Mensch, wo bist du?

„Mensch, wo bist du?“ Etwas genervt sprach ich in mein Handy.

„Wir wollten uns um fünf hier treffen.“

„Ja, vor der Tür.“

„Ich warte…!“

Etwas genervter steckte ich mein Telefon wieder in die Tasche, schaute auf die Uhr. Mein Atem bildete kleine Wolken vor meinem Gesicht. Ich ließ meinen Blick über die Straße schweifen.

Und dann: Einer dieser Momente, in denen man sich selbst über die Schulter guckt. Die Kamera zoomt raus und man nimmt alles auf einmal wahr:

Die Lichterketten. Das gestreute Licht – rot, gelb, weiß – auf den nassen Pflastersteinen. Künstliche Tannenzweige. Die Leute mit den Tüten. Die anderen mit Bechern in der Hand. Musikfetzen. Drei Männer mit Klarinette, Akkordeon, Gitarre. Eine Frau mit zerfleddertem Pappbecher in den behandschuhten Fingern. Ein weinendes Kind. Ein junger Mann mit Hund und Pappschild vor den Füßen. Zwei ältere Damen, die goldenen Jacken im Karo gesteppt, plaudernd. Eine junge Familie mit Kinderwagen. Eine Gruppe lauter Jugendlicher. Mehr Menschen mit Taschen. Ich.

Ich schaute wieder auf die Uhr. Mein Blick wanderte in den dunklen, von der Stadt orange gefärbten Himmel. Genervt zückte ich mein Smartphone.

Mensch, wo bist du?

logo_mensch werden

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Das Beste aus dem Leben machen

Amy Purdy, 37 Jahre alt, aus Las Vegas. Nur wenige werden wohl in Deutschland ihren Namen schon einmal gehört haben. Für mich ist sie aber die Person, die mich in meinem Leben am meisten inspiriert.

Mit 19 Jahren erkrankte Amy Purdy an einer bakteriellen Hirnhautentzündung; die Ärzte gaben ihre eine 2-prozentige Chance zu überleben. Sie überlebte, verlor infolge der Erkrankung aber die Milz, ihre Nieren (ihr Vater spendete eine von seinen), das Gehör im linken Ohr und beide Beine unterhalb des Knies.

Eine junge, sportliche und gesunde Frau ist plötzlich ans Bett gefesselt. Sie wird von allen mit anderen Augen betrachtet, auch von sich selbst. Amy Purdy sieht in ihrem Leben keinen Sinn mehr, verfällt in Depressionen. Die Beinprothesen, mit denen sie wieder laufen lernen soll, schmerzen sehr.

Doch dann kam ein Moment, der für sie alles veränderte: Sie hörte ein Lied im Radio, das sie motivierte, stand auf und begann mit ihrem Vater zu tanzen – sie konnte wieder tanzen. Was sie daraufhin fühlte, beschreibt sie in einem Interview wie folgt: „And I thought: ok, if I can dance then I can walk. And if I can walk I can snowboard. And I can live a great life.“ Die Jahre danach arbeitete sie hart an sich und lernte alles wieder neu. Bei den Paralympischen Winterspielen 2014 in Sotchi gewann Amy Purdy Bronze mit dem Snowboard. Sie konnte wieder snowboarden, sie hatte ihr Ziel erreicht, aber das war noch lange nicht alles…

Gesehen habe ich Amy Purdy im März 2014 bei Dancing with the Stars, dem US-amerikanischen Pendant zu Let’s Dance. Ich war zuerst einmal beeindruckt, weil eine Frau in Beinprothesen all diese Standard- und Lateintänze lernen und performen wollte, für die die Fußarbeit essentiell ist. Als sie anfing zu tanzen, einen Cha-Cha-Cha, war ich wieder beeindruckt: es war großartig. Die Staffel beendete sie mehr als verdient als Zweitplatzierte. Bei den Tanzsendungen, die ich seitdem gesehen habe, mussten sich alle Teilnehmer*innen an ihr messen lassen – nur wenige Menschen können überhaupt ein solches Tanz-Niveau erreichen und sie tut es mit ‚Handicap‘. Doch durch Amy Purdy haben viele Menschen lernen können, dass ein körperliches Handicap nicht unbedingt eines sein muss, wenn man es nicht zulässt.

