… zum Frieden


Dritter Advent. Friedenslichtsonntag. Jedes Jahr machen sich einige hundert Pfadfinder*innen aus verschiedenen Ländern auf den Weg, holen eine kleine Flamme ab, die in Bethlehem angezündet wurde, und bringen dieses Lichtlein zu ihren Freund*innen, in ihre Gemeinden und ihre restliche Umwelt. Eine schöne Geste, dieses Friedenslicht.

Mich begeistert dieser Gedanke trotz allem jedes Jahr aufs Neue. Etwas Kleines, das geschützt werden muss, reist um die Welt. Wird weitergegeben. Und vor allem: Es setzt Menschen in Bewegung. Wer kann und will, bewegt sich zu einer Aussendungsfeier, nimmt eine Kerze in die Hand, zündet sie an der der/des Nachbar*in an, passt auf, dass kein Wachs auf Jacke, Schuhe oder Hand der/des Selbigen tropft, wacht mit Adleraugen über die Flamme an der eigenen Kerze und hält schützend eine Hand darum, damit sie nicht ausgeht.

Wer nicht kommen kann, aber gerne ein Friedenslicht daheim hätte, findet meistens (so meine naive Hoffnung) einen Weg. Freund*innen, Bekannte oder die Sternsinger*innen bringen das Licht vorbei. Und dann vollzieht sich die gleiche Bewegung immer wieder: Kerze in die Hand nehmen, anzünden, aufpassen, bewachen, beschützen… Das immer wieder zu beobachten, macht mir irgendwie Hoffnung. Hoffnung, dass wir nicht nur lernen, auf eine kleine Flamme aufzupassen, sondern auch, aufeinander aufzupassen. Auf die Hände unserer Nächsten aufzupassen, dass sie keinen Schaden tragen. Egal, wem sie gehören.

Würd‘ ich springen?

Draußen stürmt es, es ist nass und kalt – doch ich stehe auf einem Sprungbrett, unter mir ein tiefes, menschenleeres Becken, die Sonne scheint. Es ist warm. Ich habe einen klaren Blick auf das Wasser. Ein Schritt, ich falle, fliege, bin frei. Doch hoffentlich verliere ich meine Brille nicht, knalle nicht zu hart auf.

Während sich meine Zehen um die Kante des Sprungbretts krallen, mischt sich alles zusammen. Freude, Neugier, Abenteuerlust, Panik, und die Frage, ob die Leiter runter zu krabbeln, nicht ebenso elegant ist, wenn eh niemand da ist und hinguckt.

Mein Sprungbrett: mein erster Text für dreifach glauben. Spontan hat es sich ergeben in den letzten Tagen durch kollegial-freundschaftliche Gespräche. Seit Jahren habe ich keinen theologischen Text mehr geschrieben. Die Rolle des Theologen ist mir nicht unbedingt fremd – nehme sie doch lieber als Geheimagent war. Das kann ich gut, da bin ich stark.

Würd‘ ich spingen, wenn es so stürmt wie heute? Wenn ich mich da unten nicht auf den Sprung konzentrieren könnte, sondern vor öffentlichem Puplikum springen sollte? – Fragen, die ich mir stelle, und doch feststellen muss: Sie sind Teil des alltäglichen Was-wäre-wenn-und-überhaupt-Spiels, das wir uns antrainiert haben. Sinn und Zweck? Nicht vorhanden, denn es geht um die Fragen: Springst du? Bist du da? Hast du Mut? Vertrauen? Und dies lange nicht nur in den großen Fragen deines Lebens.

Mein erster Text in online. Bin wohl doch gesprungen. Und es tat gut! – Welcher Sprung steht dir heute bevor?

90er-Würde

Samstagabend. Großraumdisko in einer deutschen Kleinstadt. 90er-Party, man wird ja wohl noch feiern dürfen. Es fühlt sich alles ein bisschen nach der guten alten Abizeit an. Zumindest so lange ich mich voll und ganz auf das Bier in meiner Hand und auf meine Freund*innen konzentriere. Irgendwann lasse ich den Blick wandern. Und erschrecke ganz gehörig – so hatte ich das noch nie bewusst erlebt, so noch nie wahrgenommen (manche werden sich zugegebenermaßen berechtigt fragen, in welcher Filterblase ich die letzten Jahre meines Lebens verbracht habe…):

Ein Teil der Gäste steht am Rand, hält sich an einem Drink fest, steckt die Köpfe zusammen, begutachtet und beurteilt das, was von dem anderen Teil auf der Tanzfläche feilgeboten wird: Körperteile, Kleider und Bewegungen. Krass. Wir sind ungefragt im zweiten Teil mitinbegriffen, und ich spüre immer wieder einen Blick im Rücken, auf dem Bauch und anderen Körperteilen. Mit einem Schlag wird mir klar, was mein soziales Umfeld die letzten Jahre wunderbar ausgeblendet hat: es gibt unzählige Menschen, die es für selbstverständlich nehmen, andere Menschen anstarren und wie Gegenstände bewerten zu dürfen.

