Beten statt Tun

„Wann sollen wir zum Renovieren kommen? Brauchst Du Hilfe bei den Vorbereitungen? Sollen wir was mitbringen?“ Das waren Fragen, mit der ich eine liebe Freundin unterstützen wollte, die gerade an einem coolen Projekt dran ist (sowas mit Kaffee, Keksen, Gott und Gemeinschaft).

Zurück kam: „Mitbeten ist gerade alles, was ich brauche.“ Ich gebe zu, da hab ich erstmal geschluckt. Und als dann noch jemand schrieb „Ja klar“, und ich erkennen musste, dass ich das war (macht man ja so als gute kirchliche Mitarbeiterin und Theologin), bin ich zusätzlich ganz ordentlich erschrocken. So als „Glauben in der Tat“-Mensch fallen mir die lebenspraktischen Dinge häufig leichter als fromme Worte zu gefalteten Händen. Helfen geht aber grundsätzlich immer und der Impuls hat da wohl gesiegt.

Das Ganze ist es für mich ein riesiger Denkanstoß… Wann hab ich eigentlich mit Gott das letzte Mal gesprochen (abgesehen von so kleinen Stoßgebeten à la „Bitte lass die Ampel grün werden / meinen geflickten Fahrradreifen halten / Das ist ja ein toller Sonnenuntergang – ach guck mal da, ein Vogel…“)?
Nun hab ich also versprochen, für jemanden und deren Herzensangelegenheit zu beten. Irgendwie ist man da ja schon verantwortlich, oder?

Also nicht dafür, dass es klappt, aber dafür, diejenige und ihr Projekt „vor Gott zu bringen“. Jetzt einfach nix machen, geht ja auch nicht – und renovieren ist grade nicht. Also beten. Herausforderung angenommen.

Zwischen

Zwischen ist so ein schönes Wort. Denn es beschreibt Übergänge, die mein Leben ausmachen. Das Studium gleitet in den Beruf über. Ein Zustand, den ich durchaus schätzen gelernt habe. Der aber an Tagen, die ich in den Räumen verbringe, die sieben Jahre lang mein Zuhause waren, Wellen der Nostalgie und des Selbstmitleides auslöst. Inzwischen verändert sich auch dieser Raum, wird umgebaut, und scheint sich damit dem gesamten Prozess, den man so als Uni-nach-7-Jahren-Beenderin durchmacht, anzupassen.

Eine Übergangsphase, ein Umbau, unfertig. Zwischen alt und neu, zwischen Vergangenheit und Zukunft (wenn man das so episch sagen will). Ich überlege, ob es nicht immer nur ein Dazwischen gibt, ob dieser Mythos vom „Ankommen“ nicht völliger Quatsch ist. Immer kommt etwas Neues auf uns zu, immer liegt etwas anderes hinter uns, der Horizont (schon wieder so ein episches Wort) zieht.

Es gibt Tage, da fällt das weniger auf, da erscheint mir das natürlich und selbstverständlich, immer auf was Neues zu schielen, mich auf Dinge vorzubereiten und die dann hinter mir zu lassen.

An anderen Tagen (heute ist so einer) ist das Dazwischen schwer zu ertragen. Wo bin ich denn zu Hause? Wo will ich eigentlich hin? Warum liegen so viele Sachen schon hinter mir? Warum bin ich nie zufrieden mit dem, was gerade ist?

Dazwischen. Im Alten Testament bedeutet Gottes Name „Ich bin da.“ Und dass „da“ überall und nirgendwo ist,  zeigt er immer wieder ziemlich eindrucksvoll im „Zwischen“. In den Zweigen des Dornbusches, der Feuer fängt, bei den Jüngern, die nachdem Jesus gestorben war, kopflos durch die Gegend liefen. Und gerade ja auch zwischen den Zeiten, irgendwo zwischen Damals – Jetzt – Ewigkeit.

Deshalb: Gott, auf ein Wort im Zwischen.

