Eine Ahnung von dem, was kommt

Zugegeben: Es sind nicht die geschliffensten Worte, die aus dem Mund meiner Tochter kommen. Tiere werden eher durch ihre Laute klassifiziert („brumm, brumm“ für die Biene, „waaaah“ für den Löwen), als mit ihrem Namen angesprochen und der Hunger mit einem einfachen „njam njam“ ausgedrückt. Ja, all das ist noch weit entfernt von rhetorischer Perfektion oder einer verständlichen Umgangssprache. Aber ich verstehe sie.

Es fasziniert mich wie konkret „Mensch werden“ ist, wenn ich dabei zuschaue, wie sie Mensch ist. Jeden Tag etwas Neues dazulernt und etwas mehr von der Welt um sie herum entdeckt.

Aber was mich am allermeisten fasziniert, mich manchmal auch ganz fassungslos zurücklässt, ist der Ausblick auf das, was kommt. In ihrem Gebrabbel höre ich die Reden, die sie mal sprechen wird, und das „Nein, Papa du bist so peinlich.“, was ganz bestimmt kommen wird. Wenn sie Bauklötze aufeinanderstapelt, weiß ich, dass sie auch mal etwas macht, worüber ich staunen werde, was ich selber nicht geschafft habe. All die kleinen Momente, die mir zeigen, dass sie immer mehr wächst und irgendwann auch über mich hinaus.

Und während ich mir das denke, guckt sie mich nur mit großen Augen an und sagt: „Popo.“
Die Freude, dass sich das in Zukunft auch ändern wird.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Gegenlicht

Genau der richtige Moment!

Nach einem anstrengenden Bürotag ist endlich Feierabend.
Tagsüber ist es an diesem Novembertag auch nicht richtig hell geworden.

Grau in Grau, November halt.

Unbewusst gehe ich heute einen Umweg nach Hause.
Der Himmel über mir ist genauso langweilig und eintönig wie die Pflastersteine unter mir.
Ich biege um die Ecke.

Mir fällt die ungewohnte Beleuchtung der Fassaden auf.
Ein Moment für die Ewigkeit.
Der Himmel spiegelt die Farbe der Erde wider.

Gegenlicht.
Nur einen Augenblick lang.
Wunderschön.

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Tauet Himmel

Tauet Himmel
den Gerechten.
Wolken, regnet ihn herab!

Jetzt.

Nicht irgendwann!
Die Welt braucht ihn,
der Frieden und Gerechtigkeit schafft.

Wolken, öffnet euch,
leert aus,
was ihr habt.

Den, der weiß, wie das mit dem Sterben ist.
Den, der es überwunden hat.

Wo ist er?!

Es reicht!
Die Welt braucht Frieden.

Jetzt.

Deswegen, Himmel,

reiß auf!

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Immer noch Mensch…

Nichtsahnend stand ich an einem Dienstag im Dezember an einer Bushaltestelle in Trier-Heilig Kreuz. Ich wartete auf den Bus, als ich völlig belanglos über die Straße aufblickte, eine Plakatwand entdeckte und mir dann die Worte, die dort standen, ins Herz stachen:

„Immer noch Mensch“

So heißt das aktuelle Album von Tim Bendzko, womit er 2017 auf Tour geht und dafür wirbt die Plakatwand.

Diese drei Worte haben mich in dem Moment voll erwischt.

Bei allem, was in meinem Leben schon so passiert ist, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Trotz all der Menschen, die ich schon verloren habe (und dazu müssen sie nicht gleich gestorben sein), bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Mit allem, was in diesem Jahr los war, und wenn ich so drüber nachdenke, war das eine ganze Menge schöner aber auch nicht so schöner Dinge, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

… Oder vielleicht gerade deswegen?

Tim Bendzko - Keine Maschine (Offizielles Video)

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Die Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Was unantastbar ist, ist… ja, was denn eigentlich?

Unverhandelbar.

Nicht einschränkbar.

Grenzenlos.

Aber warum muss etwas, das unantastbar ist, dann überhaupt geschützt werden?

Navid Kermani nennt den ersten Satz unserer Verfassung ein „Paradox„, und doch „vollkommen„.

Menschenwürde ist eine dieser Vokabeln, die jeder kennt – oft benutzt.

Ein schönes Wort.

Die Menschenwürde…

Aber sind wir uns immer darüber bewusst, was sie beinhaltet?

Woher sie kommt?
Wohin sie führt?
Warum sie da ist?

