Die Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Was unantastbar ist, ist… ja, was denn eigentlich?

Unverhandelbar.

Nicht einschränkbar.

Grenzenlos.

Aber warum muss etwas, das unantastbar ist, dann überhaupt geschützt werden?

Navid Kermani nennt den ersten Satz unserer Verfassung ein „Paradox„, und doch „vollkommen„.

Menschenwürde ist eine dieser Vokabeln, die jeder kennt – oft benutzt.

Ein schönes Wort.

Die Menschenwürde…

Aber sind wir uns immer darüber bewusst, was sie beinhaltet?

Woher sie kommt?
Wohin sie führt?
Warum sie da ist?

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Das Sein im anderen

Wenn ich bei Ärzt*innen im Wartezimmer sitze, so wie gestern, widme ich mich grundsätzlich den ausliegenden Klatsch- und Boulevardmedien, da diese mir schließlich erklären, was in ist, was wichtig ist, aber vor allem, wie ich sein soll, was ich tun soll, um glücklich zu sein, und was ich bin. Thema ist immer das eigene Selbst, das Individuum. Was muss ich tun, um mich gut darzustellen? Wie kann ich mich im Berufsleben durchsetzen? Was will ich in meinem jetzigen Lebensabschnitt erreichen? Wie mache ich meine*n Partner*in für mich zu einem*r perfekten Liebhaber*in? Diese Liste an Fragen könnte endlos weitergeführt werden. Sie dreht sich, vom Selbst handelnd, um sich selbst. Mich selbst und mein Ego zum Zentrum machen; das muss es sein, was mich zu einem glücklichen und erfüllten Leben führt, in dem ich mich selbst verwirklichen kann!

Beim Verlassen der Arztpraxis bin ich nachdenklich gestimmt. Sieht so tatsächlich das Geheimrezept des Menschseins aus?

Diese Frage ist immer noch wach in mir, als ich heute morgen unter die Dusche steige. Ich höre im Radio den Sender RPR1 und werde aufmerksam, als deren aktuelle Spendenaktion thematisiert wird, bei der es darum geht, gerade in der Vorweihnachtszeit ein Stück vom eigenen Glück an Menschen in Not abzugeben. In Not ist heute eine Mutter, deren zweijährige Tochter an Krebs erkrankt ist. Der Krebs beeinträchtige nicht nur die Tochter, sondern erschwere auch das Familienleben. Der Wunsch ist groß nach einer Auszeit. Erfüllung findet er durch die Arbeitskollegin der Mutter, die RPR1 auf das schwere Schicksal der Familie aufmerksam gemacht hat.

Die uneigennützige und freundschaftliche Handlung der Kollegin löst tiefe Dankbarkeit, Freude und Aufgelöstheit aus, die sich in diesem Moment in meinem kleinen Bad ausbreitet. War es da nicht? das wahre Menschsein? Das Menschsein, das sich nicht mit sich selbst, mit dem Sein zufrieden gibt? Menschsein begnügt sich nicht mit dem bloßen Sein; es ist Mitsein. Es heißt, nicht für mich, sondern für andere zu sein.

Wo ich andere wahrnehme, da ist, liebe Klatsch- und Bouelevardmagazine, Glück und Erfüllung, da bin ich ganz Mensch und ganz nebenbei auch Gott.

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Mensch-Werden heißt Begleitet-Werden

Seit ich das Thema des Adventskalenders kenne, habe ich mich gefragt: Mensch-Werden – was heißt das? Wie geht das? Was steckt da alles dahinter?

Ich glaube mittlerweile, dass Mensch-Werden ganz unterschiedliche Facetten und Wege kennt, und habe nicht das Gefühl auch nur annähernd dahinter gekommen zu sein, was es ganz konkret heißt, aber ich bin mir bei einer Sache ziemlich sicher:

Mensch-Werden gestaltet sich maßgeblich durch das Begleitet-Werden.

Die Menschen, die mir zur Seite stehen, lassen mich der Mensch werden, der ich bin. Das können positive wie negative Begleitungen oder Begegnungen sein. Ein Gespräch, eine Meinungsverschiedenheit oder eine Situation, die hängen bleibt, löst etwas in mir aus und treibt so meine Entwicklung immer wieder ein Stück voran. Sie können jahrelang dabei oder nur ein Intermezzo in meinem Leben sein, aber ich glaube, jede Begegnung, jede noch so kleine Wegbegleitung, prägt mich und macht aus mir den Menschen, der ich bin und sein werde!