Mehr zwischen gibt’s unter http://netzgemeinde-dazwischen.de/

Helikopter-Gott

Vor ein paar Tagen habe ich im Fernsehen einen Beitrag über sogenannte „Helikopter-Eltern“ gesehen. Aus unterschiedlichen Gründen, aber immer auf einem fragwürdigen Verständnis von Liebe basierend, überwachen und behüten solche Eltern absolut überfürsorglich ihre Kinder – sie umkreisen sie immer, eben wie Beobachter*innen in einem Helikopter.

Im Beitrag wurden verschiedene Beispiele gezeigt; für mich eines irritierender als das andere: Grundschulen, die vor der Schule sogenannte „Kiss and go“-Zonen einrichten, die verhindern sollen, dass Eltern ihre Kinder sogar bis vors Klassenzimmer bringen; Jugendliche, die dem Druck ihrer überfürsorglichen Eltern nicht standhalten und Polizist*innen, die davon berichten wie oft Eltern von Studierenden sich bei der Polizei mit der Bitte melden, mal in der Studentenbude vorbeizuschauen, da sie das Kind seit geschlagenen sechs Stunden nicht erreichen.

Ich musste an mehreren Stellen bei diesem Beitrag schmunzeln und bin sehr froh, dass meine Eltern nicht so sind. (Auch hoffe ich, dass ich als Vater nie so sein werde.)

Am nächsten Tag habe ich mit einem Freund beim Fußball über diesen Beitrag gesprochen. Ich habe ihm ungefähr genau das erzählt, was ich gerade aufgeschrieben habe. Sofort warf er mir vor: „Ach komm, du bist katholisch! Das ist so übelst Helikopter! Gott guckt jeden die ganze Zeit an und so…“

Da war ich platt. Normalerweise gebe ich mich in Diskussionen nicht so leicht geschlagen, aber bei diesem Einwurf hatte ich so schnell keine passende Antwort parat. Denn so wie er und ich es damals im Kommunionuntericht und Co. beigebracht bekommen haben, mit der Rede über einen Gott, der immer über einen wacht, so ist das schon ziemlich Helikopterstyle.

Es ging mir einfach nicht aus dem Kopf.

Ich bin den Beitrag mit seinen Beispielen nochmal durchgegangen. Und vielleicht zeigt sich ja durch das ständige Begleiten und Sorgen auch eine besonders Art von Liebe und Zuneigung der Eltern. Vielleicht. Aber Gott handelt anders: Bei Jona gab es vor Ninive keine „Kiss and Go“-Zone, der Prophet Ijob wurde von Gott unter großen Druck gesetzt und bei Jesus kam auch kein*e Polizist*in, nur weil er mal 40 Tage in der Wüste war. Nein, mein Gott ist kein Helikopter. Mein Gott hat Zutrauen. Das ist echte Liebe.

Eine Ahnung von dem, was kommt

Zugegeben: Es sind nicht die geschliffensten Worte, die aus dem Mund meiner Tochter kommen. Tiere werden eher durch ihre Laute klassifiziert („brumm, brumm“ für die Biene, „waaaah“ für den Löwen), als mit ihrem Namen angesprochen und der Hunger mit einem einfachen „njam njam“ ausgedrückt. Ja, all das ist noch weit entfernt von rhetorischer Perfektion oder einer verständlichen Umgangssprache. Aber ich verstehe sie.

Es fasziniert mich wie konkret „Mensch werden“ ist, wenn ich dabei zuschaue, wie sie Mensch ist. Jeden Tag etwas Neues dazulernt und etwas mehr von der Welt um sie herum entdeckt.