Amy Purdy ist ein Mensch, der alle Höhen und Tiefen durchgemacht hat. Der mit 19 Jahren das Leben und Mensch sein komplett neu erlernen musste. Das hat sie geschafft. Sie hat ihre Ziele erreicht und noch weitaus mehr. Sie blickt positiv in die Zukunft und zeigt uns, dass man alles erreichen kann, wenn man nur an sich glaubt. Sie inspiriert mich jeden Tag, dass auch ich das kann.

logo_mensch werden

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Meine Freiheit ist mir heilig – oder?

„Schreib, wenn Du zuhause bist.“ – „Mach ich. Du aber auch.“

Verrückt. Vor allem, weil es nicht meine Mama ist, die mich darum bittet, sondern die Freundin, mit der ich gerade was trinken war. Und der Heimweg auch keine dreistündige Autofahrt, sondern 10 Minuten mit dem Fahrrad ist. Hätte mir jemand vor 2 Monaten erklärt, wie bereitwillig ich auf solche Aufforderungen reagiere, hätte ich nur verwundert den Kopf geschüttelt. Meine Freiheit, überall und zu jeder Zeit hinradeln oder –gehen zu können, ohne dass jemand darüber Bescheid wissen muss, war mir heilig. Nachts alleine durch die halbe Stadt, macht mir doch nichts aus. Das mulmige Gefühl im Wald einfach weggepfiffen.

Doch gerade ist es irgendwie sehr bewusst, wie angreifbar und verletzlich wir sind. Wir geben zum ersten Mal zu: Naja, mulmig war mir da ja schon immer. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist nicht höher, aber präsenter geworden. Rational also völliger Bullshit, jetzt anzufangen, solche Nachrichten mit „Bin gut angekommen“ zu schreiben. Irrational auch die Angst in mir. In mir, die nach den Anschlägen von Paris im letzten Jahr gesagt hatte „Jetzt erst recht!“ – Weihnachtsmarkt, Festival, Großstadt. Es nervt mich, wie erleichtert ich bin, wenn mich ein „Gut angekommen“ erreicht und wie pflichtbewusst ich das meine zurückschicke.

Es macht mir so krass bewusst, wie viel mir meine Freiheit wert ist. Und wie wichtig mir meine Freund*innen sind. Und wie vergänglich alles ist. Freiheit, Frieden, Leben. Was hilft? Irgendwie nicht viel.

logo_mensch werden

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Zwei Welten?

Valerie und der Priester gehört seit etwa einem halben Jahr zu meiner regelmäßigen Lektüre. Valerie Schönian folgt bei diesem Blog dem jungen Priester Franziskus – das Motto: Die agnostische Journalistin und der Mann Gottes erklären dem*der anderen (und dem*der Leser*in) ihre Lebenswelt.

Was erstmal ein wenig wie ein neues Format von den Macher*innen von Frauentausch und Co. klingt, liest sich überraschend frisch. Die Protagonist*innen versuchen so klar, ehrlich und authentisch wie möglich Fragen zu stellen und zu beantworten – und das gelingt sogar meist.

Als Leser interessiert mich der Austausch, das Wieso und Wohin der Beiden.
Mich interessieren die kleinen und großen Konflikte: Frauenpriestertum (natürlich), die Frage nach dem Nutzen des Gebets, und vieles mehr.

Schade ist, das ich – der Leser – mich fühle, als müsste ich mich entscheiden. Team Franziskus oder Team Valerie?
Liberal und fresh, oder konservativ und Angst vor Sexszenen im Theater?
Muss ich als Mensch, der an Gott glaubt und deswegen Theologie studiert, immer mit Franzsiskus übereinstimmen?

Oder darf ich katholisch sein und mich trotzdem fragen, ob „Jesus hatte ja nur Männer berufen“ wirklich Grund für den kategorischen Ausschluss des Frauenpriestertums sein kann?
Darf ich katholisch sein und trotzdem für die absolute Gleichberechtigung kämpfen?
Ich möchte Franziskus zustimmen, wenn er vom persönlichen Glück einer Beziehung zu Gott spricht.
Aber ich möchte auch mit Valerie fragen dürfen, ob das klassische Gebet dazu der einzige, der beste Weg ist.

Es gibt keine einfachen Antworten – aber deswegen darf ich doch das Fragen nicht aufgeben, oder?
Wie sieht christliches Leben aus – abseits des Pfarrhauses?

Ich will Austausch.
Ich will wissen, was die Menschen glauben.
Ich will aufhören, so zu tun, als wüsste ich alles.