Denn es ist ein ewiger Prozess. Das Begleitet-Werden, also das Mensch-Werden, hört niemals auf. Wir kommen an Menschen, die uns in unserem Leben begegnen und begleiten nicht vorbei. Manchmal wollen sie uns begleiten, hängen an uns und begleiten uns ganz bewusst. Aber manchmal sind sie auch einfach nur zufällig in unser Leben getreten, oder wir sind durch ein einschlägiges Erlebnis mit ihnen verbunden. Gleich auf welche Weise die Menschen zu unserem Leben gehören, sie lassen uns Mensch werden und dafür sollte man aus meiner Sicht dankbar sein.

Ich werde deswegen den heutigen Tag den Menschen widmen, die mich bis hierhin begleitet haben und noch immer begleiten, all denen, die mir beim Mensch-Werden geholfen haben.

Und vielleicht gibt es heute ja sogar die ein oder andere Gelegenheit sich bei unseren Begleiter*innen zu bedanken.

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Meine Freiheit ist mir heilig – oder?

„Schreib, wenn Du zuhause bist.“ – „Mach ich. Du aber auch.“

Verrückt. Vor allem, weil es nicht meine Mama ist, die mich darum bittet, sondern die Freundin, mit der ich gerade was trinken war. Und der Heimweg auch keine dreistündige Autofahrt, sondern 10 Minuten mit dem Fahrrad ist. Hätte mir jemand vor 2 Monaten erklärt, wie bereitwillig ich auf solche Aufforderungen reagiere, hätte ich nur verwundert den Kopf geschüttelt. Meine Freiheit, überall und zu jeder Zeit hinradeln oder –gehen zu können, ohne dass jemand darüber Bescheid wissen muss, war mir heilig. Nachts alleine durch die halbe Stadt, macht mir doch nichts aus. Das mulmige Gefühl im Wald einfach weggepfiffen.

Doch gerade ist es irgendwie sehr bewusst, wie angreifbar und verletzlich wir sind. Wir geben zum ersten Mal zu: Naja, mulmig war mir da ja schon immer. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist nicht höher, aber präsenter geworden. Rational also völliger Bullshit, jetzt anzufangen, solche Nachrichten mit „Bin gut angekommen“ zu schreiben. Irrational auch die Angst in mir. In mir, die nach den Anschlägen von Paris im letzten Jahr gesagt hatte „Jetzt erst recht!“ – Weihnachtsmarkt, Festival, Großstadt. Es nervt mich, wie erleichtert ich bin, wenn mich ein „Gut angekommen“ erreicht und wie pflichtbewusst ich das meine zurückschicke.

Es macht mir so krass bewusst, wie viel mir meine Freiheit wert ist. Und wie wichtig mir meine Freund*innen sind. Und wie vergänglich alles ist. Freiheit, Frieden, Leben. Was hilft? Irgendwie nicht viel.

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Auf wackligen Beinen

Wenn ich gegen meine Tochter antreten würde, würde ich immer gewinnen. Damit möchte ich aber ungern angeben, denn meine Tochter ist noch keine zwei Jahre alt. Ich hatte also deutlich mehr Zeit, all die Dinge zu üben. Die meiste Zeit zeige ich ihr, wie man Bücher liest, Sandburgen baut oder so richtig schön Quatsch macht; und wenn wir mal einen Wettkampf machen, bin ich ein fairer Papa und lasse sie gewinnen.

Doch im Moment gibt es eine Sache (und ich bin mir sicher, dass es nicht die Letzte sein wird), in der mir meine Tochter etwas beibringt. Seit einigen Wochen lernt sie laufen und mittlerweile flitzt sie durch unsere Wohnung. Ruckzuck ist sie von der Terrassentür wieder am Esstisch und – bevor ich mich versehe – wieder an der Tür. Und wenn sie mal irgendwo gegenrennt, hinfällt oder über ihre eigenen Füße stolpert, dann schaut sie mich nur kurz groß an, stellt sich wieder hin und flitzt erneut los.