Aber was mich am allermeisten fasziniert, mich manchmal auch ganz fassungslos zurücklässt, ist der Ausblick auf das, was kommt. In ihrem Gebrabbel höre ich die Reden, die sie mal sprechen wird, und das „Nein, Papa du bist so peinlich.“, was ganz bestimmt kommen wird. Wenn sie Bauklötze aufeinanderstapelt, weiß ich, dass sie auch mal etwas macht, worüber ich staunen werde, was ich selber nicht geschafft habe. All die kleinen Momente, die mir zeigen, dass sie immer mehr wächst und irgendwann auch über mich hinaus.

Und während ich mir das denke, guckt sie mich nur mit großen Augen an und sagt: „Popo.“
Die Freude, dass sich das in Zukunft auch ändern wird.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2016 zum Thema Mensch werden. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015 oder in unserem Online Adventskalender.

Ich bin nur ein Mensch

Christina Perri - Human [Official Video]

Es gibt ein Lied von Christina Perri, an das ich in letzter Zeit oft denke. „Human“ heißt es. Sie singt darin:

I can do it
But I’m only human
And I bleed when I fall down
I’m only human
And I crash and I break down
Your words in my head, knives in my heart
You build me up and then I fall apart
‚Cause I’m only human

Ich bin nur ein Mensch, ich blute, wenn ich falle. Ich bin nur ein Mensch, ich mache Fehler und entschuldige mich bei dem*rjenigen, den*die ich verletzt habe. Ich kann aber auch verzeihen und anderen etwas Gutes tun. Als Mensch bin ich nun mal nicht unfehlbar. Gleichzeitig erwartet die Gesellschaft von uns aber immer häufiger, dass wir uns unfehlbar geben, auf Knopfdruck funktionieren wie Maschinen und keine Schwäche zeigen.

Ich kann als Mensch vieles, auch anderen etwas vormachen – wie oft geht es uns nicht gut und wir antworten auf die Frage dennoch: mir geht es gut. Wir lächeln gezwungen, tanzen und singen, dabei möchten wir uns verstecken. Wir können das, aber verleugnen wir uns nicht dabei? Versuchen wir nicht so uns anzugleichen, unsere Individualität zu verstecken?

Ähnlich ist es auch im Videoclip zu „Human“. Christina Perri steht, sitzt und läuft, verletzlich und leicht bekleidet. Ohne jegliche Zusätze, die von ihr ablenken könnten. Sie steht ganz im Fokus. Zwischendurch werden einzelne Körperteile von ihr beleuchtet, im Inneren ist sie eine Maschine. An einer Stelle bricht sie aus der Perfektion aber aus, sie wird ganz sie und ihre Tattoos sind nicht mehr überschminkt. Man sieht Christina Perri, den Menschen, nicht ihre Fassade.

Denn trotz meiner Fehler bin ich als Individuum gleichzeitig etwas ganz Großes, denn ich bin ein Mensch: Ich bin ich, einmalig, unverwechselbar. Jede*r von uns hat ihre*seine eigenen Interessen, einen Modegeschmack, eine Lieblingsmusik. Auch wenn wir von Seelenverwandtschaft reden, von Ähnlichkeiten, die kein Zufall mehr sein können, so ist jede*r dennoch ein Individuum. Es haben sich aber zwei gefunden, die zusammengehören.

Ja, als Mensch kann ich vieles, aber am Besten ist es doch, wenn ich einfach nur ich selbst bin.

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Wutfahrerin

Ich sage es offen heraus: Am Steuer eines Autos hört mein Mensch-Sein auf!

Denn sobald ich die Wagentür zuschlage, den Motor starte und die Boxen meiner Musikanlage bis zum Anschlag aufdrehe, lege ich auf wundersame Weise das ab, was mir sonst als Mensch, als Christin, als Madeleine doch so wichtig ist:

Meine Freundlichkeit und Gelassenheit verwandelt sich in blanke Wut über den Sonntagsfahrer, der vor mir auf der Landstraße mit 60 km/h rumschleicht, während ich ihm die Pest und noch viel schlimmere Dinge an den Hals wünsche und ihm so nah auffahre, dass ich fast die Maschen seiner umhäkelten Klorolle zählen kann.

