Weihnachtsmarkt Overload

So wie jedes Jahr, zieht es auch mich in einem Anflug von vorweihnachtlicher Romantik auf den Weihnachtsmarkt. Ich tauche ein in die Menge, lasse mich vom Strom der Menschenmasse mitziehen, werde eins mit ihr und lasse die Situation auf mich wirken.

Als erstes erschlägt mich die Geräuschkulisse. In meinen Ohren klingelt Jingle Bells gepaart mit Oh du Fröhliche und einem Liederwirrwar der tausenden Stimmen um mich herum. Das Lied des einzelnen geht dabei unter. Genauso wie die Klarinettentöne des Straßenmusikers, der in einer Ecke einsam für sich selbst spielt – niemand beachtet ihn.
Ich blicke nach oben. Es ist eigentlich schon lange dunkel und doch erleuchtet das künstliche Licht der unzähligen Lichterketten und blinkenden Rentiernasen den Himmel. Sie machen die Nacht zum schillernden Tag.

Langsam atme ich ein. Anstatt der kühlen Nachtluft, die ich im Winter so gerne rieche, steigt mir der typische Duft des Weihnachtsmarktes in die Nase. Es ist ein buntes Potpourri aus Glühweingewürzen, gebratenen Mandeln, Frittenfett und dem schweren Parfüm der Frau, die sich neben mir durch die Menge zwängt.

Unzählige Menschen kommen mir entgegen. Lachend, gestresst, betrunken, glücklich oder verloren sehen sie aus. Alle haben eins gemeinsam. Jeder von ihnen trägt neben den, für die Weihnachtszeit obligatorischen, Plastiktüten – reich gefüllt mit Geschenken für die Liebsten – sein ganz persönliches Päckchen mit sich. Ob dieses gefüllt mit Freude oder Sorgen ist, lässt sich nicht sagen. Das hier ist sowieso nicht der richtige Ort, über den Inhalt nachzudenken!

Diese ganzen Eindrücke strömen innerhalb von Sekunden auf mich ein.

Und plötzlich sagt alles in mir Stopp. Absolute Reizüberflutung. Ich muss hier weg. Sofort.

Ich flüchte mich in eine naheliegende Kirche, deren Türen noch offen sind. Hier ist es angenehm still und kühl. Der Raum wird sanft und unaufgeregt durch den Schein einiger weniger Kerzen erleuchtet. Es riecht vertraut nach abgestandenem Weihrauch. Hier bin ich ganz alleine. Fast. Mein eigenes Päckchen habe ich mitgebracht. Hier ist der richtige Ort, um es auszupacken.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Mut zur Zuversicht

So vieles müsste längst geschehn,
Doch nie hab ich’s gewagt,
Meinen Weg zu gehn…

Genau so fühle ich mich manchmal.

Wann hab ich auf meinem Weg wirklich mal etwas gewagt?

Kein Plan B. Keine Ausrede. Kein aber.

Ob im Recht, oder nicht –
Ab jetzt folg ich der Stimme,
die zu mir spricht.

Oft hast du zu mir gesprochen und ich habe nicht auf dich gehört.

Du hast oft Recht. Leider sehe ich das oft erst im Nachhinein.

Ich will dir vertrauen, aber

Es gelingt, oder nicht –
Doch ich kämpf nun mit all meiner Zuversicht.

Ein Wagnis. Ein Erfolg. Ein Irrtum. Ein Flop. Ein Versuch.

Zuversicht.

Der Duden sagt: festes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen.

Mein ganz persönlicher Advent.

Mit dir.

Die Zitate entstammen aus dem Lied „Mut zur Tat“ aus dem Musical „Rudolf – Affaire Mayerling“. Das ganze Lied:

Drew Sarich - Mut zur tat (Rudolf DVD)

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Für alles einen Engel?

Engel mit Flügeln

Adventszeit ist Engelszeit: Während sie ihr Dasein in den übrigen Monaten des Jahres in der Esoterik-Ecke des Buchladens fristen, nehmen Engel auf Weihnachtsmärkten, Postkarten, Plakaten, Werbebildern in der kalten Jahreszeit am öffentlichen Leben teil. Weiß, mit Flügeln, mal mit Heiligenschein, mal mit goldenem Zauberstäbchen.

Engel – das bedeutet für mich: Fragen. Was sind sie? Warum sind sie immer geflügelt, kindlich, freundlich? Und vor allem: Warum ist der Glaube an Schutzengel attraktiver als der Glaube an einen Gott?

