Aufstehn

Seeed - Aufstehn (official Video)

Die Sonnenstrahlen brechen durch die Rollos deines Zimmers.
Du erkennst sie blinzelnd. Stechen in deinem Kopf.
Den Geschmack der letzten Nacht auf der Zunge.

Dein Wecker beginnt den Tag. Unnachgiebig piepst er. Will, dass du ihn drückst.
Du tust es. Aber nicht so zärtlich. Eher so genervt. Eher so mit voller Kraft.
Mit deinem alten Wecker wäre es gegangen, aber deinem Handywecker ist es egal, ob du draufhaust.
Du drehst dich zur Seite, entsperrst den Wecker. Kein Snooze.

Du solltest endlich aufstehen. Die Rollos hochziehen. Dich bereit machen.
Kopfschmerzen vergessen und in den Tag starten.

Die Welt wartet auf dich.
Es könnte der beste Tag deines Lebens werden.

Peng und dann weiter

Ich öffne meine Augen.
„Zu früh., gestern zu lang.“, sind die ersten Gedanken dieses viel zu lauen Wintermorgens.
Zwei Kaffee später stehe ich unter der Dusche und realisiere Zeit, Raum und wie unnütz es eigentlich ist an diesem Morgen zu duschen.
„Bitte wird man da nicht super dreckig“, flehe ich grammatikalisch inkorrekt in den Raum.
Egal, die Zeit ist mal wieder meine eigentliche Baustelle. So hetze ich mich zum Zug, entwickle eine seltsame Vorfreude und den Gedanken:
„Heute Abend weißt Du, wie es ist ein Tier zu töten.“

Diese Frage stellt sich mir jetzt schon länger. Ich konsumiere Fleisch relativ moderat.
Aber zur Wahrheit meines studentischen Geldbeutels gehört es auch, keinen Bullshit zu reden:
Völlig entkoppelt kaufe ich trotzdem oft widerlches Fabrikhühnchen. Schmerz in Plastik.

Anderthalb Stunden später stehe ich – etwas wacher-  auf einer matschigen Wiese und umarme Herzensmenschen.
Zigarette in der Hand haltend begutachte ich das Szenario.
Hinten rechts im Zaun gackern noch 19 von 24 (Surprise: ich bin spät dran) der glücklichsten Puten.
Sie sind das ganze Jahr fröhlich über einen grünen Hugel gehüpft.
Heute hüpfen sie ins Grab.
Sechs haben schon das zeitliche gesegnet.
„Bolzenschuss durchs Hirn“, wird mir erklärt, „danach sind die futsch, alles andere ist Nachzucken.“

Und schon liegt der Kopf einer Pute vor mir auf einem Heuballen.
Schlaufe um die Füße, Bolzenschussgerät senkrecht auf den Kopf.
„Nee, bisschen mehr in die Mitte“, korrigiert mich einer meiner Mittäter*innen.
Und: „Nach dem Abrdrücken am besten schnell zurück, die hauen ganz schön um sich.“

– Peng –

Die geplatzte Patrone riecht nach Feuerwerk und schreit Neuanfang.
Ich ducke mich weg und beobachte einige Schritte enfernt, wie das Leben vergeht.
Nach ein bis zwei Minuten ist alles anders.
Und das ist überraschend ok.
Da ist jetzt nur noch Fleisch.
Den restlichen Tag wird geschlachtet, gebrüht, gerupft, geputzt.

Ich kann also ein Tier töten.
Das wollte ich als Fleischfresser wenigstens wissen.
Wenn ich das kann, dann kann ich ja wohl auch konsequenter genießen.

Aufmachen.

Ein beliebtes Motto für jeden Kindergottesdienst in der Adventszeit. Aufstehen, losgehen, Licht sein. Ein Kinderspiel.

In einer Welt, die oft so finster scheint, so friedlos und kalt, so lieblos und resigniert. In dieser Welt soll ich ein Licht sein?

Immer wieder lese ich von der Hektik und dem Stress vor dem Weihnachtsfest und jetzt beschäftigt mich noch zusätzlich der Gedanke, ein Licht sein zu sollen, das die Dunkelheit hell macht.

23. Dezember und ich bin wie viele zu diesem Tag vor Weihnachten gerast, gefühlt geflogen. Jetzt durchatmen. Habe ich alle Geschenke? Was muss noch für das Essen eingekauft werden? Immer noch brennen nur drei Kerzen auf dem Adventskranz, irgendwas ist komisch dieses Jahr.

Ich will mir vornehmen, die letzte Kerze heute Abend ganz bewusst anzuzünden. Das klingt kitschig, aber vielleicht brauche ich das. Vielleicht nehme ich mir auch vor, kurz still zu sein. Das klingt albern, aber vielleicht brauche ich das. Wann habe ich das letzte Mal gebetet?

