Bist du gläubig?

Nach ein paar Getränken an der Theke lautet die Frage meiner neuen Bekanntschaft: „Bist du gläubig?“

Ich muss zugeben, dass mir diese Frage häufig gestellt wird und trotzdem muss ich kurz innehalten. Mein erster Impuls ist „Ja“ zu sagen und zu hoffen, dass wir wieder das Thema wechseln können. Mir ist unklar, worauf mein Gegenüber hinaus möchte und welche Antwort ihn zufrieden stellen könnte.

Ich entscheide mich dazu, ihm ausführlicher zu antworten, zeige auf, wie ich das Leben sehe und welche Werte ich vertrete. Wir diskutieren im Anschluss über Gott und die Welt. Er verabschiedet sich mit den Worten: „So einen wie dich habe ich noch nicht getroffen… Ich würde auch gerne glauben.“

Es ist eine dieser Begegnungen, über die ich noch am nächsten Morgen nachdenke. Mit Sicherheit habe ich ihn nicht von etwas überzeugt und wahrscheinlich ist er sich nicht darüber bewusst, was das Gespräch in mir ausgelöst hat.

Doch diese Frage in einer Bar hat mich auf die Adventszeit eingestimmt.

Herzlich Willkommen, Neuanfang?

In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass die aktuellen Veränderungen mich ganz schön herausfordern: Studienabschluss, ein neuer Job, Umziehen, neue Umgebung, neue Menschen. Das waren schon eine ganze Menge Veränderungen auf einen Schlag.

Und dann habe ich in meiner Playlist dieses Lied von Clueso „Neuanfang“. Da singt er immer wieder „Herzlich Willkommen – Neuanfang!“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich so motiviert und überschwänglich auf etwas Neues, auf Veränderungen zugehe. Versteh mich bitte nicht falsch: Ich habe mich total darauf gefreut nicht mehr zu studieren, endlich den Abschluss in der Tasche zu haben und mein eigenes Geld zu verdienen. Aber trotzdem… Herzlich Willkommen, Neuanfang?

Meine Erfahrung ist, dass ich mir erst mal eine Menge Sorgen und Gedanken mache, wenn Veränderungen ins Haus stehen: „Wie wird das nur werden?“, „Wie soll ich das alles schaffen?“… Und das hat eine hohe Berechtigung. Die Sorgen haben einen Grund und müssen ernstgenommen werden. Und dennoch will ich der Sorge allein nicht die Macht überlassen.

Clueso hat’s für mich erkannt. Er spricht vom Gegenwind. Ich fühle mich so oft gehemmt vor lauter Gegenwind und denke: „Das ist unmöglich! Aber Clueso sagt: „Doch ich lauf los, all die schönen Erinnerungen ich halt sie hoch!“
Gute Idee! Einfach draufloslaufen! Die guten alten Zeiten im Gepäck, um daraus Kraft zu schöpfen und wieder Neues anzugehen. Und aus dem Neugeformten können wiederum schöne Erinnerungen entstehen.

Und dann sagt Clueso auch ganz klar: „Das Vorne (also das Neue) es fühlt sich wacklig an!“ Ist ja logisch, weil wir es noch nicht kennen. Wir wissen noch nicht, wo es uns hinführt. Und trotzdem gelingt es mir (wenn ich mir all meine Sorgen und Gedanken gemacht habe) wie Clueso, ein Herz zu fassen und zu sagen: „Herzlich willkommen – Neuanfang!“

Warum ich das kann? Weil ich nicht allein unterwegs bin. Weil ich Familie und Freund*innen habe, die mit mir gehen und weil da noch einer ist, der mit mir geht und der sagt: „Macht euch keine Sorgen! Denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ (Neh 8,10)

Daran kann ich mich festhalten. Und es fällt mir nicht jeden Tag leicht, mich daran zu erinnern: wenn´s gerade mal nicht so gut läuft oder wenn richtig schlechte Nachrichten kamen, oder wenn mal wieder ein Tag ist an dem ich mir viele Sorgen und Gedanken mache. Aber letzten Endes bleibt es das, was mich ausmacht und woran ich mich festhalten kann; woraus ich immer wieder Kraft für Veränderung und Neuanfang schöpfen kann. Und dann habe ich auch den Mut laut auszusprechen: „Herzlich Willkommen, Neuanfang!“

Leben auf Pause

Es sind die kleinen Sätze einer anderen Person, die mir oft helfen etwas, was selbstverständlich scheint, nochmal besser zu begreifen. In diesem Jahr hatte ich einen Workshop mit Krankenpflegeschüler*innen. Das Thema „Nächstenliebe“. Ein Klassiker jeder Katechese und dort eben auch oft folgenlos.