Engel, das kann vieles sein. Ein Begriff, mit dem jede*r eine ganz eigene Vorstellung verbindet. Unverbindlich. Undogmatisch. Der Theologe Thomas Ruster spricht vom (esoterischen) Engelglauben als „Religion der Bedürfnisse“: Sie sei aus Bedürfnissen entstanden und ihr Zweck bestehe darin, diese zu erfüllen. Darin sieht er – zurecht – eine Gefahr. Denn so werden meine Bedürfnisse zu meinen Gott. Eine Konsumreligion.

Trifft das auch auf meine Engelvorstellungen zu? Habe ich überhaupt welche?

Engel in der Weihnachtszeit, eigentlich sollte das etwas anderes sein. Engel in der Bibel – es gibt sie, zuhauf. Aber niemals ohne den, auf den sie verweisen: Gott. Mit meinen Bedürfnissen hat das nichts zu tun. Es hat etwas damit zu tun, auf etwas Größeres hinzudeuten. Engel sind unbequem (Bileam). Engel sind überraschend (Abraham). Engel sind fordernd (Maria & Josef). Die Bot*innen Gottes zwingen mich geradezu, mit Bedürfnissen abzubrechen, sie zurückzustellen. Und den Aufbruch zu wagen: Zu dem, ohne den Engel nicht zu denken sind.

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Ein Kompliment

Eine Zeugnismappe

Ich gebe es gerne offenherzig zu: Mir schmeicheln Komplimente.

Ein ernstgemeintes Kompliment bestätigt mich in meinen Ideen. Es gibt mir Mut und Kraft auf meinem Weg.

Selten jedoch bringen mich Komplimente zum Nachdenken. Kritik sicherlich. Aber Komplimente eher nicht.

Bis zu dem Moment, als jemand zu mir sagte: „Du bist voll das Zeugnis.“

Ein wahrlich komisches Kompliment.

Ein Zeugnis war für mich bis dato immer nur eine Beurteilung über jemand anderen. Eine schulische Bestandsaufnahme. Schwarz auf weiß gedruckt und bei aller Wichtigkeit doch eher ohne persönliche Relevanz. Die Vorstellung, selber Zeugnis zu sein war mir bis dato fremd.

Und doch fasziniert mich diese Vorstellung:

Ein Zeugnis sein.

Für etwas stehen und damit auch beständig sein.

Nicht im Rauschen des ‚Vielleicht‘ untergehen, sondern auch gegenüber anderen für etwas stehen.

Zeugnis abgeben. Gerade für so etwas Persönliches wie den eigenen Glauben.

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Wenn Bleiben der beste Aufbruch ist

Eine Dachterrasse in Madrid.

Freundschaft, Freiheit und Zufriedenheit.

Drei Stunden lang.

Und zwischendurch immer wieder die Pläne zum Aufbruch: Sightseeing, Shopping, Essen.

Je mehr Zeit vergeht, umso größer wird der Hunger. Und die Pläne.

Wir können alles schaffen, was wir wollen. Zu zweit können wir Madrid erobern und die ganze Welt gleich mit. Keine Grenzen. Nichts hält uns auf. Hochgefühle. Wir schmieden Pläne über all das, was wir machen, wenn wir aufbrechen. Und bleiben sitzen.

Drei Stunden lang.

Die Pläne wachsen weiter.

Gnadenlose Selbstüberschätzung und somit Ursprung der Sünde sagen wohl die Theologen. Alkoholeinfluss sagt meine Mitplanerin. Gotteserfahrung sage ich.

Wer Recht hat? Keine Ahnung. Ich glaube, ich.

Das Ergebnis dieser Gotteserfahrung?

Ein Loch im Magen. Sonnenbrand auf den Schultern. Und das Gefühl wirklich aufgebrochen zu sein.

Mitten im Bleiben.

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Jetzt reicht’s!

Da ist er – dieser Moment. Der Moment, in dem ich mir denke „Jetzt reicht’s!“

Eigentlich geht’s mir gut. Ich fühle mich fit, das Studium läuft Richtung Ende, mein Kontoauszug jagt mir keinen Schrecken ein und das Wetter ist nach meinem Geschmack. Wie gesagt: Gut.

Eigentlich.

Denn da gibt es noch die anderen. Die Menschen in meinem Umfeld, denen es alles andere als gut geht.

In unregelmäßigem, aber bedrohlich dichtem Takt prasseln Neuigkeiten auf mich ein, die mich fertig machen. Es sind nicht meine eigenen Schicksalsschläge. Und doch treffen sie auch mich. Vielleicht nicht ganz so stark, aber sie treffen mich. Und sie haben das Potential mich umzuhauen. An ihnen ändern auch Studiumsendspurt, Kontoauszug und Sonnenschein nichts. Und das Schlimmste: Ich kann nichts an ihnen ändern.

