Nie erwachsen

Ich muss es wohl zugeben: Genau wie Tabaluga, Peter Pan und Bushido habe ich so meine Problemchen mit dem Erwachsenwerden und -sein. Vor allem, weil ich gerne Unsinnigem nachgehe. Etwas, das keinen Platz hat, wenn ich 6 Uhr morgens zur Arbeit muss, den ganzen Tag im Büro Wichtiges erledige und mich dann, wenn ich wieder nach Hause komme, erstmal über die Anstrengungen der Arbeit aufrege, bis ich fernsehguckend auf dem Wohnzimmersofa einschlafe.

Mein ganz persönlicher Albtraum ist eine Routine aus aufstehen, arbeiten, aufregen, einschlafen. Ein Korsett, in dem kein Platz mehr für lustige, aber rein rational unnötige Projekte ist. Oder einfach mal eine Runde am Computer zocken. Wunderbare Zeitverschwendung.

Und nun musste ich im Gespräch mit einem guten Freund feststellen: Huch, so schnell ist man erwachsen und so schlimm haben wir uns dann doch nicht entwickelt. Ja, es gibt andere Prioritäten. Ja, die Zeit wird nicht mehr so zwanglos verschwendet wie früher. Aber, und das ist einfach gut festzustellen, es ist immer noch genug Zeit für Quatsch da.

Bis jetzt habe ich es geschafft dem Korsett zu entgehen, obwohl ich gestern Die Zeit lesend auf der neuen Gartenlounge auf der Terrasse meines Hauses gesessen habe, während meine Tochter im Garten spielte.

Absolute Wahnsinnsshow

In den letzten Tagen habe ich immer wieder Fettes Brot mit „An Tagen wie diesen“ auf meinen Ohren. Zum einen, weil es ein ziemlich geniales Lied ist, und zum anderen, weil es meine aktuelle Ratlosigkeit im Hinblick auf die Welt gut in Worte fasst.

Das Lied beschreibt den Alltag von drei Personen, die davon berichten wie Schreckensmeldungen (Erst wird die Nachbarskatze überfahren, anschließend wird die globale Hungersnot thematisiert und in der dritten Strophe geht es um einen Anschlag mit sechs Toten.) immer wieder ihren Alltag streifen. Statt jedoch von den Meldungen berührt zu werden, den Alltag zu unterbrechen und eventuell etwas an ihren Gewohnheiten zu ändern, machen sie einfach im Gewohnten weiter.

Es ist eine Lähmung über die Faszination dieser „absoluten Wahnsinnsshow im Fernsehn und im Radio“, die eben nicht den Alltag unterbricht und die Protagonisten in totaler Überforderung  zurücklässt („Die Fragen bohr’n so gnadenlos, an Tagen wie diesen.“). Es ist ein Hin-und- her-gerissen-Sein zwischen Erschrecken, Alltagsbewältigung und lähmender Überforderung.

Und genau so fühle ich mich in den letzten Tagen, wenn ein Dekret nach dem nächsten, eine hohle Phrase nach der anderen sich gegen eine Welt stellen, die ich, auch aus meiner christlichen Überzeugung heraus, für richtig halte. Doch ich habe keine Lust mich davon lähmen zu lassen.

Es ist mir nicht egal, wenn eine Person Leute systematisch diskriminiert, wenn offensichtlich falsche Informationen verbreitet werden und das eigene Egoglück die Rechtfertigung für alles wird. Aber bei allem, was da passiert, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich einfach nur ungläubig dastehe und mir denke: „Was ist das denn bitte für eine absolute Wahnsinnsshow?“

Irgendwann 2017

„2017 wird mein Sterbejahr sein.“

Ich schlucke. Das sitzt. Eine Reaktion auf diesen Satz kostet Zeit.

Also erzählt sie, dass sie einfach nicht mehr könne.
Für ihre 94 sei sie zwar noch einigermaßen fit, doch eben nicht fit genug.
Das sei doch kein Leben mehr.
Und außerdem werde es stetig schlechter. Und anstrengender.