Von 146 Bildern – all die Bilder, die noch in meinem Downloadordner für verschiedene Aufträge waren – sollten sie sich ein Bild aussuchen, das für sie am besten „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ erklärt.

Kein weiterer Input. Nur die Bilder als Hilfe und die Erzählungen der anderen Schüler*innen als Impuls. Ein Satz ist mir in dieser Arbeit besonders in Erinnerung geblieben. Und wenn ich ihn jemandem erzähle, bekomme ich immer noch Gänsehaut.

„Nächstenliebe bedeutet für mich“, sagte sie, „das eigene Leben für jemand anderen auf Pause zu stellen.“

Bäm. In meinem ganzen Studium ist mir noch keine so präzise Definition von Nächstenliebe begegnet. Weil sie das Bedingungslose aufzeigt, aber die Grenzen, meine Kapazitäten, nicht vernachlässigt.

Auf Pause stellen heißt eben auch, irgendwann wieder Play zu drücken.

Gegen die Dementoren unserer Zeit

Ich muss etwa neun Jahre alt gewesen sein, als ich mit „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ mein erstes „dickes Buch“ gelesen habe und stolz wie Oskar war, ein genauso dickes Buch wie meine Mama gelesen zu haben.

Bis heute ist der dritte Teil der Harry Potter Reihe mein liebster, steckt er doch voller faszinierender Ideen. Eine dieser Ideen ist das Zauberergefängnis Askaban und der dortigen Wächter, der „Dementoren“. Die Dementoren entziehen ihrer Umwelt alle glücklichen Gefühle, Nähe, Zwischenmenschlichkeit und Liebe. Gezeichnet hat die Autorin Joanne K. Rowling das Auftreten der Dementoren immer verbunden mit Kälte. Dort, wo Dementoren auftauchen, wird es dunkel und kalt. So wird Askaban zum kältesten und abscheulichsten Ort der Zaubererwelt.

In den letzten Tagen habe ich mein persönliches Askaban entdeckt. Ein abscheulicher, kalter Ort, ohne Liebe. Er heißt Facebook.

Ich habe mein Leben lang in das DEUTSCHE Steuersystem eingezahlt. Und nicht in Europäisches oder weltliches. Und diese Sozialleistungen sollen den in Not geratenen deutschen dienen und nicht den Kanaken!“

Mit Sehnsucht erwarte ich den Tag an dem Merkel im Grab vergammelt“

„Schneidet dem Dreckstürken erst die Glocken weg– und dann nach Santa Fu, wo die richtigen Brocken inhaftiert sind. Die brauchen hin und wieder Frischfleisch !!“

Kriminelle Schlepper sitzen nicht nur im Ausland – wie man uns immer vorgaukelt. Kriminielle Schlepper sind die, die das Pack hier anschleppen anstatt sie dahin bringen wo sie herkommen und von “ Schutz der Menschenrechte“ reden“

„Den armen armen Flüchtlingen muss geholfen werden! Ich spende eine Heimreise zurück in ihr Taka-Tuka-Land! Wer macht mit?“

All das sind Kommentare zu verschiedenen Artikeln zur aktuellen politischen Debatte.

Es sind Kommentare nicht nur von „irgendwem“, es sind zum Teil Kommentare von Menschen, die ich persönlich kenne.

Mir geht es, wie es den Zauberer*innen bei Harry Potter nach dem Besuch eines Dementors geht. Mir ist schlecht, mir ist kalt, ich habe Tränen in den Augen.

Was mir in meiner Welt bleibt, ist mein Glaube. Mein Glaube, der in jedem Menschen Gottes Ebenbild sieht, der mich frei von der egoistischen Illusion hält, dass mir irgendein Fleck auf dieser Erde gehören würde und nicht geschenkt wäre, mein Glaube, der jenseits von politischen Debatten und Meinungen Richtschnur und Verpflichtung gibt. Und es ist meine Aufgabe, dass aus meinem Glauben ein lautes „Expecto Patronum“ gegen alle Dementoren unserer Zeit wird.