Ich hingegen wanke im Moment eher auf meinen Beinen. So richtig sicher stehe ich gerade nicht am Ende meines Studiums und am Beginn der Arbeitswelt. Ein, zwei Schritte, dann kommt eine Ecke und ich stolpere. Dann schaue ich mit großen Augen, aber im Gegensatz zu meiner Tochter stehe ich nicht direkt wieder auf. Oft sitze ich da und ärgere mich über die Ecke. Warum ist sie gerade jetzt da? Und wenn ich mich wieder aufraffe, konzentriere ich mich viel zu sehr auf die nächste Ecke, die mich aus der Bahn werfen könnte.

Ja, eigentlich gewinne ich immer gegen meine Tochter, aber im Moment steht sie auf eigenen Beinen und zeigt ihrem Papa, wie das geht.

Einfach aufstehen. Keine Angst und darauf vertrauen, dass alles gut wird.

„…einen ewigen Namen gebe ich ihnen…“

„Mein Name ist Michael Michels“. Das sorgt oft, wenn nicht gerade ein Peter Peters oder Jens Jensen vor mir steht, für Lacher oder skeptische Blicke. Entweder werden meine Eltern als „kreativ“ gelobt oder ich bemitleidet. Oft drehen sich Gespräche um meinen Namen. So ist auch mit Blick auf meine Hochzeit und die anstehende Ehe eine der meist gestellten Fragen: „Wie macht ihr es mit euren Namen?“

Ich bin Michael Michels; bald 24 Jahre. Mit diesem Namen zu leben gehört zu meiner Identität; ganz zu meinem Wesen. Ich würde fast behaupten, dass einen Teil meiner Art, wie ich mich vor und zu anderen Menschen verhalte, von diesem Namen bestimmt ist. „Michael Michels, Vor- quasi wie Nachname“: So stelle ich mich öfter selbst zum Beispiel am Telefon vor.

Seit zwei Wochen beschäftigt mich das Thema „Name“ nochmal ganz neu. Ich habe dort im Rahmen einer Exkursion das Konzentrationslager Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht.

Ich kann und möchte gar nicht erst versuchen, euch meine Gefühle und Gedanken niederzuschreiben, die ich mit diesen Orten und den dortigen Ausstellungen verbinde. Es geht sowieso nicht. Auch weil ich gar nicht weiß, was ich in Anbetracht von Zahlen und Fakten, die man nicht verarbeiten kann, Ausstellungsstücken und Bildern, deren Grauen jede Vorstellbarkeit übersteigt und abertausenden Lebensgeschichten, über deren schreckliches Ende ich nicht traurig genug sein kann, fühlen oder denken soll.

Gefangene, die nach Auschwitz kamen, bekamen ihre Häftlingsnummer auf die Haut tätowiert. Von diesem Moment an trugen sie offiziell ihren Namen nicht mehr; waren nichts anderes als eine Nummer, ein Platz auf einer Liste in einem abartigen, perversen Mordsystem.

Aus Namen wurden Nummern. Aus Menschen wurden Nummern. Mit der Nummer war eine Entmenschlichung der Gefangenen auf die Spitze getrieben. Ich komme da nicht darauf klar….

Die Gedenkstelle Yad Vashem hat auch in Auschwitz selbst eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet. In einem gigantischen Buch sind alle Namen erfasst, die bisher als Opfer des Holocausts bekannt sind. Für mich war es verstörend sich durch unzählige Seiten zu blättern. Zugleich fand ich es wunderschön, dass man hier eine entscheidende Korrektur an diesem unmenschlichen System vorgenommen hat: Aus Nummern wurden wieder Namen.

In Yad Vashem selbst werden im Kinderraum in einer Endlosschleife alle bekannten Namen der im Holocaust ermordeten Kinder vorgelesen. Für 1,5 Millionen Namen braucht das Band drei Jahre. Dann geht es wieder von vorne los. All den unschuldig ermordeten Kindern werden wieder Namen gegeben. Jedem einzelnen!

„Ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird“ (Jes 56,5)

Gott, ich kann dir gar nicht genug dafür danken, einen Namen zu tragen.

Brot zum Geburtstag

Es ist wieder soweit: Die Oma hat Geburtstag!

Schnell noch den Magen dehnen, damit ich mir keine lästigen Nachfragen über mein Essverhalten gefallen lassen muss und mit den Geschwistern überlegen, welche alten und schon tausendmal gehörten Geschichten an diesem Geburtstag wieder aufgetischt werden. Und jedesmal die gleiche Frage: Was schenkt man* der Oma zum Geburtstag?

