Mensch, wo bist du?

„Mensch, wo bist du?“ Etwas genervt sprach ich in mein Handy.

„Wir wollten uns um fünf hier treffen.“

„Ja, vor der Tür.“

„Ich warte…!“

Etwas genervter steckte ich mein Telefon wieder in die Tasche, schaute auf die Uhr. Mein Atem bildete kleine Wolken vor meinem Gesicht. Ich ließ meinen Blick über die Straße schweifen.

Und dann: Einer dieser Momente, in denen man sich selbst über die Schulter guckt. Die Kamera zoomt raus und man nimmt alles auf einmal wahr:

Die Lichterketten. Das gestreute Licht – rot, gelb, weiß – auf den nassen Pflastersteinen. Künstliche Tannenzweige. Die Leute mit den Tüten. Die anderen mit Bechern in der Hand. Musikfetzen. Drei Männer mit Klarinette, Akkordeon, Gitarre. Eine Frau mit zerfleddertem Pappbecher in den behandschuhten Fingern. Ein weinendes Kind. Ein junger Mann mit Hund und Pappschild vor den Füßen. Zwei ältere Damen, die goldenen Jacken im Karo gesteppt, plaudernd. Eine junge Familie mit Kinderwagen. Eine Gruppe lauter Jugendlicher. Mehr Menschen mit Taschen. Ich.

Ich schaute wieder auf die Uhr. Mein Blick wanderte in den dunklen, von der Stadt orange gefärbten Himmel. Genervt zückte ich mein Smartphone.

Mensch, wo bist du?

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

10 Sekunden.

Manchmal stehe ich morgens auf und mache den Spiegeltest.
Der Plan dabei ist, mich zehn Sekunden lang im Spiegel anzuschauen.
Kein kurzer Blick beim Zähneputzen.

Kein schnelles Checken der Frisur bevor ich das Haus verlasse.
Nein, ich schaue dann wirklich zehn Sekunden – ohne etwas anderes zu tun.
Ich schaue und schaue und schaue.
Manchmal fällt mir der Spiegeltest leicht.

An anderen Tagen wiederum ist es schwieriger.
Das kann eitle Gründe haben und ist nach ein bisschen Arbeit im Bad wieder weggeschrubbt.
Aber dann gibt es die Tage, an denen ich es fast nicht schaffe.

Dann weiß ich, das irgendwo was im Argen liegt.
Dann merke ich, wo meine Schwächen liegen.
Was meine Fehler waren.
Und hoffe, ich bin Mensch genug für mich.
Wenn nicht, setzte ich alles daran es zu werden.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

„…einen ewigen Namen gebe ich ihnen…“

„Mein Name ist Michael Michels“. Das sorgt oft, wenn nicht gerade ein Peter Peters oder Jens Jensen vor mir steht, für Lacher oder skeptische Blicke. Entweder werden meine Eltern als „kreativ“ gelobt oder ich bemitleidet. Oft drehen sich Gespräche um meinen Namen. So ist auch mit Blick auf meine Hochzeit und die anstehende Ehe eine der meist gestellten Fragen: „Wie macht ihr es mit euren Namen?“

Ich bin Michael Michels; bald 24 Jahre. Mit diesem Namen zu leben gehört zu meiner Identität; ganz zu meinem Wesen. Ich würde fast behaupten, dass einen Teil meiner Art, wie ich mich vor und zu anderen Menschen verhalte, von diesem Namen bestimmt ist. „Michael Michels, Vor- quasi wie Nachname“: So stelle ich mich öfter selbst zum Beispiel am Telefon vor.

Seit zwei Wochen beschäftigt mich das Thema „Name“ nochmal ganz neu. Ich habe dort im Rahmen einer Exkursion das Konzentrationslager Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht.

Ich kann und möchte gar nicht erst versuchen, euch meine Gefühle und Gedanken niederzuschreiben, die ich mit diesen Orten und den dortigen Ausstellungen verbinde. Es geht sowieso nicht. Auch weil ich gar nicht weiß, was ich in Anbetracht von Zahlen und Fakten, die man nicht verarbeiten kann, Ausstellungsstücken und Bildern, deren Grauen jede Vorstellbarkeit übersteigt und abertausenden Lebensgeschichten, über deren schreckliches Ende ich nicht traurig genug sein kann, fühlen oder denken soll.

Gefangene, die nach Auschwitz kamen, bekamen ihre Häftlingsnummer auf die Haut tätowiert. Von diesem Moment an trugen sie offiziell ihren Namen nicht mehr; waren nichts anderes als eine Nummer, ein Platz auf einer Liste in einem abartigen, perversen Mordsystem.

Aus Namen wurden Nummern. Aus Menschen wurden Nummern. Mit der Nummer war eine Entmenschlichung der Gefangenen auf die Spitze getrieben. Ich komme da nicht darauf klar….

Die Gedenkstelle Yad Vashem hat auch in Auschwitz selbst eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet. In einem gigantischen Buch sind alle Namen erfasst, die bisher als Opfer des Holocausts bekannt sind. Für mich war es verstörend sich durch unzählige Seiten zu blättern. Zugleich fand ich es wunderschön, dass man hier eine entscheidende Korrektur an diesem unmenschlichen System vorgenommen hat: Aus Nummern wurden wieder Namen.

