Von der Angst zum Ende zu kommen

Eigentlich heißt es ja, dass aller Anfang schwer ist. Das berühmte weiße Blatt Papier.
Doch für mich ist nicht das Anfangen, sondern das Zum-Ende-Kommen viel herausfordernder.
Das beschriebene Blatt Papier endlich mal abgeben.
Mich damit abfinden, dass eine Sache jetzt vorbei ist.

Ja, ich finde ein Ende schwieriger als einen Anfang.
Wenn ich anfange, weiß ich, wohin ich möchte. Ich habe eine Idee, der ich nachfolge.
Ein grobes Konzept, was ich machen möchte.

Aber etwas zu beenden heißt auch immer, mit der Idee abzuschließen.
Und dann habe ich eben kein Konzept mehr für den nächsten Schritt.
Keine Idee, die danach kommt, sondern einfach nichts.
Nur das, was zu Ende gebracht worden ist.

Und so sitze ich da. Vor dem voll beschriebenen Papier.
Sage mir: „Da könntest du noch was machen. Hier könntest du noch was schreiben.“
Bis ich abbreche und die letzte Hausarbeit meines Lebens endlich abgebe.

Abschied

Abschiede fallen mir immer schwerer.
Vor allem die, bei denen man sich für immer von lieben Menschen verabschieden muss.
Eigentlich denkt man doch, man gewöhnt sich irgendwie daran.
Abschiede gehören nun einmal zum Alltag dazu.
Übung macht also den Meister?

Nein.

Ich brauche immer mehr Zeit und Kraft die Gegenwart zu akzeptieren.
Aber jeder Abschied macht mich sensibler für die Zukunft.

Für Momente – klein oder groß.
Für Begegnungen – spontan oder geplant.
Für Hoffnungen – kitschig oder nüchtern.

Und genau hier hat der Abschied nichts verloren.
Ab hier übernehme ich wieder das Ruder.

Fürchtet euch nicht!

Hin und wieder packt mich die Angst.

Und dann beherrscht sie mein Denken und Fühlen.

Und selbst wenn sie unbegründet ist: Ich kann sie nicht immer alleine abstellen. So sehr ich es auch will.

Dann brauche ich jemanden, der*die sagt: „Du brauchst keine Angst zu haben.“

Theoretisch kann das mein eigener Verstand zwar auch. Aber manchmal muss es eben ein*e andere*r sagen. Und nicht irgendein*e andere*r. Am liebsten meine Familie oder meine Freund*innen.

Und wenn die Angst begründet ist?

„Fürchtet euch nicht…“ Für mich sind das magische Worte an Weihnachten. Vielleicht nicht unbedingt die zentralen. Und doch packen sie mich jedes Jahr aufs Neue.

„Ihr braucht keine Angst zu haben!“

Ich kann nur hoffen, dass mir die Worte einfallen, wenn die Angst begründet ist und weder mein eigener Verstand noch die Worte meiner Eltern und Freund*innen helfen können.

Und ich will hoffen, dass sie Recht behalten.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

417 Meter über New York

Normalerweise ist es einfach, einen Schritt nach vorne zu gehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Doch als ich kürzlich im Kino saß, mit der 3D-Brille auf der Nase, und dem Protagonisten auf der Leinwand beobachtete, da dachte ich: Nie und nimmer würde ich diesen Schritt tun, der nun folgen würde. Nie im Leben.

„The Walk“ erzählt eine wahre Geschichte, die von Philippe Petit, einem französischen Hochseilartisten. Er sucht nach immer neuen Orten für den nächsten Nervenkitzel, er will immer weiter über sich hinauswachsen. Petit bricht schließlich auf, um seinen Lebenstraum zu verwirklichen: Auf einem Seil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers zu balancieren. Illegal natürlich – und ohne Sicherung.

Es ist vor allem ein Satz Petits, der mir nachgeht:  „People ask me: ‚Why do you risk death?‘. For me, this is life.“ Das soll das Leben sein? Dieser Schritt auf das Drahtseil, 417 Meter über der New Yorker Innenstadt, den ich niemals tun würde? Muss ich einen Extremsport betreiben, um das „wahre Leben“ zu spüren? Braucht das Leben das Angesicht des Todes, um voll zur Geltung zu kommen?