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Ich bin nur ein Mensch

Christina Perri - Human [Official Video]

Es gibt ein Lied von Christina Perri, an das ich in letzter Zeit oft denke. „Human“ heißt es. Sie singt darin:

I can do it
But I’m only human
And I bleed when I fall down
I’m only human
And I crash and I break down
Your words in my head, knives in my heart
You build me up and then I fall apart
‚Cause I’m only human

Ich bin nur ein Mensch, ich blute, wenn ich falle. Ich bin nur ein Mensch, ich mache Fehler und entschuldige mich bei dem*rjenigen, den*die ich verletzt habe. Ich kann aber auch verzeihen und anderen etwas Gutes tun. Als Mensch bin ich nun mal nicht unfehlbar. Gleichzeitig erwartet die Gesellschaft von uns aber immer häufiger, dass wir uns unfehlbar geben, auf Knopfdruck funktionieren wie Maschinen und keine Schwäche zeigen.

Ich kann als Mensch vieles, auch anderen etwas vormachen – wie oft geht es uns nicht gut und wir antworten auf die Frage dennoch: mir geht es gut. Wir lächeln gezwungen, tanzen und singen, dabei möchten wir uns verstecken. Wir können das, aber verleugnen wir uns nicht dabei? Versuchen wir nicht so uns anzugleichen, unsere Individualität zu verstecken?

Ähnlich ist es auch im Videoclip zu „Human“. Christina Perri steht, sitzt und läuft, verletzlich und leicht bekleidet. Ohne jegliche Zusätze, die von ihr ablenken könnten. Sie steht ganz im Fokus. Zwischendurch werden einzelne Körperteile von ihr beleuchtet, im Inneren ist sie eine Maschine. An einer Stelle bricht sie aus der Perfektion aber aus, sie wird ganz sie und ihre Tattoos sind nicht mehr überschminkt. Man sieht Christina Perri, den Menschen, nicht ihre Fassade.

Denn trotz meiner Fehler bin ich als Individuum gleichzeitig etwas ganz Großes, denn ich bin ein Mensch: Ich bin ich, einmalig, unverwechselbar. Jede*r von uns hat ihre*seine eigenen Interessen, einen Modegeschmack, eine Lieblingsmusik. Auch wenn wir von Seelenverwandtschaft reden, von Ähnlichkeiten, die kein Zufall mehr sein können, so ist jede*r dennoch ein Individuum. Es haben sich aber zwei gefunden, die zusammengehören.

Ja, als Mensch kann ich vieles, aber am Besten ist es doch, wenn ich einfach nur ich selbst bin.

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Wutfahrerin

Ich sage es offen heraus: Am Steuer eines Autos hört mein Mensch-Sein auf!

Denn sobald ich die Wagentür zuschlage, den Motor starte und die Boxen meiner Musikanlage bis zum Anschlag aufdrehe, lege ich auf wundersame Weise das ab, was mir sonst als Mensch, als Christin, als Madeleine doch so wichtig ist:

Meine Freundlichkeit und Gelassenheit verwandelt sich in blanke Wut über den Sonntagsfahrer, der vor mir auf der Landstraße mit 60 km/h rumschleicht, während ich ihm die Pest und noch viel schlimmere Dinge an den Hals wünsche und ihm so nah auffahre, dass ich fast die Maschen seiner umhäkelten Klorolle zählen kann.

Mein ökologisches Bewusstsein weicht meiner Bequemlichkeit, weil ich es viel angenehmer finde, morgens mit meinem Auto hoch zur Uni zu fahren, als die viertel Stunde früher das Haus zu verlassen, zur Bushaltestelle zu pilgern und – für ganze sieben Minuten – in einem gar nicht so überfüllten Bus zu stehen.

Meine Ehrlichkeit und mein Gerechtigkeitssinn verabschieden sich in dem Moment, in dem ich mich auf den Mutter-Kind-Parkplatz stelle oder anstatt ein Ticket zu ziehen, es mal wieder darauf ankommen lasse. Von den Geschwindigkeitsüberschreitungen mal ganz zu schweigen.

Meine Sorge um mich und meine Mitmenschen verschwindet dann, wenn ich während der Fahrt zum Handy greife und in den WhatsApp-Familienchat schreibe, dass ich in 20 Minuten zu Hause sein werde, oder wenn ich auf der Autobahn bei schmierig-nasser Strecke einen LKW überhole, nur damit ich die eine Minute früher an meinem Ziel ankomme.