Mir wird schlecht. Klar weiß ich, dass dieses Phänomen leider nicht in den 50ern ausgestorben ist und dass nicht umsonst in immer mehr Bars und anderen Lokalitäten „Luisa“  Einzug hält. Aber selbst zu spüren, wie beschissen dieses Gefühl ist und wie ich zu was gemacht werde, was ich nicht sein will, ruft zwischen „Everybody“ und „Wonderwall“ in mir die Frage nach der Menschenwürde auf.

Und gleich darauf die nächste erschrockene Frage: Kann ich Verletzungen der Würde erst wirklich Ernst nehmen, begreifen und mich gegen sie einsetzen, wenn ich sie selbst erfahren habe?

Lieber Bischof,

Lieber Nikolaus,

ich weiß nicht, ob ich es dir mal so bewusst gesagt habe, aber eigentlich bist du schon einer meiner liebsten Heiligen. Klar ist das jetzt ein bisschen Mainstream, wer mag dich denn nicht? Da geht es dir ja wie St. Martin, dich findet doch jeder cool.

Zugegeben, es ist auch keine revolutionäre Idee dir einen Brief zu schreiben, sicherlich wirst du gerade von Kindern mit Briefen, Bildern oder anderen Basteleien überschüttet.

Heute, an deinem Gedenktag, will ich es trotzdem einmal tun. Ich bitte dich sehr diesen Brief zu lesen, denn ich möchte dir etwas Wichtiges sagen.

Ich möchte nämlich keine Geschenke oder dir etwas Besonderes von mir erzählen. Trotzdem ist dieser Brief eine Art Wunschzettel.

Als Kind habe ich dich natürlich schon immer toll gefunden, mittlerweile habe ich sogar verstanden, warum ich dich immer noch tolle finde. Ich würde gerne mehr und mehr werden wie du.

Ok, der Bart und die Haare müssten nicht sein. Auch ist es nicht nötig, dass alle Menschen anfangen zu singen, wenn sie mich sehen.

Ich muss auch kein Kornwunder vollbringen können, auch wenn es natürlich schön wäre.

Viel mehr würde ich gerne ein anderes Wunder von dir lernen.
Ich würde gerne allen Menschen immer mit Respekt und Freude begegnen.
Ich würde gerne überall, wo ich auftauche, Freude in die Augen von Menschen zaubern.
Ich würde gerne lernen ein Mensch zu sein, der, wo er auch hinkommt, Not sehen und lindern kann.

Ja, vor allem würde ich gerne ein Mensch sein, der Herzen aus Stein verwandeln kann.
Vielleicht übertreibe ich gerade ein bisschen, und du konntest auch mal ein Griesgram sein.

Aber bestimmt hast du da einen guten Trick auf Lager.
Ich denke, wir sollten bezüglich der guten Vorsätze für das neue Jahr weiter korrespondieren.

Liebe Grüße,
dein Michael

Würd‘ ich anders machen?

Das Jahr neigt sich mit der Adventszeit langsam dem Ende zu. 2017 war für mich ein turbulentes und aufregendes Jahr. Vieles hat sich verändert. Vieles hat sich gefestigt und vieles steht noch offen.

Heute vor einem Jahr stand ich noch auf wackligen Beinen und hatte Angst zum Ende zu kommen. Die Mosel hat mir beigebracht, dass Schleifen zu schlagen auch mal gut tut. Ich habe Held*innen verloren und das Chaos regieren lassen.

Einiges ist einfach passiert. Vieles habe ich selbst so entschieden. Nie die riesen Entscheidungen, aber auch nie wirklich einfache. Schritt für Schritt bin ich da angekommen, wo ich jetzt bin.

Würd‘ ich es anders machen?

Sicher einiges, aber wer weiß, wer ich dann jetzt wäre.

Die Mauern von heute

28 Jahre lang stand auf europäischem Boden eine sehr reale Grenze,  ein Unrecht.
Weithin sichtbar. Real in den Köpfen.
Dieses Unrecht zeriss ein Europa, das zusammenzuwachsen versuchte.
Es verdeutlichte gleichzeitig durch seine Sichtbarkeit und Realität: Bis hier hin und nicht weiter darf gegangen, gedacht, gelebt werden.
Und dann zerbrach das Unrecht mit einem Scheppern und Günther Schabowskis flapsigen Worten: „Das tritt nach meiner Kenntniss… – ist das sofort.