Je mehr ich darüber nachdenke: Ich würde zwar niemals einen Aufbruch wagen, wie es der Protagonist von „The Walk“ getan hat. Aber ich muss täglich andere Schritte tun, vielleicht nicht Hunderte Meter über New York, aber häufig ohne Absicherung. Ohne die Gewissheit, dass es gut ausgeht. Ich muss Neues wagen, um voranzukommen.

Und dann kommt mir in den Sinn: Vielleicht ist es nicht die Nähe des Todes, die uns das Leben spüren lässt – auch nicht beim Hochseilartisten Petit. Vielleicht spürt man* das Leben dann besonders intensiv, wenn man* über sich hinauswächst. Jede*r in ihrem*seinem Rahmen.

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Gedankenkette

Eigentlich hätte an dieser Stelle der letzte Herbstpost für dieses Jahr stehen sollen – ein Artikel zum Thema Lebensfreude, Schöpfungswunder und Sonnenschein

Aber nach den Anschlägen in Paris erschien mir das seltsam, zu tun als wäre nichts passiert. Auch wenn der Alltag einfach so weiter zu gehen scheint. Zu viele Gedanken bilden lange Ketten in meinem Kopf …

Schrecklich – unvorstellbar –Guter Gott, warum? – Was wird aus dieser Welt? – Zu was sind Menschen fähig? – Was habe ich doch ein behütetes Leben hier im heilen Europa, dass mich dieser Freitag so aus dem Konzept bringt? – Was bleibt von Europa, wenn seine Bürger*innen fordern, die Grenzen zu kontrollieren? – Alltag, das heißt in Aleppo genau das, was uns an den Bildern von Freitagnacht so schockiert – Freitagnacht, da saßen wir mit der Familie um einen großen Tisch und ich habe mich über Kleinigkeiten aufgeregt – Unbegreiflich – Und was ist mit all denen, denen in den kommenden Tagen womöglich noch eine größere Welle Hass entgegenschlägt als bisher? – Die aus den Gebieten kommen, wo der Black Friday zwischen zwei anderen Schreckensmeldungen verlesen würde? – Wer wird sich neben sie stellen in der nächsten Zeit? – Wie wird die Zukunft unserer Welt aussehen?

Gedanken, die unbeantwortet bleiben, die im Licht der Kerzen schimmern, die weltweit real und virtuell brennen als Zeichen für Hoffnung und Solidarität. Nicht nur mit Paris, sondern mit der gesamten Welt. Der Welt, deren Erhaltung uns aufgetragen und anvertraut wurde.

Jetzt reicht’s!

Da ist er – dieser Moment. Der Moment, in dem ich mir denke „Jetzt reicht’s!“

Eigentlich geht’s mir gut. Ich fühle mich fit, das Studium läuft Richtung Ende, mein Kontoauszug jagt mir keinen Schrecken ein und das Wetter ist nach meinem Geschmack. Wie gesagt: Gut.

Eigentlich.

Denn da gibt es noch die anderen. Die Menschen in meinem Umfeld, denen es alles andere als gut geht.

In unregelmäßigem, aber bedrohlich dichtem Takt prasseln Neuigkeiten auf mich ein, die mich fertig machen. Es sind nicht meine eigenen Schicksalsschläge. Und doch treffen sie auch mich. Vielleicht nicht ganz so stark, aber sie treffen mich. Und sie haben das Potential mich umzuhauen. An ihnen ändern auch Studiumsendspurt, Kontoauszug und Sonnenschein nichts. Und das Schlimmste: Ich kann nichts an ihnen ändern.

Meine Ohnmacht macht mich wahnsinnig und wütend. Und ich richte mich an den, von dem ich glaube, dass er keine Ohnmacht kennt, und sage „Jetzt reicht’s!“.

Ob mir das zusteht?

Ich weiß es nicht.

Ich glaube es nicht.

Aber in dem Moment fällt mir nichts anderes ein, was ich sagen könnte.

Die Wunder dieser Zeit?