In Yad Vashem selbst werden im Kinderraum in einer Endlosschleife alle bekannten Namen der im Holocaust ermordeten Kinder vorgelesen. Für 1,5 Millionen Namen braucht das Band drei Jahre. Dann geht es wieder von vorne los. All den unschuldig ermordeten Kindern werden wieder Namen gegeben. Jedem einzelnen!

„Ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird“ (Jes 56,5)

Gott, ich kann dir gar nicht genug dafür danken, einen Namen zu tragen.

Glaube 2.0. Bitte.

Ich beginne den Tag mit dem Blick aufs Handy. Wecker aus. Wie viel Uhr haben wir? Welche Mails kamen über Nacht? Was sagt mein Armband, wie lange mein Tiefschlaf war? Dann erst aufstehen, duschen, Kaffee.

Beim Frühstück verraten mir ToDo-App und Kalender, was den Tag über so ansteht. Durch die verschiedenen Messenger stehe ich direkt in Kontakt.

So geht es den ganzen Tag. Mein Smartphone ist mein Wegbegleiter. Etwas, das ich nicht missen möchte. Es erspart mir verschiedene Kalender, ToDo-Listen, Telefonate und Wissenslücken.

Nur eine Sache fehlt: das Beten, die Andacht. Nicht, weil ich das nicht möchte, sondern weil es nichts gibt. Durch viele Apps organisiere ich mein Leben, aber mein Glaube bleibt chaotisch, unorganisiert und oft auch unbeachtet.

Ich wäre gern auch mit meinem Glauben digital.

Ein bequemer, aber quietschender Stuhl

Vorgestern saß ich eine ganze Weile auf einem bequemen aber quietschenden Stuhl in der Sparkasse und wartete auf einen Sachbearbeiter. Ich hatte ein Problem mit meinem Konto – eigentlich nicht der Rede wert, schließlich ist fast kein Geld drauf – aber dennoch musste es gelöst werden. Was auch immer der Sachbearbeiter noch gemacht hat, ich war kurz davor das Basketballspiel, was ich mir ansehen wollte, zu verpassen.

Scheinbar sitzen oft Menschen auf diesen bequemen aber quietschenden Stühlen und warten, denn neben jedem einzelnen Stuhl stand ein Tisch mit Flyern über die Angebote der Sparkasse und deren Partner*innen.

Angeboten wurden KFZ-Versicherungen, private Haftpflichtversicherungen, Rechtsschutzversicherungen, IndexGarant, Baufinanzierungen, Pflegeversicherungen, Unfallversicherungen, Arbeitslosenversicherungen, Vermögensaufbauprogramme, Reiseversicherungen, betriebliche Altersversorgung und so weiter…

Ich habe mir bisher ja noch nie groß Gedanken über Versicherungen gemacht. Bestimmt ist jede davon irgendwie manchmal doch ganz sinnvoll.

Aber, so dachte ich mir, man* kann sich gegen und für alles auf dieser Welt versichern lassen, jedes Risiko dieser Welt für sich ausschließen wollen und hat doch keine Chance gegen die Spontanität und den Lauf des Lebens.

Manchmal läuft alles ganz anders als man* plant, Versicherungen und Absicherungen hin oder her.

Manchmal will man* gerne ein Basketballspiel sehen und sitzt stattdessen nur auf einem bequemen, aber quietschenden Stuhl herum und das alles für ein Konto, auf dem sowieso kein Geld drauf ist.

Sprachen-Wirrwar

Das Pärchen im Bus vor mir unterhält sich aufgeregt in irgendeiner fremden Sprache – hebräisch denke ich. Neben mir flirtet ein anderes Pärchen in Mandarin.

Ich muss unvermittelt lächeln. Ich verstehe kein Wort; aber ich verstehe die Stimmung – angeregte Diskussion vor mir – schüchterne Kontaktaufnahme neben mir. Ich fühle mich nicht unwohl und lausche gespannt den unbekannten Lauten.

Doch Sprachen können auch echte Grenzen sein. Vor einiger Zeit habe ich als Freiwillige in Taizé eine junge Frau aus Guatemala getroffen. Evelin sprach weder Französisch, Englisch oder Deutsch und ich weder Spanisch noch Portugiesisch. Wie also kommunizieren? Manchmal war es zum verzweifeln. Das Gefühl, wenn man* etwas ganz Banales sagen will und keine Worte dafür hat. Tiefgreifende Gespräche waren gar nicht möglich. Vielleicht haben wir so die Chance verpasst, uns wirklich kennenzulernen. Bis heute weiß ich nicht mal, was sie mag und was nicht. Dabei haben wir wochenlang ein Zimmer geteilt. Ohne gemeinsame Sprache war da eine unüberwindbare Grenze zwischen uns – scheinbar…

Denn es gab sie eben doch, die tiefgreifenden Gespräche – aber ohne Worte. Ein Lachen, ein Lächeln, eine Umarmung oder einfach nur nebeneinander Sitzen, gemeinsam Essen und Beten. Das Leben mit Evelin ging trotz aller sprachlicher Hürden.