Eine verdammt schwierige Frage, die sich allen Verwandten Jahr für Jahr stellt. Am Ende läuft es ja meist doch auf einen Blumenstrauß, einen Deko-Artikel oder einen Gutschein für ein Essen mit der Familie hinaus.

Im Nachhinein betrachtet waren wir alle mal wieder sehr einfallslos. Denn das vielleicht schönste Geschenk und damit einen ganz besonderen Geburtstag hat meine Oma von einem älteren Herrn aus dem Nachbarort bekommen: Er schenkte ihr Brot.

Nun mag man gerade in der Eifel, in der es Gott sei Dank noch viele traditionelle Bäckereien gibt, denken: Okay, Brot? Gibt es doch an jeder Ecke!

Doch die Geschichte hinter dem Brot ist etwas Besonderes: Der ältere Herr ist seit kurzem im Ruhestand und hat seine Bäckerei, die er von seinem Vater übernommen hatte, damit auch geschlossen.

Auch hier mag man nun wieder denken: Okay, Bäckereien kommen und gehen.

Aber erst an diesem Geburtstag wurde mir bewusst, was dieses Brot meiner Oma bedeutet hat. So hat sie in ihrem Leben nie ein anderes Brot als aus besagter Bäckerei gegessen. Sie liebte dieses Brot so sehr, dass sie aus lauter Verzweiflung kurzerhand die Kühltruhe ausgeräumt und noch möglichst viel Brot eingefroren hatte.

Und nun hatte der der alte Bäckermeister aus dem Nachbarort für ihren Geburtstag nochmals den Ofen angeworfen und meiner Oma „ihr“ gutes Brot gebacken.

Ich muss zugeben, das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Nicht nur über unsere Wegwerfgesellschaft, diese ganzen Discount-Bäckereien und Aufbackbrötchen (an denen ich mich selbst auch regelmäßig bediene) und die Frage, ob ich eine solche Treue zu einem Geschäft aufbringen könnte, wenn ich doch am liebsten den kürzesten und einfachsten Weg zu einem Supermarkt aufsuche… Geschenkt!

Wirklich ins Grübeln kam ich etwas später, als meine Oma sagte: „De Heerr hätt sich jett jedacht, dat hän sesch ohs im Bruht schenkt.“ (Übersetzung: „Der Herr hat sich etwas gedacht, dass er sich uns im Brot schenkt.“)

Dann tat sie etwas, dass sie seit über 70 Jahren mit jedem Laib Brot machte: Bevor sie ihn anschnitt, segnete sie das Brot in dem sie mit dem Brotmesser ein Kreuz auf die Unterseite des Laibes zeichnete, und verteilte das Brot anschließend an die ganze Familie. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie schön das ist.

Ein letzter Sommertag

Es ist noch dunkel im Zimmer. Der Wecker – zum zweiten Mal – vertröstet. Noch fünf Minuten. Bitte! Ein paar Sonnenstrahlen, die sich zwischen Kleiderschrank und Vorhang durchzwängen, lassen einen heißen Tag erahnen. Ein letzter Sommertag.

Mein Handy klingelt. Papa meint das Display. Papa? frage ich mich. „Papa?“ frage ich in den Hörer. So früh? Naja, acht. „Sitzt du?“ Nein, ich liege noch. Noch fünf Minuten. Bitte! „Es ist was Schreckliches passiert.“ Was Schreckliches? So redest du sonst doch nicht? Dann sagt er einen Namen. Dann etwas Unmögliches. Etwas Undenkbares. Was Schreckliches.

Eine Bekannte meiner Eltern. Eine ihrer Trauzeuginnen. Mehr: eine Freundin der Familie.

Mehr: eine neunundvierzigjährige Mutter einer kleinen Tochter. Neun vielleicht. Neun. Und. Vierzig. Eine Ehefrau. Eine Tochter. Eine Schwester. Eine, die immer fragt. Wie es ist. Wie es geht. Vor drei Wochen hat sie mir noch einen Espresso gekocht. Was Schreckliches.

„Scheiße.“, sage ich in den Hörer. „Scheiße“. Mehr kann ich nicht sagen. Mehr kann ich nicht denken. Und –  eingekocht in ein fünf Buchstaben großes Klischee – die eine Frage, die nicht gestellt werden kann, geschweige denn beantwortet: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Irgendwie kam ich dann doch zum Fenster. Vorhang auf: Ein letzter Sommertag.