Viel zu oft läuft das so. Aber wieso mache ich das? Wieso lasse ich es mir selbst durchgehen, dass ich als Autofahrerin meine moralischen Prinzipien und das, was mich ausmacht, über Bord werfe, es quasi in der Welt außerhalb meines PKWs zurücklasse, während ich in ein nach Wunderbaum duftendes Paralleluniversum eintauche, in dem ich zu einer Wutfahrerin mutiere? Bedeutet Mensch-Sein, Christ*in-Sein, Madeleine-Sein nicht auch, es 24/7 zu sein? Daran muss ich arbeiten.

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Das Sein im anderen

Wenn ich bei Ärzt*innen im Wartezimmer sitze, so wie gestern, widme ich mich grundsätzlich den ausliegenden Klatsch- und Boulevardmedien, da diese mir schließlich erklären, was in ist, was wichtig ist, aber vor allem, wie ich sein soll, was ich tun soll, um glücklich zu sein, und was ich bin. Thema ist immer das eigene Selbst, das Individuum. Was muss ich tun, um mich gut darzustellen? Wie kann ich mich im Berufsleben durchsetzen? Was will ich in meinem jetzigen Lebensabschnitt erreichen? Wie mache ich meine*n Partner*in für mich zu einem*r perfekten Liebhaber*in? Diese Liste an Fragen könnte endlos weitergeführt werden. Sie dreht sich, vom Selbst handelnd, um sich selbst. Mich selbst und mein Ego zum Zentrum machen; das muss es sein, was mich zu einem glücklichen und erfüllten Leben führt, in dem ich mich selbst verwirklichen kann!

Beim Verlassen der Arztpraxis bin ich nachdenklich gestimmt. Sieht so tatsächlich das Geheimrezept des Menschseins aus?

Diese Frage ist immer noch wach in mir, als ich heute morgen unter die Dusche steige. Ich höre im Radio den Sender RPR1 und werde aufmerksam, als deren aktuelle Spendenaktion thematisiert wird, bei der es darum geht, gerade in der Vorweihnachtszeit ein Stück vom eigenen Glück an Menschen in Not abzugeben. In Not ist heute eine Mutter, deren zweijährige Tochter an Krebs erkrankt ist. Der Krebs beeinträchtige nicht nur die Tochter, sondern erschwere auch das Familienleben. Der Wunsch ist groß nach einer Auszeit. Erfüllung findet er durch die Arbeitskollegin der Mutter, die RPR1 auf das schwere Schicksal der Familie aufmerksam gemacht hat.

Die uneigennützige und freundschaftliche Handlung der Kollegin löst tiefe Dankbarkeit, Freude und Aufgelöstheit aus, die sich in diesem Moment in meinem kleinen Bad ausbreitet. War es da nicht? das wahre Menschsein? Das Menschsein, das sich nicht mit sich selbst, mit dem Sein zufrieden gibt? Menschsein begnügt sich nicht mit dem bloßen Sein; es ist Mitsein. Es heißt, nicht für mich, sondern für andere zu sein.

Wo ich andere wahrnehme, da ist, liebe Klatsch- und Bouelevardmagazine, Glück und Erfüllung, da bin ich ganz Mensch und ganz nebenbei auch Gott.

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Kunst. Leben. Glück.

Ihren eigentlichen Zweck erfüllen die Werkzeuge auf der alten Werkbank nicht mehr. Vor lauter Rost sind sie fast so brüchig wie Glas geworden. Die Natur holt sich zurück, was ihr gehört.

Irgendwie ein stilles Mahnmal, die alte Werkbank. Anziehend und faszinierend das Bild. Ich könnte stundenlang in der Betrachtung versinken. Es sieht so aus als hätte vor langer Zeit jemand vom einen auf den anderen Augenblick aufgehört daran zu arbeiten. Einfach so.

Und jetzt steht sie da, die alte Werkbank. Nicht mehr Werkzeug, zwecklos, Kunst. Ein krasser Gegensatz zu den nüchtern kalten Produktionsstätten unserer Zeit. Wahrscheinlich hat ein Mensch sein ganzes Leben an ihr gearbeitet. Hier wurde keine Massenwahre produziert. Aus dem Material ist das geworden, was es selbst zuließ. Nicht in einheitliche Form gepresst sind hier Unikate, unverwechselbare Einzelstücke entstanden.

Auf das Material schauen und darauf, was daraus alles werden kann. Selbst etwas tun und ebenso geschehen lassen.

Kunst, Leben, Glück sind da gleich.

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