Mein ökologisches Bewusstsein weicht meiner Bequemlichkeit, weil ich es viel angenehmer finde, morgens mit meinem Auto hoch zur Uni zu fahren, als die viertel Stunde früher das Haus zu verlassen, zur Bushaltestelle zu pilgern und – für ganze sieben Minuten – in einem gar nicht so überfüllten Bus zu stehen.

Meine Ehrlichkeit und mein Gerechtigkeitssinn verabschieden sich in dem Moment, in dem ich mich auf den Mutter-Kind-Parkplatz stelle oder anstatt ein Ticket zu ziehen, es mal wieder darauf ankommen lasse. Von den Geschwindigkeitsüberschreitungen mal ganz zu schweigen.

Meine Sorge um mich und meine Mitmenschen verschwindet dann, wenn ich während der Fahrt zum Handy greife und in den WhatsApp-Familienchat schreibe, dass ich in 20 Minuten zu Hause sein werde, oder wenn ich auf der Autobahn bei schmierig-nasser Strecke einen LKW überhole, nur damit ich die eine Minute früher an meinem Ziel ankomme.

Viel zu oft läuft das so. Aber wieso mache ich das? Wieso lasse ich es mir selbst durchgehen, dass ich als Autofahrerin meine moralischen Prinzipien und das, was mich ausmacht, über Bord werfe, es quasi in der Welt außerhalb meines PKWs zurücklasse, während ich in ein nach Wunderbaum duftendes Paralleluniversum eintauche, in dem ich zu einer Wutfahrerin mutiere? Bedeutet Mensch-Sein, Christ*in-Sein, Madeleine-Sein nicht auch, es 24/7 zu sein? Daran muss ich arbeiten.

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Mensch-Werden heißt Begleitet-Werden

Seit ich das Thema des Adventskalenders kenne, habe ich mich gefragt: Mensch-Werden – was heißt das? Wie geht das? Was steckt da alles dahinter?

Ich glaube mittlerweile, dass Mensch-Werden ganz unterschiedliche Facetten und Wege kennt, und habe nicht das Gefühl auch nur annähernd dahinter gekommen zu sein, was es ganz konkret heißt, aber ich bin mir bei einer Sache ziemlich sicher:

Mensch-Werden gestaltet sich maßgeblich durch das Begleitet-Werden.

Die Menschen, die mir zur Seite stehen, lassen mich der Mensch werden, der ich bin. Das können positive wie negative Begleitungen oder Begegnungen sein. Ein Gespräch, eine Meinungsverschiedenheit oder eine Situation, die hängen bleibt, löst etwas in mir aus und treibt so meine Entwicklung immer wieder ein Stück voran. Sie können jahrelang dabei oder nur ein Intermezzo in meinem Leben sein, aber ich glaube, jede Begegnung, jede noch so kleine Wegbegleitung, prägt mich und macht aus mir den Menschen, der ich bin und sein werde!

Denn es ist ein ewiger Prozess. Das Begleitet-Werden, also das Mensch-Werden, hört niemals auf. Wir kommen an Menschen, die uns in unserem Leben begegnen und begleiten nicht vorbei. Manchmal wollen sie uns begleiten, hängen an uns und begleiten uns ganz bewusst. Aber manchmal sind sie auch einfach nur zufällig in unser Leben getreten, oder wir sind durch ein einschlägiges Erlebnis mit ihnen verbunden. Gleich auf welche Weise die Menschen zu unserem Leben gehören, sie lassen uns Mensch werden und dafür sollte man aus meiner Sicht dankbar sein.

Ich werde deswegen den heutigen Tag den Menschen widmen, die mich bis hierhin begleitet haben und noch immer begleiten, all denen, die mir beim Mensch-Werden geholfen haben.

Und vielleicht gibt es heute ja sogar die ein oder andere Gelegenheit sich bei unseren Begleiter*innen zu bedanken.

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Sein oder werden, das ist hier die Frage.

