifen.

Und dann: Einer dieser Momente, in denen man sich selbst über die Schulter guckt. Die Kamera zoomt raus und man nimmt alles auf einmal wahr:

Die Lichterketten. Das gestreute Licht – rot, gelb, weiß – auf den nassen Pflastersteinen. Künstliche Tannenzweige. Die Leute mit den Tüten. Die anderen mit Bechern in der Hand. Musikfetzen. Drei Männer mit Klarinette, Akkordeon, Gitarre. Eine Frau mit zerfleddertem Pappbecher in den behandschuhten Fingern. Ein weinendes Kind. Ein junger Mann mit Hund und Pappschild vor den Füßen. Zwei ältere Damen, die goldenen Jacken im Karo gesteppt, plaudernd. Eine junge Familie mit Kinderwagen. Eine Gruppe lauter Jugendlicher. Mehr Menschen mit Taschen. Ich.

Ich schaute wieder auf die Uhr. Mein Blick wanderte in den dunklen, von der Stadt orange gefärbten Himmel. Genervt zückte ich mein Smartphone.

Mensch, wo bist du?

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Zerrissen…?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Zerreißt eure Herzen. – Wie meinst du das, wenn ich fragen darf?
Zerreißt eure Herz… Gleich, gleich bin ich soweit. Muss nur noch schnell die Welt retten.
Zerreißt eu… Aber wenn eben zwei Hochzeiten sind, muss ich da doch auch irgendwie tanzen.
Zerreißt… Wenn ich zwischen den Stühlen sitze, dann ruhe ich mich wenigstens nicht aus. Wer rastet, der rostet…
Zerr… Jaja, sofort, noch schnell von A nach… und zwischendurch… zwischen Tür und Angel… also dann nach B.

Zerreißt eure Herzen. – Wie also meinst du das? Ich darf doch fragen, oder?
Zerrissen fühl ich mich. Manchmal. Oft.  – Meistens.
Zerrissen von den Ansprüchen, meinen eigenen zuallererst. – Und dann kommst du: Zerreißt eure Herzen.

Und in all meiner Zerrissenheit, von der ich hoffe, dass du die nicht meinst, frag ich dich: Wie meinst du das?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Feuermomente

Dabei  sein.
Nur nicht trödeln.
Von einer wichtigen Verabredung  zur nächsten.
Immer auf dem Sprung.
„Ich muss aber noch schnell…“

Und dann trotzdem immer irgendwie zu spät kommen.
Nirgens richtig da sein.
Und im Hinterkopf das alte Sprichwort meiner Mutter:
„Du kannst nicht auf jeder Hochzeit tanzen!“
Na und? Ich will es aber versuchen!

So sieht mein Leben in letzter Zeit viel zu oft aus.
Ich hetze von Tür zu Tür und mache all die Sachen die ja soo wichtig sind.
Dann passt mein Leben quasi auf die DinA5 Seite meines Taschenkalenders auf das Display meines Handys.
Und immer öfter liege ich im Bett und stelle mir die Frage:
Heute schon gelebt?

Ich ändere das jetzt.
Leichter gesagt als getan. Aber ich meine es ernst.
Ich lege den Schalter um und versuche mal irgendwo ganz da zu sein.

Angekommen…

Da sein – bei der Tasse Kaffee am Mittag.
Ankommen – beim Abend mit Freund*innen.
Die Zeit vergessen, weil es so viel zu erzählen gibt.
Karten spielen.
Musik hören.
Sich selbst nicht ganz so ernst nehmen.
Der Sonne beim Aufgehen zuschauen.

Die Liste ist lang und könnte noch länger sein.
Es ist meine Liste.
Meine Liste mit Feuermomenten.
Diese Momente will ich brennen lassen, dass es knistert und raucht.

Sie sollen mich wärmen, dass ich auftaue.
Auch wenn mir manchmal der Rauch in die Augen weht.
Auch wenn jede Sekunde der Alltag wieder um die Ecke schaut.

„Du kannst nicht auf jeder Hochzeit tanzen“
Das stimmt.
Deswegen suche ich jetzt den Moment.

Und lasse ihn brennen.

Über Entscheidungen und die Zeit danach

Was hat Aufbruch mit Warten zu tun?

Aufbruch heißt doch eigentlich, endlich aktiv zu werden.  Aufzubrechen aus alten Situationen, um zu neuen Wegen zu gehen.

Ja und manchmal ist das auch so.

Aber es gibt auch andere Aufbrüche. Man* bricht auf und muss erst warten, bis man* es Realität werden lassen kann.

Als ich mich entschieden hatte, meinen bisherigen Beruf aufzugeben und zu studieren, musste ich fast zwei Jahre warten, bis ich das in die Tat umsetzen konnte. Und doch war ich aufgebrochen. Ich war schon auf dem neuen Weg, während ich noch den alten gegangen bin.

Äußere Umstände haben mich dazu gezwungen. Die Zeit im Wartesaal des Lebens war unvermeidlich.

Das ist in ganz vielen Situationen so.

Was tut man* mit der Wartezeit? Es fühlt sich an, wie schon aufgebrochen. Die Entscheidung ist gefällt. Was gibt es jetzt noch zu tun, wenn klar ist, dass es noch zwei Jahre dauert?

Klar, ganz frei war die Zeit nicht, bis das Studium begann. Der Alltag war genau wie vor meiner Entscheidung. Und doch war ich freier. Ich war aufgebrochen.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Ich liege im Bett

Ich liege im Bett.

Ist ja erstmal nichts Ungewöhliches – dafür wurde es ja erfunden.
Zum Liegen und Schlafen… und vielleicht für ein paar andere Dinge.

Ich liege im Bett.

Neben mir ein Pizzakarton – Kochen war heute nicht.
Es ist 16:24. Eine dieser Zeiten, bei denen es sich schwierig gestaltet, als (halbwegs) Erwachener eine Ausrede zu finden nutzlos rumzuliegen.

Ich liege im Bett.

Und hätte eigentlich zu tun.
Mein Schreibtisch
Meine Ablagefläche für Dinge, die ich vor mir her schiebe, quillt über.
Mein Boden müsste auch mal wieder gestaubsaugt werden.
Ein Blick auf mein Handy verrät: drei Anrufe in Abwesenheit.
Und was mache ich?

Ich liege im Bett.

Und staune.
Über mich. Über die Welt.
Über diese Stimme, die leise sagt: „Dann steh halt auf und mach was!“
Über diese andere Stimme, die lauter ist und schreit: „Aber warum denn?“

Ich liege im Bett.

Dann steh ich auf, nehme den Pizzakarton und werfe ihn weg.
Ich gehe an den Schreibtisch.
Die laute Stimme, der innere Schweinehund, bellt noch einmal und ist dann still.

Heute habe ich gewonnen.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Nicht jetzt.

Es klopfte. Laut.
Einmal.
Zweimal.
Ein weiteres Mal.

Ich komme sofort,
rief die Person diesseits.
Den Topf vom Herd,
die Hände an die Schürze.

Unpassend. Jetzt!
Ausgerechnet.

Ein viertes Mal.
Das Klopfen. Laut.

Die Hand an der Klinke
öffnete die Person diesseits
die Tür.
Schnee wehte herein. Kalt.
Niemand da.

Achselzucken. Stirnrunzeln.
Unpassend! Jetzt! Egal.
Ausgerechnet.

Egal?

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