Absolute Wahnsinnsshow

In den letzten Tagen habe ich immer wieder Fettes Brot mit „An Tagen wie diesen“ auf meinen Ohren. Zum einen, weil es ein ziemlich geniales Lied ist, und zum anderen, weil es meine aktuelle Ratlosigkeit im Hinblick auf die Welt gut in Worte fasst.

Das Lied beschreibt den Alltag von drei Personen, die davon berichten wie Schreckensmeldungen (Erst wird die Nachbarskatze überfahren, anschließend wird die globale Hungersnot thematisiert und in der dritten Strophe geht es um einen Anschlag mit sechs Toten.) immer wieder ihren Alltag streifen. Statt jedoch von den Meldungen berührt zu werden, den Alltag zu unterbrechen und eventuell etwas an ihren Gewohnheiten zu ändern, machen sie einfach im Gewohnten weiter.

Es ist eine Lähmung über die Faszination dieser „absoluten Wahnsinnsshow im Fernsehn und im Radio“, die eben nicht den Alltag unterbricht und die Protagonisten in totaler Überforderung  zurücklässt („Die Fragen bohr’n so gnadenlos, an Tagen wie diesen.“). Es ist ein Hin-und- her-gerissen-Sein zwischen Erschrecken, Alltagsbewältigung und lähmender Überforderung.

Und genau so fühle ich mich in den letzten Tagen, wenn ein Dekret nach dem nächsten, eine hohle Phrase nach der anderen sich gegen eine Welt stellen, die ich, auch aus meiner christlichen Überzeugung heraus, für richtig halte. Doch ich habe keine Lust mich davon lähmen zu lassen.

Es ist mir nicht egal, wenn eine Person Leute systematisch diskriminiert, wenn offensichtlich falsche Informationen verbreitet werden und das eigene Egoglück die Rechtfertigung für alles wird. Aber bei allem, was da passiert, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich einfach nur ungläubig dastehe und mir denke: „Was ist das denn bitte für eine absolute Wahnsinnsshow?“

Sonntags um 06:20 Uhr

Zugegeben, ich bin ja schon ein kleiner Liturgienarr. Wenn die Orgel feierlich ertönt, Weihrauch geschwungen und dann vielleicht auch noch ein feierliches Lied gesungen wird, geht mir das schon sehr nah und erfüllt mich.

So trage ich auch schon seit einiger Zeit die Vorstellung mit mir herum, einmal am Hochfest Epiphanie im Kölner Dom zu sein. Das Hochfest der heiligen drei Könige an den Gebeinen der heiligen drei Könige im Dom zu feiern ist sicherlich etwas Besonderes. Wenn dann auch noch „Adeste Fideles“ – „Nun freut euch ihr Christen“ – gesungen werden würde, ja, dann wäre das sicherlich für mich ein tief anrührender und erfüllender Moment, der unter die Haut geht.

„Nun freut euch, ihr Christen, singet Jubellieder
und kommet, o kommet nach Bethlehem.
Christus, der Heiland, stieg zu uns hernieder.
Kommt, lasset uns anbeten; Kommt, lasset uns anbeten;
Kommt, lasset uns anbeten den König, den Herrn.“

Das Epiphaniefest habe ich dieses Jahr allerdings ganz anders gefeiert. Ich befinde mich zurzeit in Kenia und habe hier an einer Messe mit einer Gemeinde tief im Landesinneren teilgenommen.

Jeden Sonntag wird dort der Gottesdienst direkt zum Sonnenaufgang um 06:20 Uhr gefeiert. Warum? Vor sechs Jahren haben die Gemeindemitglieder begonnen eine Kirche zu bauen. Seit fünf Jahren liegt diese Baustelle brach. Es ist schlicht kein Geld da, um die Kirche fertig – oder überhaupt weiterzubauen. Dem Kirchbau fehlt es an allem und eben auch an einem Dach. Sobald die Sonne aufgeht wird es sehr heiß und ohne den Schatten, den ein Dach spenden könnte, ist die Hitze kaum zu ertragen.

Keine Orgel, kein Weihrauch, kein Strom, ja nicht mal ein Dach ist vorhanden;
das trifft nicht gerade die Vorstellung, die ich bisher mit dem Epiphaniefest verbunden habe.

Im Nachhinein muss ich sagen, ich hätte ich mir die Feier dieses Festes kaum schöner vorstellen können. Vielleicht lässt sich diese Liturgie mit dem Adjektiv „ehrlich“ am besten beschreiben. Es fanden sich so viele Gläubige ein: Menschen, die ein sehr einfaches Leben führen, Junge wie Alte, Arme und Kranke, die sich trotz dieser widrigen Umstände jeden Sonntag auf einen teilweise langen Fußweg durch die Dunkelheit machen um am Gottesdienst in ihrer „Kirche“ teilnehmen zu können.

Die Menschen hier sprechen weder Kisuaheli noch Englisch, sondern einen Stammesdialekt, der Kiluyha heißt. So habe ich wirklich kein einziges Wort in der Messe verstanden.

Aber als sich zur Kommunion ein alter Mann mit einem Bein und ziemlich zerrissener Kleidung, gestützt auf einen Stock nach vorne kämpfte, kam mir nochmal „Adeste Fideles“ in den Sinn.

„Nun freut euch, ihr Christen, singet Jubellieder
und kommet, o kommet nach Bethlehem.
Christus, der Heiland, stieg zu uns hernieder.
Kommt, lasset uns anbeten; Kommt, lasset uns anbeten;
Kommt, lasset uns anbeten den König, den Herrn.“

Irgendwie waren wir genau in dieser Messe tatsächlich angekommen. Zusammen waren wir im Stall von Bethlehem.

Dann kamen mir die Tränen.