In Kirchenkreisen hört man öfters, dass man* es wie Gott machen und Mensch werden soll.
Aber warum soll ich Mensch werden? Ich bin es doch schon längst?!
Oder werde ich das wirklich erst?

Und wenn ja, wie eigentlich?
Älter werden?
Erfahrungen sammeln?
Gut sein?
Gut werden?
Andere Menschen Mensch sein lassen?

Und wenn ja, wann denn?
Sobald ich will?
Sobald ich kann?
Kurz vor knapp?

Und wenn ich Mensch geworden bin: Bleibt das?

So viele Fragen…
Mensch werden… Wohl mindestens genauso kompliziert wie erwachsen werden.

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„…einen ewigen Namen gebe ich ihnen…“

„Mein Name ist Michael Michels“. Das sorgt oft, wenn nicht gerade ein Peter Peters oder Jens Jensen vor mir steht, für Lacher oder skeptische Blicke. Entweder werden meine Eltern als „kreativ“ gelobt oder ich bemitleidet. Oft drehen sich Gespräche um meinen Namen. So ist auch mit Blick auf meine Hochzeit und die anstehende Ehe eine der meist gestellten Fragen: „Wie macht ihr es mit euren Namen?“

Ich bin Michael Michels; bald 24 Jahre. Mit diesem Namen zu leben gehört zu meiner Identität; ganz zu meinem Wesen. Ich würde fast behaupten, dass einen Teil meiner Art, wie ich mich vor und zu anderen Menschen verhalte, von diesem Namen bestimmt ist. „Michael Michels, Vor- quasi wie Nachname“: So stelle ich mich öfter selbst zum Beispiel am Telefon vor.

Seit zwei Wochen beschäftigt mich das Thema „Name“ nochmal ganz neu. Ich habe dort im Rahmen einer Exkursion das Konzentrationslager Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht.

Ich kann und möchte gar nicht erst versuchen, euch meine Gefühle und Gedanken niederzuschreiben, die ich mit diesen Orten und den dortigen Ausstellungen verbinde. Es geht sowieso nicht. Auch weil ich gar nicht weiß, was ich in Anbetracht von Zahlen und Fakten, die man nicht verarbeiten kann, Ausstellungsstücken und Bildern, deren Grauen jede Vorstellbarkeit übersteigt und abertausenden Lebensgeschichten, über deren schreckliches Ende ich nicht traurig genug sein kann, fühlen oder denken soll.

Gefangene, die nach Auschwitz kamen, bekamen ihre Häftlingsnummer auf die Haut tätowiert. Von diesem Moment an trugen sie offiziell ihren Namen nicht mehr; waren nichts anderes als eine Nummer, ein Platz auf einer Liste in einem abartigen, perversen Mordsystem.

Aus Namen wurden Nummern. Aus Menschen wurden Nummern. Mit der Nummer war eine Entmenschlichung der Gefangenen auf die Spitze getrieben. Ich komme da nicht darauf klar….

Die Gedenkstelle Yad Vashem hat auch in Auschwitz selbst eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet. In einem gigantischen Buch sind alle Namen erfasst, die bisher als Opfer des Holocausts bekannt sind. Für mich war es verstörend sich durch unzählige Seiten zu blättern. Zugleich fand ich es wunderschön, dass man hier eine entscheidende Korrektur an diesem unmenschlichen System vorgenommen hat: Aus Nummern wurden wieder Namen.

In Yad Vashem selbst werden im Kinderraum in einer Endlosschleife alle bekannten Namen der im Holocaust ermordeten Kinder vorgelesen. Für 1,5 Millionen Namen braucht das Band drei Jahre. Dann geht es wieder von vorne los. All den unschuldig ermordeten Kindern werden wieder Namen gegeben. Jedem einzelnen!

„Ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird“ (Jes 56,5)

Gott, ich kann dir gar nicht genug dafür danken, einen Namen zu tragen.