Ich wäre wirklich gerne ein Bote dieses Lichts. Ich will erkennen, wo mich Gott in dem Mitmenschen um mich herum anblickt. Ich will hinsehen, wo meine Hilfe nötig ist. Ich will die Dunkelheit hell machen.

Ich freue mich auf Weihnachten.

Von der Sehnsucht loszugehen

So wie Raphael mal geschrieben hat, bin ich auch einer, der von Disney-Filmen entscheidend geprägt wurde. Und mein absoluter Disney-Lieblingsfilm ist eindeutig „Herkules“. Und mein absolutes Disney-Lieblingslied (Die sind doch sowieso das Wichtigste in den Filmen, oder?) ist „Go the distance“.

Da geht es um meine Sehnsucht.
Es geht um meine eigenen Potentiale.
Es geht darum, herauszufinden, was ich kann und wer ich bin und wie das zusammenhängt.
Es geht darum, anzukommen.
Und es geht darum, loszugehen.

Wohin gehst du?

Go The Distance - Hercules - Shawn Hook & KHS

Ich kann es nicht

Die Adventszeit gilt als Zeit, in der wir auf Weihnachten warten. Wir warten. Und wir bereiten uns auf das große Fest vor, indem wir Geschenke besorgen, Plätzchen backen, die Wohnung schmücken. Und der*die ein*e oder andere bereitet sich, wenn es die Zeit zulässt, auch innerlich vor – auf den Gedanken, dass Gott in diese Welt gekommen ist.

Wie würde (oder werde) ich mich vorbereiten? Kann ich mich eigentlich vorbereiten? Was muss ich denn eigentlich tun, um Gott angemessen zu empfangen? Was wir an Weihnachten feiern, ist doch eigentlich „unfeierbar“, weil es unsere Vorstellungskraft auf allen Ebenen übersteigt. Ich kann Gott doch gar nicht empfangen, weil ich kleiner Mensch damit völlig überfordert bin. Und all die Floskeln, die man in der Adventszeit allerorten hört – letztlich bleiben sie doch nur Floskeln. „Mein Herz öffnen“, „Liebe verbreiten“. Ja, ja, ja.

Fakt ist doch: Ich kann es nicht. Gott empfangen – dazu fühle ich mich nicht in der Lage. Ich bin schon mit dem Gedanken überfordert, dass an Heiligabend die Wohnung so hergerichtet sein muss, dass andere Menschen kommen können.

Und dann, in den ruhigen Stunden der Adventszeit, da höre ich manchmal eine Stimme. Aus dem Off, ganz leise, die mir zuflüstert: „Ich komme nicht. Du brauchst dich nicht vorzubereiten.“

Es ist eine Stimme, die mir sagt: „Ich muss nicht zu dir kommen, denn ich bin schon da.“

Auf dem Weg…

In den letzten Tagen habe ich mich mit den Vorbereitungen zum diesjährigen Friedenslicht beschäftigen dürfen. Das Motto in diesem Jahr, „Auf dem Weg zum Frieden“, fand ich am Anfang zugegebenermaßen recht unkreativ – nicht fancy, nicht spannend genug.

In den letzten Tagen aber habe ich für mich gemerkt, dass es tatsächlich gut in diese Zeit passt (und die braucht meiner Meinung nach gerade echt nicht mehr Lametta). Es spricht für mich eine realistische Sprache: Frieden, den gibt es noch nicht überall. Im Gegenteil, manchmal kann man das Gefühl bekommen, immer mehr Unfriedensorte entstehen, die Welt gerät immer mehr in Schieflage. Und trotzdem die Hoffnung und den Einsatz für ein weltweit friedliches Miteinander nicht aufzugeben, dazu spricht mir das Motto Mut zu. Und auch die Aufforderung: für den Frieden muss man sich bewegen, auf den Weg machen.

Ein Freund bleibt ein Freund…

Nachtschicht auf dem Rettungswagen, gegen halb zwölf ruft uns der Melder zu einem Notfalleinsatz. Ein gestürzter Mann auf der Straße – die Passant*innen, die den Herrn umsorgend versuchen in der stabilen Seitenlage zu halten, berichten, er sei umgefallen wie ein Brett. – Kein Wunder, denn die zwölf großen Bier, von denen er berichtet, gingen nicht spurlos vorbei.

Es ist ein Klassiker: ein wohnungsloser Mann, nur einige Jahre älter als ich, nach einem Streit mit Verwandten hat er seinen Frust kräftig im Hopfensaft ertränkt. Während unserer Versorgung wiederholt er seine Fragen, und  schildert seine Eindrücke von dieser Welt und seinem Leben. Die Situation – in einem Rettungswagen liegend und nicht mehr wissend, was geschah – kränkt ihn,  ist ihm peinlich. Er weint. Ich hoffe, dass das Wechselbad der Gefühle nicht in Aggression umschlägt, wie es auch durchaus mal vorkommt. Klientelpolitik, bei der ich mich selbst erwische, da sie keinerlei Relevanz für die Versorgung und die Situation hat.