Sie hat es schwer. Womit genau?
Vielleicht mit dem Mensch-Sein so wie es für sie mittlerweile ist.
Vielleicht mit dem Gefühl, nicht mehr wirklich Mensch zu sein.
Oder mit der Angst, durch ihre Pflegebedürftigkeit andere Menschen am Mensch-Sein zu hindern.
Wahrscheinlich spielen all diese Aspekte zusammen und machen ihr das Leben schwer.

Sie sucht nach Erleichterung.
Die hat dann Gott für sie parat, hofft sie.

Wie das wird? Und wie oder was sie dann wird?
Es wird besser, glaubt sie.

Irgendwann 2017.

Immer noch Mensch…

Nichtsahnend stand ich an einem Dienstag im Dezember an einer Bushaltestelle in Trier-Heilig Kreuz. Ich wartete auf den Bus, als ich völlig belanglos über die Straße aufblickte, eine Plakatwand entdeckte und mir dann die Worte, die dort standen, ins Herz stachen:

„Immer noch Mensch“

So heißt das aktuelle Album von Tim Bendzko, womit er 2017 auf Tour geht und dafür wirbt die Plakatwand.

Diese drei Worte haben mich in dem Moment voll erwischt.

Bei allem, was in meinem Leben schon so passiert ist, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Trotz all der Menschen, die ich schon verloren habe (und dazu müssen sie nicht gleich gestorben sein), bin ich IMMER NOCH MENSCH…

Mit allem, was in diesem Jahr los war, und wenn ich so drüber nachdenke, war das eine ganze Menge schöner aber auch nicht so schöner Dinge, bin ich IMMER NOCH MENSCH…

… Oder vielleicht gerade deswegen?

Tim Bendzko - Keine Maschine (Offizielles Video)

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Meine Freiheit ist mir heilig – oder?

„Schreib, wenn Du zuhause bist.“ – „Mach ich. Du aber auch.“

Verrückt. Vor allem, weil es nicht meine Mama ist, die mich darum bittet, sondern die Freundin, mit der ich gerade was trinken war. Und der Heimweg auch keine dreistündige Autofahrt, sondern 10 Minuten mit dem Fahrrad ist. Hätte mir jemand vor 2 Monaten erklärt, wie bereitwillig ich auf solche Aufforderungen reagiere, hätte ich nur verwundert den Kopf geschüttelt. Meine Freiheit, überall und zu jeder Zeit hinradeln oder –gehen zu können, ohne dass jemand darüber Bescheid wissen muss, war mir heilig. Nachts alleine durch die halbe Stadt, macht mir doch nichts aus. Das mulmige Gefühl im Wald einfach weggepfiffen.

Doch gerade ist es irgendwie sehr bewusst, wie angreifbar und verletzlich wir sind. Wir geben zum ersten Mal zu: Naja, mulmig war mir da ja schon immer. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist nicht höher, aber präsenter geworden. Rational also völliger Bullshit, jetzt anzufangen, solche Nachrichten mit „Bin gut angekommen“ zu schreiben. Irrational auch die Angst in mir. In mir, die nach den Anschlägen von Paris im letzten Jahr gesagt hatte „Jetzt erst recht!“ – Weihnachtsmarkt, Festival, Großstadt. Es nervt mich, wie erleichtert ich bin, wenn mich ein „Gut angekommen“ erreicht und wie pflichtbewusst ich das meine zurückschicke.

Es macht mir so krass bewusst, wie viel mir meine Freiheit wert ist. Und wie wichtig mir meine Freund*innen sind. Und wie vergänglich alles ist. Freiheit, Frieden, Leben. Was hilft? Irgendwie nicht viel.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

„…einen ewigen Namen gebe ich ihnen…“

„Mein Name ist Michael Michels“. Das sorgt oft, wenn nicht gerade ein Peter Peters oder Jens Jensen vor mir steht, für Lacher oder skeptische Blicke. Entweder werden meine Eltern als „kreativ“ gelobt oder ich bemitleidet. Oft drehen sich Gespräche um meinen Namen. So ist auch mit Blick auf meine Hochzeit und die anstehende Ehe eine der meist gestellten Fragen: „Wie macht ihr es mit euren Namen?“

Ich bin Michael Michels; bald 24 Jahre. Mit diesem Namen zu leben gehört zu meiner Identität; ganz zu meinem Wesen. Ich würde fast behaupten, dass einen Teil meiner Art, wie ich mich vor und zu anderen Menschen verhalte, von diesem Namen bestimmt ist. „Michael Michels, Vor- quasi wie Nachname“: So stelle ich mich öfter selbst zum Beispiel am Telefon vor.