Wenn Jesus das kann, dann klappt das auch bei mir.

So simpel war mein Gedankengang, als ich mit ca. fünf Jahren versucht habe, aus Wasser Wein zu machen. Hmpf. Ich war schon etwas enttäuscht, dass sich das Wasser in meinem Zahnputzbecher nicht verwandelt hat.
Wenn ich heute daran denke, muss ich lachen. Wie einfach doch mein Glaube damals war. Wasser in Wein zu wandeln. Wunder. Jesus. Alles war so real. So denkbar.

Und heute? 25 Jahre später? Wie ist das mit den Wundern? Gibt es sie nicht mehr? Glaube ich nicht mehr daran?

So einfach fällt mir die Antwort nicht. Das Nein zu Wundern will mir nicht über die Lippen.
Müsste ich dann nicht auch alles andere in Frage stellen? Jesus und so.

Der Falter

Als ich einmal in eine Kirche ging, kam ich, um die Stille zu genießen. Meine Augen erfreuten sich am unverschämt pompösen Schmuck und meine Ohren freuten sich an der Einfachheit der Klänge. Es war still. Nur meine eigenen Füße gaben dem Raum Klang. Und er antwortete mit all seinen Winkeln.

Ich ging bis nach ganz vorne. Drehte meinen Blick und sah Kerzen, die von Fremden entzündet alleine ihren Tanz tanzten. Ich warf eine Münze in den Korb, nahm mir selbst eine Kerze, entzündete sie, stellte sie zu ihren Geschwistern und setzte mich.

Es schien, als ob sie nur für mich tanzen würden. Nach einem Lied, welches nur sie hören können. Ich konnte die Melodie nur in ihren Bewegungen erraten.

Und wie ich dort saß, fasziniert von den Flammen, hörend auf Stille wurde diese durch ein starkes Vibrationsgeräusch unterbrochen. Ein Falter versuchte mit seinen Flügeln das Glas vor sich wegzuschieben.

Er wollte zum Licht und vergaß dabei das offene Fenster im Schatten hinter sich. Er war geblendet. Und in seiner Blindheit versuchte er unaufhörlich durch das Glas zu kommen.

Ich war deprimiert. Ließ meine Kerze allein mit den anderen weitertanzen und verließ die Kirche.

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr…

Es gibt immer wieder Theaterstücke, die mir etwas über mich und mein Leben sagen. Eines dieser Stücke ist das Musical „next to normal“. Geschildert wird das Leben einer fast normalen US-amerikanischen Kleinstadtfamilie, die mit den Depressionen und Wahnvorstellungen der Mutter zu kämpfen hat. Während sich das scheinbar perfekt eingerichtete Familienidyll zersetzt, fasst besagte Mutter nach einem Selbstmordversuch den Entschluss, ihren Mann zu verlassen, der sich all die Jahre um sie gekümmert hat.

Als also am Ende des Musicals alles in Trümmern liegt, was 2,5 Stunden vorher noch als eingespieltes und intaktes Familienporträt erschien, sehen wir einen am Boden zerstörten Familienvater vor uns. Seine Tochter kommt, um ihn aufzubauen und beginnt damit, das Lied „Light“ zu singen, in das nach und nach alle Charaktere des Stücks einsteigen.

Dieses Lied ist für mich in vielerlei Hinsicht wichtig geworden. Die große Hoffnung, die sich hier aus den Ruinen der heilen Welt schält, lässt mich einfach nie unberührt.

Der Schlüsselsatz ist für mich dabei: „The wasted world we thought we knew – the light will make it look brand-new.“

Egal wie sehr die Kacke auch am Dampfen ist; egal wie schlecht du dran bist; egal was schiefläuft; egal wie sehr diese Welt, von der du dachtest einen Plan zu haben, auch aus den Fugen gerät,

es wird letzten Endes alles wieder gut.

Alles halb so viel, wenn man Dinge im rechten Licht betrachtet. In einem, das wir alle brauchen und das wir alle in unserem Leben scheinen lassen können.

Kitschig? – Ja.

Überzogen? – Mag sein.

Wahr? – Hoffentlich.

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