Wir reden ihm gut zu, wiederholen geduldig, fast mantraartig unsere Maßnahmen und unsere nächsten Schritte. „Ein Freund bleibt ein Freund“, sagt er immer wieder. Er glaubt, wir seien uns schon mal begegnet und fantasiert mich in abstruse Situationen seines Lebens.

In der Klinik hockt er in der Notaufnahme auf einer Trage und ruft mich zu sich, er bietet mir den Platz neben sich an, den ich etwas zurückhaltend doch einnehme. Dann stützt er sich mit dem Arm auf meiner Schulter ab und erklärt mir noch einmal „ein Freund bleibt ein Freund“ und bedankt sich per Handschlag für unsere Versorgung. Für die Klinik-Kolleg*innen ein etwas seltsames Bild: der rot-blau leuchtende Uniformträger nebst der Alkoholfahne, die wie zwei Freunde auf einer Mauer sitzen und über das Leben sinnieren. Einerseits mag ich diese Nähe nicht mit diesem fremden Menschen, andererseits sehe ich, dass es ihm gut tut – und mir nicht weh.

Für mich eine kurze Begegnung, eine Mission, die mir wieder einmal zeigt wie die in unserer Gesellschaft, in unseren Vorurteilen, in unserer Welt untergehen, die wenig bis nichts haben. Ihre Wünsche nach einem „normalen“ Leben, nach verlässlichen Freund*innen – wer kennt sie nicht? Ich wünsche, er findet ihn*sie: der*die Freund*in, der*die ein*e Freund*in bleibt.

Alle Menschen sind frei

Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte genehmigt und verkündet. Ihr erster Artikel: 

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt
und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Zeilen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Die wesentlichen Züge meines Lebensgefühls sind benannt: Meine Freiheit, meine unantastbare Würde, meine Rechte, meine Vernunft, mein Gewissen und Nächstenliebe als wesentlicher Bestandteil des Umgangs miteinander.

Und doch bleiben Bauchschmerzen. Ich bin sicher nicht perfekt und auch ich profitiere mit Wohlstand von der Grenzpolitik der Europäischen Union. Auch ich trage Kleider (wenn auch mit jedem Einkauf weniger), die unter unfairen Bedingungen produziert worden sind. Und auch ich esse täglich Fleisch.

Alle Menschen sind gleich und ich handle für meine Würde und meine Rechte nicht in Geschwisterlichkeit. Ich würde lügen, wenn ich jetzt als moralische Pointe hier ansetze und sage: Nach diesem Artikel fange ich an ein guter Mensch zu sein. Schmeiße mein Handy weg, kaufe mir ein Fairphone, esse kein Fleisch und trage nur noch FairFashion. Glaub mir: Das werde ich wohl nicht.

Aber ich werde mich auch nicht hinter „Kann man doch eh nichts machen.“ und „Du machst das doch auch.“ und „So ist unsere Gesellschaft nun mal.“ verstecken, sondern für mein Handeln auch Verantwortung übernehmen.

Denn es gibt kein Argument, das einem Menschen seine Würde nimmt.

Würd‘ ich springen?

Draußen stürmt es, es ist nass und kalt – doch ich stehe auf einem Sprungbrett, unter mir ein tiefes, menschenleeres Becken, die Sonne scheint. Es ist warm. Ich habe einen klaren Blick auf das Wasser. Ein Schritt, ich falle, fliege, bin frei. Doch hoffentlich verliere ich meine Brille nicht, knalle nicht zu hart auf.

Während sich meine Zehen um die Kante des Sprungbretts krallen, mischt sich alles zusammen. Freude, Neugier, Abenteuerlust, Panik, und die Frage, ob die Leiter runter zu krabbeln, nicht ebenso elegant ist, wenn eh niemand da ist und hinguckt.

Mein Sprungbrett: mein erster Text für dreifach glauben. Spontan hat es sich ergeben in den letzten Tagen durch kollegial-freundschaftliche Gespräche. Seit Jahren habe ich keinen theologischen Text mehr geschrieben. Die Rolle des Theologen ist mir nicht unbedingt fremd – nehme sie doch lieber als Geheimagent war. Das kann ich gut, da bin ich stark.

Würd‘ ich spingen, wenn es so stürmt wie heute? Wenn ich mich da unten nicht auf den Sprung konzentrieren könnte, sondern vor öffentlichem Puplikum springen sollte? – Fragen, die ich mir stelle, und doch feststellen muss: Sie sind Teil des alltäglichen Was-wäre-wenn-und-überhaupt-Spiels, das wir uns antrainiert haben. Sinn und Zweck? Nicht vorhanden, denn es geht um die Fragen: Springst du? Bist du da? Hast du Mut? Vertrauen? Und dies lange nicht nur in den großen Fragen deines Lebens.

Mein erster Text in online. Bin wohl doch gesprungen. Und es tat gut! – Welcher Sprung steht dir heute bevor?