Morgens kurz ins Büro. Ging alles irgendwie. Irgendwie normal. Ging alles irgendwie gut.

Für den Nachmittag hatte sich schon länger Besuch angemeldet. Gemeinsames Kochen. Gemeinsames Schwitzen beim Spazieren. Gemeinsamer Blick in die Weite und zwischen alledem immer wieder ein Thema. Was Schreckliches. Und ein Wort. Scheiße.

Meine Ohren klingeln. Zwei Wörter sind zu wenig, ein Wort ist zu viel. Alles, was gesagt wird, und was gesagt werden wird, steht dem Nichts gegenüber, was gesagt werden kann. Gemeinsamer Blick in die Weite. In das blaue weite Nichts. Ein Blick nach oben – wohin ist doch egal, hast du uns das nicht so gesagt? Dass du da bist? – eine Frage nach oben: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Die Sonne scheint. Keine Wolke. Etwas Wind. Ein letzter Sommertag.

Gegen Abend verabschieden wir uns. „Schön, dass ihr da wart.“ Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart. Und dann, die Tür ist zu, die Klinke noch in meiner Hand, ein Lächeln. Ein Lächeln, irgendwie echter als jedes andere an diesem dann doch irgendwie normalen Tag. Warum? Das wird sich mir nicht erschließen, vermutlich nicht. Aber dass du da bist, habe ich irgendwie verstanden, auch wenn ich auf diese Erfahrung so gut und gerne hätte verzichten können. Scheiße. Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart.

Weil ich das Lächeln, allein in meiner Wohnung, unpassend finde, höre ich wieder auf damit. Komme wieder zu dem einen Wort zurück, das diesen Tag so schrecklich treffend durchzieht: Scheiße.

Ich bleibe am Kalender hängen. Ein Abreißkalender, dessen Blätter ich in einen kleinen Karton stecke, wenn ihre Tage gezählt sind. Montag. August. Einunddreißig.

Der letzte Sommertag.

 

Von Angst und Hoffnung.

2015. Irgenwann nach den Anschlägen von Paris. Ein Gespräch.

Wir sitzen auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist spät.

„Ich versteh´ den IS nicht – was wollen die denn?“
(Schluck Bier –  nervöses Lachen)
„Angst. Die wollen, dass du Angst hast. Und ich. Wir alle.“
(Schluck Bier)
„Aber hab ich das? Paris, New York – klar, dass da was passiert.
 Warum soll ich denn hier Angst haben? Als könnte in Trier was passieren…“
(Schluck Bier – Themenwechsel)

2016. 8  Tage nach Würzburg. 2 Tage nach Ansbach. Ein Selbstgespräch.

Ich sitze auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist früh.

40.000 Einwohner hat Ansbach. Knapp 50.000 weniger als Trier. Knapp 20.000 mehr als meine Heimatstadt.
(Schluck  Kaffee – Handysummen – Breaking News: Geiselnahme in einer nordfranzösischen Kirche)
Nach Paris war ich sicher. Angst habe ich nicht gefühlt.
(Schluck Kaffee)
Und jetzt? Was fühle ich?
Es ist diffus. Angst könnte man es schon nennen – aber auch:
Verwirrung. Trotz. Ein mulmiges Gefühl im Bauch.

(Schluck Kaffee – Zigarette)
Aber warum Angst?
Weil es kleiner ist. Näher. Da wird in der Provinz geschlitzt und gebombt.
Das ist nicht mehr Paris. Das kann jetzt überall sein.
(Schluck Kaffee)
Wenn so was Angst sähen kann – wie kann man Hoffnung pflanzen?

2 Stunden später. Auf dem Weg zu Aldi. Ein Gespräch.

Ich laufe durch die Innenstadt. Alles wie immer.
Eine Frauenstimme singt – „Arabisch“, denke ich.
Da sitzt sie, direkt neben der Eingangstür.
Sie trägt ein blumiges Kopftuch und singt.

Schön“, sage ich.
Sie lächelt: „Danke.“ –  „Was singst du da?“
Gebrochenes Deutsch: „Ich singe. Liebe, Leben und Gott, singe ich.“
„Warum?“
„Überall Tod. Wenn ich singe, kein Tod. Wenn ich singe, keine Angst

Wow. Im Weitergehen frage ich mich noch:
Kaffee, oder Bier? Was kaufst du jetzt?