Wir wussten nichts voneinander und nahmen die andere einfach so an.

Verständnis, ohne sich verständigen zu müssen.

Wie viele Worte stecken in einem Lächeln, einer Umarmung?

Zerrissen…?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Zerreißt eure Herzen. – Wie meinst du das, wenn ich fragen darf?
Zerreißt eure Herz… Gleich, gleich bin ich soweit. Muss nur noch schnell die Welt retten.
Zerreißt eu… Aber wenn eben zwei Hochzeiten sind, muss ich da doch auch irgendwie tanzen.
Zerreißt… Wenn ich zwischen den Stühlen sitze, dann ruhe ich mich wenigstens nicht aus. Wer rastet, der rostet…
Zerr… Jaja, sofort, noch schnell von A nach… und zwischendurch… zwischen Tür und Angel… also dann nach B.

Zerreißt eure Herzen. – Wie also meinst du das? Ich darf doch fragen, oder?
Zerrissen fühl ich mich. Manchmal. Oft.  – Meistens.
Zerrissen von den Ansprüchen, meinen eigenen zuallererst. – Und dann kommst du: Zerreißt eure Herzen.

Und in all meiner Zerrissenheit, von der ich hoffe, dass du die nicht meinst, frag ich dich: Wie meinst du das?

Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider.

Du weißt den Weg für mich?

Taizé – tausende Jugendliche und junge Erwachsene wimmeln wie in einem riesengroßen Ameisenhaufen umher. Hier wird gesungen, da gespielt, woanders einfach nur geredet.

Mittendrin bin ich. Obwohl ich nun schon zum dritten Mal hierher komme, begegne ich Taizé immer noch skeptisch. Vieles geht mir hier auf den Senkel. Regeln, Kontrolle und vieles andere.

Aber da sind auch noch die Gebetszeiten in der Versöhnungskirche in Taizé.

Alle sitzen auf dem Boden, singen gemeinsam die bekannten Gesänge und schweigen gemeinsam fünf Minuten. Irgendwie befreiend.
In den kleinen Momenten, in denen ich die perfekte Sitzposition gefunden habe und mein Rücken sich nicht beschwert, kann ich abschalten.

Ein Gesang aus Taizé geht mir dabei immer wieder durch den Kopf.

Gott, laß meine Gedanken sich sammeln zu dir.
Bei dir ist das Licht, du vergißt mich nicht.
Bei dir ist die Hilfe, bei dir ist die Geduld.
Ich verstehe deine Wege nicht,
aber du weißt den Weg für mich.

Der Text entstand aus einem Gebet von Dietrich Bonhoeffer.

Gefangen und in Todesangst schreibt Dietrich Bonhoeffer diese Zeilen voller Vertrauen in dich.
Eine schöne, vielleicht auch naive und beängstigende Vorstellung. Du weißt den Weg für mich.
Aber diese Zeilen erreichen mich. Erst recht, wenn ich weiß, wer sie verfasst hat.

Im ständigen Wiederholen dieses Liedes werde ich tatsächlich ruhig und bekomme Mut.
Mut zur Hoffnung.
Mut zum Glauben.
Mut auf diesen Weg zu vertrauen.
Mit dir.

httpv://www.youtube.com/watch?v=D7DiR–b9DQ

Immer dieser Frühling

Müde, motivationslos, gestresst davon zu entscheiden, was ich heute anziehen soll… mein Leben ist schon echt schwer. Kapiert das denn niemand? Draußen scheint die Sonne und ich komme gar nicht dazu, das schöne Wetter zu genießen. Muss ja erst noch ausschlafen, damit ich fit bin. Wie so ein Kirschbaum im Garten, der braucht ja auch noch ein paar Tage, bis er soweit ist und anfängt zu blühen.

Die nächste Entscheidung und was ich als nächstes tue, will schließlich gut vorbereitet sein. Mit viel Schlaf, Ruhe und Zeit für mich. Und wenn ich dann genug reflektiert habe, schreibe ich noch schnell was darüber, wie das so war, das Reflektieren und Entscheiden. Und dann kann es ja losgehen – dann werde ich sehen, wie viele Likes der Artikel bekommt, wie oft wir bei twitter geteilt werden – und damit hab ich ja eigentlich auch schon viel zu tun und viel getan. Oder? Dann werde ich ja sehen, ob das Sinn macht, was ich vorhabe – oder ob es eh egal ist. Dann kann ich nochmal neue Perspektiven in meine Entscheidung einfließen lassen und überlegen, wie ich damit weitermache. Und vor allem nicht vergessen, zu überlegen, wie ich mich dabei fühle.

Ganz ehrlich? Ich kann mir selbst bald nicht mehr zuhören. Ja, meine Perspektive zählt und ich kann nur das gut machen, was mir entspricht. Aber: Mein Leben läuft. Jetzt. Nicht nur für mich. Sondern auch für andere. Und wenn ich ehrlich bin, sind meine Probleme gar nicht so tragisch. Also los.