Seit zwei Wochen beschäftigt mich das Thema „Name“ nochmal ganz neu. Ich habe dort im Rahmen einer Exkursion das Konzentrationslager Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht.

Ich kann und möchte gar nicht erst versuchen, euch meine Gefühle und Gedanken niederzuschreiben, die ich mit diesen Orten und den dortigen Ausstellungen verbinde. Es geht sowieso nicht. Auch weil ich gar nicht weiß, was ich in Anbetracht von Zahlen und Fakten, die man nicht verarbeiten kann, Ausstellungsstücken und Bildern, deren Grauen jede Vorstellbarkeit übersteigt und abertausenden Lebensgeschichten, über deren schreckliches Ende ich nicht traurig genug sein kann, fühlen oder denken soll.

Gefangene, die nach Auschwitz kamen, bekamen ihre Häftlingsnummer auf die Haut tätowiert. Von diesem Moment an trugen sie offiziell ihren Namen nicht mehr; waren nichts anderes als eine Nummer, ein Platz auf einer Liste in einem abartigen, perversen Mordsystem.

Aus Namen wurden Nummern. Aus Menschen wurden Nummern. Mit der Nummer war eine Entmenschlichung der Gefangenen auf die Spitze getrieben. Ich komme da nicht darauf klar….

Die Gedenkstelle Yad Vashem hat auch in Auschwitz selbst eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet. In einem gigantischen Buch sind alle Namen erfasst, die bisher als Opfer des Holocausts bekannt sind. Für mich war es verstörend sich durch unzählige Seiten zu blättern. Zugleich fand ich es wunderschön, dass man hier eine entscheidende Korrektur an diesem unmenschlichen System vorgenommen hat: Aus Nummern wurden wieder Namen.

In Yad Vashem selbst werden im Kinderraum in einer Endlosschleife alle bekannten Namen der im Holocaust ermordeten Kinder vorgelesen. Für 1,5 Millionen Namen braucht das Band drei Jahre. Dann geht es wieder von vorne los. All den unschuldig ermordeten Kindern werden wieder Namen gegeben. Jedem einzelnen!

„Ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird“ (Jes 56,5)

Gott, ich kann dir gar nicht genug dafür danken, einen Namen zu tragen.

Fun mit dem Hampelmann Jesus

Christliche Kinderfreizeiten, hach, die sind schon was Tolles. Da haben nicht nur die Kids, sondern auch die Mitarbeiter*innen Fun. Es gibt mindestens zweierlei Arten: Zum einen die, die eine erlebnisreiche gemeinsame Woche beim Zelten verbringen. Und zum anderen die, die dabei noch ein Musikvideo zum „ultimativen Kids-Freizeitsong 2016“ drehen und das anschließend bei Youtube reinstellen, um das Image der Christenheit aufzupolieren. Oder so.

Sommerhit 2016 – Kennst du Jesus? (Zukunft für DICH)

Die einen freut’s wie ein Hampelmann, mich schüttelt’s wie einen Zitteraal. „Ich will mit Jesus geh’n, [..] so hab ich kein Problem!“ und „Du kannst alles von ihm haben, komm und leb‘ in seinem Licht“.

Dass das noch niemand entdeckt hat: Leb‘ als Christ*in und alles ist gut. Keine Probleme, alle Wünsche werden dir erfüllt. (Nicht verraten: Geht mir seit Jahren so, ich erzähl es nur nicht weiter – sonst müsste ich Gott, der mich – zurecht – zum Mittelpunkt des Universums macht, ja mit anderen teilen.) Warum erzählt man Kindern sowas? Warum tut man das? Warum nur? Warum? 

Ein solches Gottesbild setzt mich so sehr unter Strom, dass ich eigentlich meinen Laptop künftig gar nicht mehr aufladen müsste. Der Hampelmann ist in dem Song in Wirklichkeit nicht die Sängerin, auch wenn sie das behauptet („Ich freu mich wie ein Hampelmann, mit dir macht’s einfach Fun!“). Der Hampelmann in der Geschichte ist Jesus: Zieh unten an der Schnur, und er macht genau, was du erwartest. Und verkommt dabei zur völligen Witzfigur.

