Küchenparty

Jede*r weiß, die besten Partys enden in der Küche. Dann, wenn man sich eigentlich nur noch kurz verabschieden will. Um dann Hals über Kopf in ein Gespräch einzutauchen, aus dem einen erst das Blubbern der Kaffeemaschine reißt. Diese Stunden sind es, die im Gedächtnis bleiben und das Gefühl geben, die letzten Stunden endlich mal wieder herrlich lebendig gewesen zu sein.

Irgendwie so ist es doch auch mit den letzten (und inzwischen allerletzten) Sonnentagen im Herbst. Getanzt und gefeiert wird im Feld, zwischen Weinstöcken und Kastanienbäumen. Dann die Schritte in die Küche, um nur noch schnell das letzte Glas Wein zu trinken. Mit dabei, auch eigentlich nur, um sich fix vom Sommer zu verabschieden: Kürbis, Zucchini, Quitten, Peperoni, Birnen, Trauben, und vieles mehr. Wichtigste Partyaccessoires: Einmachgläser, Topf und Kochlöffel.

Und dann füllen wir noch die letzten Gläser, heben sie auf die wunderbare Sommer-Herbst-Zeit und reden. Oder schweigen. Und bleiben doch irgendwie noch länger als gedacht.

Gedankenkette

Eigentlich hätte an dieser Stelle der letzte Herbstpost für dieses Jahr stehen sollen – ein Artikel zum Thema Lebensfreude, Schöpfungswunder und Sonnenschein

Aber nach den Anschlägen in Paris erschien mir das seltsam, zu tun als wäre nichts passiert. Auch wenn der Alltag einfach so weiter zu gehen scheint. Zu viele Gedanken bilden lange Ketten in meinem Kopf …

Schrecklich – unvorstellbar –Guter Gott, warum? – Was wird aus dieser Welt? – Zu was sind Menschen fähig? – Was habe ich doch ein behütetes Leben hier im heilen Europa, dass mich dieser Freitag so aus dem Konzept bringt? – Was bleibt von Europa, wenn seine Bürger*innen fordern, die Grenzen zu kontrollieren? – Alltag, das heißt in Aleppo genau das, was uns an den Bildern von Freitagnacht so schockiert – Freitagnacht, da saßen wir mit der Familie um einen großen Tisch und ich habe mich über Kleinigkeiten aufgeregt – Unbegreiflich – Und was ist mit all denen, denen in den kommenden Tagen womöglich noch eine größere Welle Hass entgegenschlägt als bisher? – Die aus den Gebieten kommen, wo der Black Friday zwischen zwei anderen Schreckensmeldungen verlesen würde? – Wer wird sich neben sie stellen in der nächsten Zeit? – Wie wird die Zukunft unserer Welt aussehen?

Gedanken, die unbeantwortet bleiben, die im Licht der Kerzen schimmern, die weltweit real und virtuell brennen als Zeichen für Hoffnung und Solidarität. Nicht nur mit Paris, sondern mit der gesamten Welt. Der Welt, deren Erhaltung uns aufgetragen und anvertraut wurde.

Du bist die Mauer?!

Mein Geburtstag ist der 1. April 1990. Die DDR existierte noch.

Der Mauerfall lag etwa fünf Monate zurück.

Zwei Wochen vor meinem Geburtstag finden die ersten und zugleich die letzten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR statt.

Die Wiedervereinigung ist im vollen Gange.

Die DDR oder besser gesagt das, was davon übrig geblieben ist, kenne ich nur von diversen Berlin-Besuchen, Zeitzeugenberichten und aus den Medien.
Ich habe diese Nacht nicht miterlebt. Nicht als Zuschauer am Fernsehen und schon gar nicht vor Ort in Berlin.
Und doch bereitet es mir immer wieder Gänsehaut,
wenn ich die Bilder jener Nacht sehe.
Menschenmassen an den Grenzübergängen in Berlin. Jubel. Tränen.
Endlose Freude über das, was da geschieht.

Der Mauerfall wurde erst durch die Menschenmassen auf den Straßen möglich.
Die Bürger*innen der DDR wollten nicht länger eingesperrt sein, nicht länger gesagt bekommen, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Durch die Mauer war ein ganzes Land sichtbar getrennt.
Familien wurden auseinandergerissen.
In der Nacht des Mauerfalls haben sich Emotionen und Hoffnungen auf den Straßen gesammelt und haben mit dafür gesorgt, dass die Mauer eingerissen wurde.