Es gibt keine einfachen Antworten – aber ich darf doch das Fragen nicht aufgeben, oder?

Ein bequemer, aber quietschender Stuhl

Vorgestern saß ich eine ganze Weile auf einem bequemen aber quietschenden Stuhl in der Sparkasse und wartete auf einen Sachbearbeiter. Ich hatte ein Problem mit meinem Konto – eigentlich nicht der Rede wert, schließlich ist fast kein Geld drauf – aber dennoch musste es gelöst werden. Was auch immer der Sachbearbeiter noch gemacht hat, ich war kurz davor das Basketballspiel, was ich mir ansehen wollte, zu verpassen.

Scheinbar sitzen oft Menschen auf diesen bequemen aber quietschenden Stühlen und warten, denn neben jedem einzelnen Stuhl stand ein Tisch mit Flyern über die Angebote der Sparkasse und deren Partner*innen.

Angeboten wurden KFZ-Versicherungen, private Haftpflichtversicherungen, Rechtsschutzversicherungen, IndexGarant, Baufinanzierungen, Pflegeversicherungen, Unfallversicherungen, Arbeitslosenversicherungen, Vermögensaufbauprogramme, Reiseversicherungen, betriebliche Altersversorgung und so weiter…

Ich habe mir bisher ja noch nie groß Gedanken über Versicherungen gemacht. Bestimmt ist jede davon irgendwie manchmal doch ganz sinnvoll.

Aber, so dachte ich mir, man* kann sich gegen und für alles auf dieser Welt versichern lassen, jedes Risiko dieser Welt für sich ausschließen wollen und hat doch keine Chance gegen die Spontanität und den Lauf des Lebens.

Manchmal läuft alles ganz anders als man* plant, Versicherungen und Absicherungen hin oder her.

Manchmal will man* gerne ein Basketballspiel sehen und sitzt stattdessen nur auf einem bequemen, aber quietschenden Stuhl herum und das alles für ein Konto, auf dem sowieso kein Geld drauf ist.

Zerrissen…?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Zerreißt eure Herzen. – Wie meinst du das, wenn ich fragen darf?
Zerreißt eure Herz… Gleich, gleich bin ich soweit. Muss nur noch schnell die Welt retten.
Zerreißt eu… Aber wenn eben zwei Hochzeiten sind, muss ich da doch auch irgendwie tanzen.
Zerreißt… Wenn ich zwischen den Stühlen sitze, dann ruhe ich mich wenigstens nicht aus. Wer rastet, der rostet…
Zerr… Jaja, sofort, noch schnell von A nach… und zwischendurch… zwischen Tür und Angel… also dann nach B.

Zerreißt eure Herzen. – Wie also meinst du das? Ich darf doch fragen, oder?
Zerrissen fühl ich mich. Manchmal. Oft.  – Meistens.
Zerrissen von den Ansprüchen, meinen eigenen zuallererst. – Und dann kommst du: Zerreißt eure Herzen.

Und in all meiner Zerrissenheit, von der ich hoffe, dass du die nicht meinst, frag ich dich: Wie meinst du das?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Du weißt den Weg für mich?

Taizé – tausende Jugendliche und junge Erwachsene wimmeln wie in einem riesengroßen Ameisenhaufen umher. Hier wird gesungen, da gespielt, woanders einfach nur geredet.

Mittendrin bin ich. Obwohl ich nun schon zum dritten Mal hierher komme, begegne ich Taizé immer noch skeptisch. Vieles geht mir hier auf den Senkel. Regeln, Kontrolle und vieles andere.

Aber da sind auch noch die Gebetszeiten in der Versöhnungskirche in Taizé.

Alle sitzen auf dem Boden, singen gemeinsam die bekannten Gesänge und schweigen gemeinsam fünf Minuten. Irgendwie befreiend.
In den kleinen Momenten, in denen ich die perfekte Sitzposition gefunden habe und mein Rücken sich nicht beschwert, kann ich abschalten.

Ein Gesang aus Taizé geht mir dabei immer wieder durch den Kopf.

Gott, laß meine Gedanken sich sammeln zu dir.
Bei dir ist das Licht, du vergißt mich nicht.
Bei dir ist die Hilfe, bei dir ist die Geduld.
Ich verstehe deine Wege nicht,
aber du weißt den Weg für mich.