Aber schau nie im Zorn zurück…

Nach dem schrecklichen Attentat am 22.05.17 in Manchester versammeln sich die Menschen zu einer Schweigeminute in der Innenstadt.

Stille.

Doch ganz leise durchbricht ein leiser Gesang die Schockstarre, in der sich viele befinden.
Nach und nach stimmen immer mehr Menschen in das Lied mit ein, singen erst zögerlich und dann immer selbstbewusster die bekannten Textzeilen mit.

Ein Lied, das eigentlich einer verflossenen Liebe gewidmet ist, wird plötzlich zu etwas Größerem.
Es vereint die Menschen in diesem Moment in ihren unzähligen Emotionen.

„But don’t look back in anger
I heard you say -“

„Aber schau nie im Zorn zurück,
hörte ich dich sagen“

Heute an Silvester laufen die Bilder des Jahres 2017 vor meinem inneren Auge ab.

Und dabei lassen mich diese Textzeilen nicht los.
Wenn ich genau überlege, möchte ich eigentlich genau das, was diese kurze Textzeile ausdrückt.

Nicht im Zorn zurückblicken…

Ich ärgere mich oft und viel. Und ich lasse meinem Ärger auch viel zu oft Raum –
Raum, den er überhaupt nicht verdient.
Wenn ich auf 2017 zurückblicke, dann bitteschön auf die Dinge, die mein Herz erfreut haben.
Momente, die mich berührt haben und die mich heute noch mit einem Lächeln erfreuen.

Nicht im Zorn zurückblicken…

Zögernd und dann immer selbstbewusster.

Manchester crowd sing Oasis song after minute's silence

Aufmachen.

Ein beliebtes Motto für jeden Kindergottesdienst in der Adventszeit. Aufstehen, losgehen, Licht sein. Ein Kinderspiel.

In einer Welt, die oft so finster scheint, so friedlos und kalt, so lieblos und resigniert. In dieser Welt soll ich ein Licht sein?

Immer wieder lese ich von der Hektik und dem Stress vor dem Weihnachtsfest und jetzt beschäftigt mich noch zusätzlich der Gedanke, ein Licht sein zu sollen, das die Dunkelheit hell macht.

23. Dezember und ich bin wie viele zu diesem Tag vor Weihnachten gerast, gefühlt geflogen. Jetzt durchatmen. Habe ich alle Geschenke? Was muss noch für das Essen eingekauft werden? Immer noch brennen nur drei Kerzen auf dem Adventskranz, irgendwas ist komisch dieses Jahr.

Ich will mir vornehmen, die letzte Kerze heute Abend ganz bewusst anzuzünden. Das klingt kitschig, aber vielleicht brauche ich das. Vielleicht nehme ich mir auch vor, kurz still zu sein. Das klingt albern, aber vielleicht brauche ich das. Wann habe ich das letzte Mal gebetet?

Ich wäre wirklich gerne ein Bote dieses Lichts. Ich will erkennen, wo mich Gott in dem Mitmenschen um mich herum anblickt. Ich will hinsehen, wo meine Hilfe nötig ist. Ich will die Dunkelheit hell machen.

Ich freue mich auf Weihnachten.

Ich bin nicht würdig?!

Das schwierige an so einem Adventskalender zum Thema „WürdIch“ ist, auch in der letzten Woche noch Einfälle zu haben, die zu diesem Thema bisher noch nicht geschrieben wurde.

Das letzte Wochenende habe ich mich da doch sehr schwergetan, hin und her überlegt, welchen Aspekt von Würde ich noch beleuchten könnte.

Es wurde Freitag, es wurde Samstag, es wurde Sonntag… Ich hatte einfach keine gute Idee.

Meine letzte Hoffnung habe ich in den Besuch des Gottesdienstes am Sonntag gesetzt. Ich habe mir fest vorgenommen mit offenen Augen und Ohren den Gottesdienst zu besuchen um so vielleicht bestärkende und schöne Aspekte zum Thema „Würde“ und „Ich“ zu hören.

Den ersten Aspekt habe ich in der Lesung gehört.

„Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt.“

Das ist doch schon ein Anfang, so kann’s weitergehen!