Heute blüht ein Naturschutzgebiet als grünes Band dort, wo Erich Honecker den modernsten Grenzzaun der Welt plante. Und das ehemals zerrissene Europa wankt zwar, aber besonders die sogenannten Jungen – wer auch immer da dazu gehört – leben darin wie selbstverständlich ihre europäischen Freiheitsrechte. Sie, und damit meine ich eben auch mich,  gehen, denken, leben wo und wie sie wollen.

Statt eines trennenden Unrechts scheint vereinende Freiheit Europa zu bestimmen.

Worüber aber keiner spricht:
Diese Freiheiten werden durch Grenzen „gesichert“.
In einer Welt, die zusammenzuwachsen versucht, sind so gut wie alle möglichen Wege nach Europa dicht.

Millionenbeträge werden gezahlt, damit die Jungen und die Armen dieser Welt nicht hier her kommen.
Menschen werden in Lagern gehalten.
Modernste Zäune und Drohnentechnologie wirken wie Erich Honeckers feuchter Traum.
Und werden gerade geplant.
Auch das ist Unrecht. Aber da es mich nicht betrifft, nehme ich es nur sehr schwer wahr.

Welche Worte werden es zum Fall bringen und wer wird sie sprechen?

Beten statt Tun

„Wann sollen wir zum Renovieren kommen? Brauchst Du Hilfe bei den Vorbereitungen? Sollen wir was mitbringen?“ Das waren Fragen, mit der ich eine liebe Freundin unterstützen wollte, die gerade an einem coolen Projekt dran ist (sowas mit Kaffee, Keksen, Gott und Gemeinschaft).

Zurück kam: „Mitbeten ist gerade alles, was ich brauche.“ Ich gebe zu, da hab ich erstmal geschluckt. Und als dann noch jemand schrieb „Ja klar“, und ich erkennen musste, dass ich das war (macht man ja so als gute kirchliche Mitarbeiterin und Theologin), bin ich zusätzlich ganz ordentlich erschrocken. So als „Glauben in der Tat“-Mensch fallen mir die lebenspraktischen Dinge häufig leichter als fromme Worte zu gefalteten Händen. Helfen geht aber grundsätzlich immer und der Impuls hat da wohl gesiegt.

Das Ganze ist es für mich ein riesiger Denkanstoß… Wann hab ich eigentlich mit Gott das letzte Mal gesprochen (abgesehen von so kleinen Stoßgebeten à la „Bitte lass die Ampel grün werden / meinen geflickten Fahrradreifen halten / Das ist ja ein toller Sonnenuntergang – ach guck mal da, ein Vogel…“)?
Nun hab ich also versprochen, für jemanden und deren Herzensangelegenheit zu beten. Irgendwie ist man da ja schon verantwortlich, oder?

Also nicht dafür, dass es klappt, aber dafür, diejenige und ihr Projekt „vor Gott zu bringen“. Jetzt einfach nix machen, geht ja auch nicht – und renovieren ist grade nicht. Also beten. Herausforderung angenommen.

Es wird gut?

Egal was kommt, es wird gut, sowiesoImmer geht ’ne neue Tür auf, irgendwoAuch wenn’s grad nicht so läuft, wie gewohntEgal, es wird gut, sowieso Das Lied von Mark Forster hat mich in diesem Jahr auf der Ferienfreizeit begleitet.Wie gerne würde einfach dem letzten Satz glauben.Nein, es läuft gerade gar nicht wie gewohnt. Vor einer Woche … Weiterlesen …

Zweifelsfrei

09:29, Hausflur.

„Du solltest an deinen Essgewohnheiten zweifeln“, scheint der Pizzakarton morgens auf dem Weg zur Tonne zu murmeln, bevor er mit einem lautem Knall in ihrem Rachen verschwindet.

Heute bin ich zweifelsfrei.

09:54, Bushaltestelle.

„Du solltest an deinem Zeitmanagement zweifeln“, dröhnt der Bus frech, bevor er mir vor der Nase wegfährt. Ich lächle mir die Sache schön und warte in der Sonne.

Heute bin ich zweifelsfrei.

14:37, Bibliothek.

„Du solltest an deiner Arbeitsmoral zweifeln“, blitzt es von der Chronik der letzten Stunden, bevor ich das Youtubefenster schließe und mich wieder an die Arbeit mache.

Heute bin ich zweifelsfrei.

20:03, Supermarkt.

„Du solltest an deinem Musikgeschmack zweifeln„, scheint es vom Display meinen Handys zu blinken, als die Wiedergabeliste von Maeckes zu Musicals springt.

Heute bin ich zweifelsfrei.