Der Text entstand aus einem Gebet von Dietrich Bonhoeffer.

Gefangen und in Todesangst schreibt Dietrich Bonhoeffer diese Zeilen voller Vertrauen in dich.
Eine schöne, vielleicht auch naive und beängstigende Vorstellung. Du weißt den Weg für mich.
Aber diese Zeilen erreichen mich. Erst recht, wenn ich weiß, wer sie verfasst hat.

Im ständigen Wiederholen dieses Liedes werde ich tatsächlich ruhig und bekomme Mut.
Mut zur Hoffnung.
Mut zum Glauben.
Mut auf diesen Weg zu vertrauen.
Mit dir.

httpv://www.youtube.com/watch?v=D7DiR–b9DQ

Immer dieser Frühling

Müde, motivationslos, gestresst davon zu entscheiden, was ich heute anziehen soll… mein Leben ist schon echt schwer. Kapiert das denn niemand? Draußen scheint die Sonne und ich komme gar nicht dazu, das schöne Wetter zu genießen. Muss ja erst noch ausschlafen, damit ich fit bin. Wie so ein Kirschbaum im Garten, der braucht ja auch noch ein paar Tage, bis er soweit ist und anfängt zu blühen.

Die nächste Entscheidung und was ich als nächstes tue, will schließlich gut vorbereitet sein. Mit viel Schlaf, Ruhe und Zeit für mich. Und wenn ich dann genug reflektiert habe, schreibe ich noch schnell was darüber, wie das so war, das Reflektieren und Entscheiden. Und dann kann es ja losgehen – dann werde ich sehen, wie viele Likes der Artikel bekommt, wie oft wir bei twitter geteilt werden – und damit hab ich ja eigentlich auch schon viel zu tun und viel getan. Oder? Dann werde ich ja sehen, ob das Sinn macht, was ich vorhabe – oder ob es eh egal ist. Dann kann ich nochmal neue Perspektiven in meine Entscheidung einfließen lassen und überlegen, wie ich damit weitermache. Und vor allem nicht vergessen, zu überlegen, wie ich mich dabei fühle.

Ganz ehrlich? Ich kann mir selbst bald nicht mehr zuhören. Ja, meine Perspektive zählt und ich kann nur das gut machen, was mir entspricht. Aber: Mein Leben läuft. Jetzt. Nicht nur für mich. Sondern auch für andere. Und wenn ich ehrlich bin, sind meine Probleme gar nicht so tragisch. Also los.

Durst?!

Durst. Wenn ich ehrlich bin, dann ist die drängendste Frage, die ich mit Durst verbinde, die Frage, ob ich jetzt ein Radler oder eine Apfelschorle, vielleicht doch eine Cola oder schlicht und ergreifend Wasser trinken will.

Durst. Dem Wort fehlt in meinem Erleben, so ehrlich muss ich sein, irgendwie der Schrecken.

Und doch kenne ich die Bilder von Landstrichen, die zu Steppen werden, von Tieren und Menschen, die dem Durst zum Opfer fallen, während für mich Wasser immer nur eine Hahndrehung entfernt ist.

Und ich kenne die Diskussionen über die Privatisierung von Quellen und das Grundrecht des Menschen auf Wasser.

Aber die Tatsache, dass wir Menschen Dinge brauchen, die eigentlich so leicht zu haben wären, wenn nicht die Umstände und – schlimmer noch – andere Menschen (und wir selbst) uns daran hindern würden, diese Tatsache kommt mir erschreckend bekannt vor: Frieden, Freiheit, Ehrlichkeit,… die Liste können wir alle fortsetzen. Das ist doch auch ein Durst. Irgendwie.

Aber: Wie gehe ich damit um? Mit dem einen Durst? Mit dem anderen?

Auf jeden Fall will ich mich auf den Weg machen und suchen. Weitersuchen. Nach den Quellen, den Quellen des Lebens, wie man so sagt. Um diese mit den anderen zu teilen. Um den Durst zu stillen. Immer wieder. Denn Durst haben wir dann doch alle.

In Kooperation mit katholisch.de befassen wir uns die Fastenzeit mit den 7 Werken der Barmherzigkeit. Montag, Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag veröffentlichen wir einen Gebetsimpuls auf der katholisch.de Facebookseite. Und jeden Sonntag einen Gedanken auf unserem Blog. Alle Gedanken sind unter Fastenaktion 2016 abrufbar. #barmherzlich