Doch wie sieht es heute aus? Die Mauer als Bauwerk ist, bis auf kleine Restteile, verschwunden.

Deutschland ist seit 25 Jahren wiedervereinigt.

Bei einem Berlin-Besuch im Sommer 2013 besuchte ich die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße und stolperte regelrecht über einen Stein, der mich heute noch zum Nachdenken bringt. Ich habe keine Ahnung, ob er zur Ausstellung gehört, oder ob ihn jemand einfach dahin gelegt hat.

Seine Aufschrift: DU BIST DIE MAUER

Was hat das zu bedeuten?

Ich entdecke bei mir immer wieder Mauern in meinem Kopf, bei denen es auch an der Zeit wäre sie einzureißen.
Mein oftmals enger Blick, meine Zweifel, Vorurteile, schlechte Angewohnheiten…

Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Als ich die Inschrift auf dem Stein das erste Mal gelesen habe, kam ich mir irgendwie überführt und erwischt vor.
Was hat das zu bedeuten?

Mauern einreißen. Das geht nur dann, wenn ich bei mir anfange und meine Mauern einreiße. Mauern aus Angst. Mauern aus Gewohnheit.

Jede*r hat Mauern in ihrem*seinem Leben.

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Vor 26 Jahren.
Ein Anfang. Doch es darf niemals aufhören damit.
Mauern müssen immer wieder eingerissen werden.
Mauern aus Gewalt, Vorurteilen und Pessimismus.
Mauern aus Desinteresse und Wegschauen.
Mauern im Alltag.

Du bist die Mauer. Du bestimmst, ob sie fällt.

Verliebt in die verrückte Welt

Noch ein paar Minuten zwischen zwei Terminen. Zu wenig, um verplant werden zu können, und zu viel, um herumzustehen. Also einfach losgehen und einmal im Kreis herumlaufen.

Seltsam, obwohl ich ständig an dieser Wand vorbeigehe, ist mir bisher noch nie das Graffiti aufgefallen. Ein Meisterwerk? Schwarze Schrift auf orangenem Grund. „Verliebt in die verrückte Welt. Hermann Hesse. 1877-1962.“

Aus eigenem Antrieb hätte ich wahrscheinlich nie nach dem Zitat gesucht. Die schönsten Dinge findet man* halt meistens, wenn man* nicht danach sucht. Oder finden sie uns?

Wer war das denn? Was hat sich der*die Sprayer*in eigentlich dabei gedacht? Plötzlich legt sich ein leises Lächeln über mein Gesicht. Genial, der Spruch fasziniert mich. „Verliebt in die verrückte Welt.“ Hoffentlich bin ich das hin und wieder auch mal wieder.

P.S.: Seit Wochen war das Foto in meinem Handy gespeichert. Heute hat es mich zufällig wieder gefunden. Jetzt will ich es wissen. Woher kommt das Zitat?

Notiz an mich: Hermann Hesse. „Gestutzte Eiche“. Juni 1919. Danke für das TROTZDEM!

Wenn ein Lied alle Pläne umwirft

Christopher Tin – Baba Yetu (Official Music Video) Dieses Video auf YouTube ansehen Eigentlich sollte heute eine neue Projektvorstellung kommen, aber dann fand ich dieses wunderschöne Lied wieder auf meiner Festplatte. Baba Yetu von Christopher Tin wurde ursprünglich für das Computerspiel Civilization IV geschrieben. Baba Yetu ist Swahili und heißt „Vater unser“. Es ist für mich die … Weiterlesen …

Die Wunder dieser Zeit?

Wenn Jesus das kann, dann klappt das auch bei mir.

So simpel war mein Gedankengang, als ich mit ca. fünf Jahren versucht habe, aus Wasser Wein zu machen. Hmpf. Ich war schon etwas enttäuscht, dass sich das Wasser in meinem Zahnputzbecher nicht verwandelt hat.
Wenn ich heute daran denke, muss ich lachen. Wie einfach doch mein Glaube damals war. Wasser in Wein zu wandeln. Wunder. Jesus. Alles war so real. So denkbar.

Und heute? 25 Jahre später? Wie ist das mit den Wundern? Gibt es sie nicht mehr? Glaube ich nicht mehr daran?

So einfach fällt mir die Antwort nicht. Das Nein zu Wundern will mir nicht über die Lippen.
Müsste ich dann nicht auch alles andere in Frage stellen? Jesus und so.