Ein letzter Sommertag

Es ist noch dunkel im Zimmer. Der Wecker – zum zweiten Mal – vertröstet. Noch fünf Minuten. Bitte! Ein paar Sonnenstrahlen, die sich zwischen Kleiderschrank und Vorhang durchzwängen, lassen einen heißen Tag erahnen. Ein letzter Sommertag.

Mein Handy klingelt. Papa meint das Display. Papa? frage ich mich. „Papa?“ frage ich in den Hörer. So früh? Naja, acht. „Sitzt du?“ Nein, ich liege noch. Noch fünf Minuten. Bitte! „Es ist was Schreckliches passiert.“ Was Schreckliches? So redest du sonst doch nicht? Dann sagt er einen Namen. Dann etwas Unmögliches. Etwas Undenkbares. Was Schreckliches.

Eine Bekannte meiner Eltern. Eine ihrer Trauzeuginnen. Mehr: eine Freundin der Familie.

Mehr: eine neunundvierzigjährige Mutter einer kleinen Tochter. Neun vielleicht. Neun. Und. Vierzig. Eine Ehefrau. Eine Tochter. Eine Schwester. Eine, die immer fragt. Wie es ist. Wie es geht. Vor drei Wochen hat sie mir noch einen Espresso gekocht. Was Schreckliches.

„Scheiße.“, sage ich in den Hörer. „Scheiße“. Mehr kann ich nicht sagen. Mehr kann ich nicht denken. Und –  eingekocht in ein fünf Buchstaben großes Klischee – die eine Frage, die nicht gestellt werden kann, geschweige denn beantwortet: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Irgendwie kam ich dann doch zum Fenster. Vorhang auf: Ein letzter Sommertag.

Morgens kurz ins Büro. Ging alles irgendwie. Irgendwie normal. Ging alles irgendwie gut.

Für den Nachmittag hatte sich schon länger Besuch angemeldet. Gemeinsames Kochen. Gemeinsames Schwitzen beim Spazieren. Gemeinsamer Blick in die Weite und zwischen alledem immer wieder ein Thema. Was Schreckliches. Und ein Wort. Scheiße.

Meine Ohren klingeln. Zwei Wörter sind zu wenig, ein Wort ist zu viel. Alles, was gesagt wird, und was gesagt werden wird, steht dem Nichts gegenüber, was gesagt werden kann. Gemeinsamer Blick in die Weite. In das blaue weite Nichts. Ein Blick nach oben – wohin ist doch egal, hast du uns das nicht so gesagt? Dass du da bist? – eine Frage nach oben: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Die Sonne scheint. Keine Wolke. Etwas Wind. Ein letzter Sommertag.

Gegen Abend verabschieden wir uns. „Schön, dass ihr da wart.“ Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart. Und dann, die Tür ist zu, die Klinke noch in meiner Hand, ein Lächeln. Ein Lächeln, irgendwie echter als jedes andere an diesem dann doch irgendwie normalen Tag. Warum? Das wird sich mir nicht erschließen, vermutlich nicht. Aber dass du da bist, habe ich irgendwie verstanden, auch wenn ich auf diese Erfahrung so gut und gerne hätte verzichten können. Scheiße. Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart.

Weil ich das Lächeln, allein in meiner Wohnung, unpassend finde, höre ich wieder auf damit. Komme wieder zu dem einen Wort zurück, das diesen Tag so schrecklich treffend durchzieht: Scheiße.

Ich bleibe am Kalender hängen. Ein Abreißkalender, dessen Blätter ich in einen kleinen Karton stecke, wenn ihre Tage gezählt sind. Montag. August. Einunddreißig.

Der letzte Sommertag.

 

So don’t let me, don’t let me, don’t let me down!

Völlig am Ende.
Kurz davor durchzudrehen.
Schreiend und flehend.
Der einzige Ausweg:
Ein Wunder.

Alleingelassen.
Enttäuscht.
Wütend.
Und doch:
Hoffnung, dass genau jetzt doch jemand da ist.

Ein Klagepsalm.

The Chainsmokers - Don't Let Me Down (Video) ft. Daya