Meine Ohnmacht macht mich wahnsinnig und wütend. Und ich richte mich an den, von dem ich glaube, dass er keine Ohnmacht kennt, und sage „Jetzt reicht’s!“.

Ob mir das zusteht?

Ich weiß es nicht.

Ich glaube es nicht.

Aber in dem Moment fällt mir nichts anderes ein, was ich sagen könnte.

Wenn ein Lied alle Pläne umwirft

Christopher Tin – Baba Yetu (Official Music Video) Dieses Video auf YouTube ansehen Eigentlich sollte heute eine neue Projektvorstellung kommen, aber dann fand ich dieses wunderschöne Lied wieder auf meiner Festplatte. Baba Yetu von Christopher Tin wurde ursprünglich für das Computerspiel Civilization IV geschrieben. Baba Yetu ist Swahili und heißt „Vater unser“. Es ist für mich die … Weiterlesen …

Jesus lebt in Trier!?

Ende der Veranstaltung. Nach dem Gottesdienst gehen alle wieder nach Hause. An der Kirchenwand fällt mir ein Schriftzug auf. „Jesus lebt in Trier“. Zugegeben. Man* muss schon genau hinsehen. Die weiße Kreide ist schlechter zu lesen als die schwarze Farbe. Vielleicht ein Werk zweier Künstler*innen, die sich gegenseitig ergänzt haben. Vielleicht hat sich die Geschichte auch einfach selbst fortgeschrieben. Ein Schreibgespräch? Sicherlich ist es von den Hausherr*innen nicht gewollt und wird wohl eher als Sachbeschädigung angesehen.

Hatte der*die Verfasser*in vielleicht sonst keinen Raum, ihr*sein Bekenntnis der Öffentlichkeit mitzuteilen oder wollte er*sie damit einfach nur provozieren? Eine spannende Frage und vor allem eine spannende Aussage. „Jesus lebt in Trier“. Das feiern Christ*innen doch seit fast zweitausend Jahren in dieser Stadt. Zumindest beim Gottesdienst ist klar: alle, die in die Kirche gehen, gehen in die Kirche, um das zu feiern. Aber woran merken Menschen, die nicht in die Kirche gehen, dass Jesus auch in Trier lebt? An der sterilen Außenhülle?

Die Grenze ist der Ort der Erkenntnis. Papst Franziskus sagt ja auch, man* muss an die Ränder der Gesellschaft gehen. Suchen wir Jesus eigentlich mehr in unseren Kirchengebäuden als auf den Marktplätzen und Verkehrswegen unserer Städte? Wenn wir drinnen feiern „Jesus lebt in Trier!“, müssen wir uns auch draußen fragen lassen „Jesus lebt in Trier?“ – Was bedeutet das eigentlich und woran kann man* es merken?

Julianmäßig

Julian ist vier.

Er steht auf einer Mauer, die doppelt so hoch ist wie er. Stolz und erhaben.

Ich kenne ihn erst seit ein paar Stunden. Ich kann ihn nicht einschätzen. Ich habe Angst, dass er von der Mauer fällt. Sicherheitshalber breite ich die Arme aus.

Ich will sagen: „Spring! Keine Angst! Ich fang Dich auf!“ Ich will ihm erklären, dass er ruhig springen kann. Dass er mir vertrauen kann, auch wenn er mich erst seit ein paar Stunden kennt.

Ich will es ihm erklären. Ich beginne mit meiner Rede und sage: „Spring!… – “ Doch weiter komme ich nicht. Denn da habe ich Julian schon in den Armen. Einfach so. Meine Erklärungen über Vertrauen usw. konnte ich mir sparen.

Für Julian war das keine große Sache. Doch ich war erst fassungslos und dann begeistert. Er hat mir vertraut. Einfach so. Ohne mich zu kennen und ohne dass ich um sein Vertrauen werben musste.

Vertrauen – das hängt für mich eng mit Glauben zusammen.

Julian fällt das leicht – vertrauen: davon ausgehen, dass es im Endeffekt gut wird.

Und genau damit tu ich mir manchmal schwer. Lieber weiß ich vorher ganz genau, worauf ich mich einlasse. Gerne höre ich mir erst mal Erklärungen an. Und erst dann will ich vertrauen.

Doch bei Gott läuft das anders.

Julianmäßig – so möchte ich gerne glauben können:

Nicht auf Erklärungen warten.

Ungewissheit aushalten.

Vertrauen – auch dem, den ich vielleicht noch nicht zu Gesicht bekommen habe.