Ich wär gern weniger wie ich

Ich mag es, wenn Lieder meine Gedanken anstoßen und mich ins Grübeln bringen.

Während des Hörens fällt mir auf, wie oft ich dann doch ein bisschen mehr so wie du sein möchte.

Neidisch schaue ich auf das, was du hast und was ich nicht habe. Mal wieder…

Ich stelle mir selbst eine Aufgabe: Heute bin ich mal zufrieden mit mir.

Geht das? Ein Versuch ist es wert.

Zufriedenheit mit allem, was mich ausmacht und was ich habe.

Ich finde keine Lösung, aber ich versuche zumindest mir einen Satz zu Herzen zu nehmen, den ich vor einigen Jahren gehört habe, nachdem ich wieder einmal versucht habe du zu sein.

Wer vergleicht, verliert.

Es lohnt sich immer wieder auf ein Neues auszuprobieren,
ich zu sein und nicht du.

Kraftklub - Wie Ich (official video)

Der Fremde ist fremd.

Ja, wer ist das denn?

Der Fremde.
„Ein Schmarotzer! Der nimmt uns die Arbeit weg! Schützt unsere Kinder!“
Aha. Wie treffend.

Der Fremde, wer ist das?
„Asylantenpack! Weg damit! In Auschwitz ist noch Platz!“
Aha. Wie widerlich.

Der Fremde, wer ist das?
Ein Flüchtling – der flüchtet also. Vor was?
Vor Krieg. Vor Tod. Vor Hunger.
Der will weg.
Weg von Menschen, die Kinder töten.
Weg von Schutthaufen, die mal Städte waren.
Weg von zu Hause – weil er weiterleben will.

Und jetzt ist er hier, hat sich durchgekämpft.
Er hat (irgendwie) überlebt, steht hier, ist angekommen –

… und ist fremd.

Na super.
Da ist er gerannt, geschwommen, gehetzt.
Er hat gehungert, hat tagelang nichts getrunken.
Hat Schlepper*innen überlebt und Schiffe, die diesen Namen nicht verdient haben.

Und steht hier und ist fremd.
Und wir rümpfen die Nase.

Ich gehöre zu der Generation, die Dreiviertel ihres moralischen Kompasses aus Disneyfilmen generiert hat.
Deswegen darf ich hier auch ohne Probleme Pocahontas zitieren:
Für dich sind echte Menschen nur die Menschen,
die so denken und so aussehn wie du.
Doch folge nur den Spuren eines Fremden,
dann verstehst du, und du lernst noch was dazu. (…)
Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt!

derfremde

Der Fremde, wer ist das?

Schmarotzer.

Flüchtling.

Sozialfall.

Armer.

Pack.

Mensch.

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr…

Es gibt immer wieder Theaterstücke, die mir etwas über mich und mein Leben sagen. Eines dieser Stücke ist das Musical „next to normal“. Geschildert wird das Leben einer fast normalen US-amerikanischen Kleinstadtfamilie, die mit den Depressionen und Wahnvorstellungen der Mutter zu kämpfen hat. Während sich das scheinbar perfekt eingerichtete Familienidyll zersetzt, fasst besagte Mutter nach einem Selbstmordversuch den Entschluss, ihren Mann zu verlassen, der sich all die Jahre um sie gekümmert hat.

Als also am Ende des Musicals alles in Trümmern liegt, was 2,5 Stunden vorher noch als eingespieltes und intaktes Familienporträt erschien, sehen wir einen am Boden zerstörten Familienvater vor uns. Seine Tochter kommt, um ihn aufzubauen und beginnt damit, das Lied „Light“ zu singen, in das nach und nach alle Charaktere des Stücks einsteigen.

Dieses Lied ist für mich in vielerlei Hinsicht wichtig geworden. Die große Hoffnung, die sich hier aus den Ruinen der heilen Welt schält, lässt mich einfach nie unberührt.

Der Schlüsselsatz ist für mich dabei: „The wasted world we thought we knew – the light will make it look brand-new.“

Egal wie sehr die Kacke auch am Dampfen ist; egal wie schlecht du dran bist; egal was schiefläuft; egal wie sehr diese Welt, von der du dachtest einen Plan zu haben, auch aus den Fugen gerät,

es wird letzten Endes alles wieder gut.

Alles halb so viel, wenn man Dinge im rechten Licht betrachtet. In einem, das wir alle brauchen und das wir alle in unserem Leben scheinen lassen können.

Kitschig? – Ja.

Überzogen? – Mag sein.

Wahr? – Hoffentlich.

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