Nach der Lesung wird der Zwischengesang gesungen, das Magnificat, der Lobgesang Mariens aus dem Lukasevangelium:

„…Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut…“

Niedrige Magd?! Auf den ersten Blick vielleicht nicht so passend zum Thema „Würde“ und „Ich“. Aber mal sehen, was das Evangelium bereithält:

„…ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren…“

Okay, es geht zwar um Jesus, aber selbst für so eine Aufgabe nicht wert genug zu sein?

Puh.

Sensibilisiert für dieses Thema ging es weiter.

„…Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach…“

Also langsam wird es ganz schön dicke!

Am Ende des Gottesdienstes bin ich noch einen Moment am Pfarrbriefstand am Ausgang der Kirche stehen geblieben. Dort war ein kleines Kärtchen, dass wohl zur Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. herausgegeben wurde. Als ich das Kärtchen aufgeschlagen habe, las ich dort, als wäre es eine Zusammenfassung des gesamten Gottesdienstes:

„…Nie ist der Mensch größer, als wenn er kniet…“

Da hatte ich also eine geballte Ladung Inspiration für einen Adventskalendereintrag, wusste nur überhaupt nichts damit anzufangen. In diesem Gottesdienst kam der Gedanke eines niedrigen – ja vielleicht sogar erniedrigten -, demütigen Menschen so direkt und hart auf mich zu, dass alles, was ich wohl theologisch Schlaues darüber sagen könnte, vergessen habe. Mir schwirrte nur die Frage im Kopf: „Wie passt das denn jetzt mit dem Thema des Adventskalenders zusammen? Was kann ich denn da sagen?“

Auf der Heimfahrt hatte ich das Radio an. Ganz zugehört hab ich nicht, aber irgendwo verschwommen im Hintergrund kamen Worte wie: Arabischer Frühling, Jerusalem, Donald Trump, Attentat in Pakistan, Brexit, Raketentest, Antisemitismus…

Da ist es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen gefallen.

Ja, es stimmt!

„…Nie ist der Mensch größer als wenn er kniet…“

Zeit, die gekommene.

Endspurt – Weihnachtswoche, die Vorfreude steigt auf Weihnachten.
Doch was wäre, würde ich morgen sterben.

Wäre dann alles gesagt, alles getan?
Wären da noch „offene Rechnungen“, ausstehende Entschuldigungen?

In der vorweihnachtlichen Romantik, die sich zwischen den Jahresabschlussstress ergießt, bleibt kaum Platz für dieses Thema.
Doch es ist da, ganz nah. Und das Leben stellt mir diese Fragen, als ich die weiße Decke über die verstorbene Patientin ausbreite.

Was wäre, würde Morgen das Ende sein, und nicht Weihnachten die Ankunft, der Beginn.

Ich kann es nicht

Die Adventszeit gilt als Zeit, in der wir auf Weihnachten warten. Wir warten. Und wir bereiten uns auf das große Fest vor, indem wir Geschenke besorgen, Plätzchen backen, die Wohnung schmücken. Und der*die ein*e oder andere bereitet sich, wenn es die Zeit zulässt, auch innerlich vor – auf den Gedanken, dass Gott in diese Welt gekommen ist.

Wie würde (oder werde) ich mich vorbereiten? Kann ich mich eigentlich vorbereiten? Was muss ich denn eigentlich tun, um Gott angemessen zu empfangen? Was wir an Weihnachten feiern, ist doch eigentlich „unfeierbar“, weil es unsere Vorstellungskraft auf allen Ebenen übersteigt. Ich kann Gott doch gar nicht empfangen, weil ich kleiner Mensch damit völlig überfordert bin. Und all die Floskeln, die man in der Adventszeit allerorten hört – letztlich bleiben sie doch nur Floskeln. „Mein Herz öffnen“, „Liebe verbreiten“. Ja, ja, ja.

Fakt ist doch: Ich kann es nicht. Gott empfangen – dazu fühle ich mich nicht in der Lage. Ich bin schon mit dem Gedanken überfordert, dass an Heiligabend die Wohnung so hergerichtet sein muss, dass andere Menschen kommen können.

Und dann, in den ruhigen Stunden der Adventszeit, da höre ich manchmal eine Stimme. Aus dem Off, ganz leise, die mir zuflüstert: „Ich komme nicht. Du brauchst dich nicht vorzubereiten.“

Es ist eine Stimme, die mir sagt: „Ich muss nicht zu dir kommen, denn ich bin schon da.“