Von Angst und Hoffnung.

2015. Irgenwann nach den Anschlägen von Paris. Ein Gespräch.

Wir sitzen auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist spät.

„Ich versteh´ den IS nicht – was wollen die denn?“
(Schluck Bier –  nervöses Lachen)
„Angst. Die wollen, dass du Angst hast. Und ich. Wir alle.“
(Schluck Bier)
„Aber hab ich das? Paris, New York – klar, dass da was passiert.
 Warum soll ich denn hier Angst haben? Als könnte in Trier was passieren…“
(Schluck Bier – Themenwechsel)

2016. 8  Tage nach Würzburg. 2 Tage nach Ansbach. Ein Selbstgespräch.

Ich sitze auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist früh.

40.000 Einwohner hat Ansbach. Knapp 50.000 weniger als Trier. Knapp 20.000 mehr als meine Heimatstadt.
(Schluck  Kaffee – Handysummen – Breaking News: Geiselnahme in einer nordfranzösischen Kirche)
Nach Paris war ich sicher. Angst habe ich nicht gefühlt.
(Schluck Kaffee)
Und jetzt? Was fühle ich?
Es ist diffus. Angst könnte man es schon nennen – aber auch:
Verwirrung. Trotz. Ein mulmiges Gefühl im Bauch.

(Schluck Kaffee – Zigarette)
Aber warum Angst?
Weil es kleiner ist. Näher. Da wird in der Provinz geschlitzt und gebombt.
Das ist nicht mehr Paris. Das kann jetzt überall sein.
(Schluck Kaffee)
Wenn so was Angst sähen kann – wie kann man Hoffnung pflanzen?

2 Stunden später. Auf dem Weg zu Aldi. Ein Gespräch.

Ich laufe durch die Innenstadt. Alles wie immer.
Eine Frauenstimme singt – „Arabisch“, denke ich.
Da sitzt sie, direkt neben der Eingangstür.
Sie trägt ein blumiges Kopftuch und singt.

Schön“, sage ich.
Sie lächelt: „Danke.“ –  „Was singst du da?“
Gebrochenes Deutsch: „Ich singe. Liebe, Leben und Gott, singe ich.“
„Warum?“
„Überall Tod. Wenn ich singe, kein Tod. Wenn ich singe, keine Angst

Wow. Im Weitergehen frage ich mich noch:
Kaffee, oder Bier? Was kaufst du jetzt?

Werft die kleinen Monster aus der Kirche!

„Pokémon Go“ ist derzeit in aller Munde – und offenbar auch in so mancher Kirche. Es hat mich zum Schmunzeln gebracht, als ich die Schlagzeile gelesen habe, dass das Kölner Domkapitel offenbar einen Anwalt einschaltet, der mit Nintendo über die Platzierung eines „Pokéstops“ im Innenraum des Kölner Doms reden soll. Grund: Der sakral genutzte Innenraum soll Pokémon-freie Zone bleiben. Schließlich, so zitiert man einen Verantwortlichen, werde auch kein Brettspiel in der Kirche erlaubt: „Wenn wir jemanden beim Spielen erwischen, werfen wir ihn umgehend raus“.

Kann man machen: Menschen, die Spaß in einer Kirche haben, rauswerfen. Bloß nicht im Dom spielen. Und wehe, es lacht einer!

Was steckt da für eine Vorstellung von Gott dahinter, den man durch solch läppische Aktionen verärgern könnte? Ist es vielleicht viel weniger Gott als der Mensch, der solche abgrenzbaren Räume des Heiligen braucht, in denen sich alles nur um eine höhere Macht dreht? Und macht es sich der (gläubige) Mensch damit nicht viel zu einfach? Das Heilige schön einsperren, ihm einen festen Ort zuweisen. Ich komme dann schon, wenn ich es brauche. Und da will ich keinen Pokéstop!!!

Doch: Wo fängt Kirche an? Wo hört der Dom auf? Ist der sakrale Raum tatsächlicher, begrenzter Raum? Ist nicht vielleicht das Leben an sich ein sakraler Raum? Ohne Grenzen, jede Minute meines Lebens als Christ? Egal ob mit oder ohne Pokémon, beim Brettspiel oder Kirchgang.

So don’t let me, don’t let me, don’t let me down!

Völlig am Ende.
Kurz davor durchzudrehen.
Schreiend und flehend.
Der einzige Ausweg:
Ein Wunder.

Alleingelassen.
Enttäuscht.
Wütend.
Und doch:
Hoffnung, dass genau jetzt doch jemand da ist.

Ein Klagepsalm.

The Chainsmokers - Don't Let Me Down (Video) ft. Daya

Große Macht bedeutet große Verantwortung

Meine Schwägerin ist ihrer Pflicht als Trauzeugin nachgekommen und hat für meinen Verlobten den Junggesellenabschied geplant. Ich wurde als Ablenkungsmanöver eingespannt, denn er durfte ja nichts erfahren. Er wusste nicht wann, was und dass überhaupt…

„Deine Schwester hat uns zum Frühstück eingeladen. Ganz früh morgens…“ Damit fing es an und es wurde immer krasser je näher der Tag rückte.

Sein „Pah, viel zu früh, da gehen wir einfach nicht hin“, hab ich mit Ausflüchten abgeschmettert. Als er Verdacht schöpfte, hab ich getan, als wüsste ich nichts und hab Erklärungen für mein seltsames Verhalten und das seiner Freunde gesucht.

Und dann folgte Lüge auf Lüge.
Ich hab ihm etwas vom Pferd erzählt.
Das Blaue vom Himmel herunter gelogen.
Und ich war gut. – Tatsächlich er hat nichts gemerkt.

Und jetzt?

Jetzt hab ich voll das schlechte Gewissen.
Dabei hab ich gar nicht aus bösem Willen gelogen. Es ist auch niemand zu Schaden gekommen. Die Lügen waren ja nicht tragisch und im Nachhinein sogar witzig. Kann man das überhaupt Lügen nennen?

Und warum fühl ich mich trotzdem so mies? Warum würde ich gerne alle Lügen ungeschehen machen?

Weil mein Verlobter mir Alles – wirklich ALLES – geglaubt hat… egal wie absurd.
Er hat an meinem Wort nicht mal ansatzweise gezweifelt.

Welche Macht hat er mir damit gegeben.
Und welche Verantwortung.

Von der Angst zum Ende zu kommen

Eigentlich heißt es ja, dass aller Anfang schwer ist. Das berühmte weiße Blatt Papier.
Doch für mich ist nicht das Anfangen, sondern das Zum-Ende-Kommen viel herausfordernder.
Das beschriebene Blatt Papier endlich mal abgeben.
Mich damit abfinden, dass eine Sache jetzt vorbei ist.

Ja, ich finde ein Ende schwieriger als einen Anfang.
Wenn ich anfange, weiß ich, wohin ich möchte. Ich habe eine Idee, der ich nachfolge.
Ein grobes Konzept, was ich machen möchte.

Aber etwas zu beenden heißt auch immer, mit der Idee abzuschließen.
Und dann habe ich eben kein Konzept mehr für den nächsten Schritt.
Keine Idee, die danach kommt, sondern einfach nichts.
Nur das, was zu Ende gebracht worden ist.

Und so sitze ich da. Vor dem voll beschriebenen Papier.
Sage mir: „Da könntest du noch was machen. Hier könntest du noch was schreiben.“
Bis ich abbreche und die letzte Hausarbeit meines Lebens endlich abgebe.

Das Jahr deines Lebens

… mit diesem Versprechen wirbt die neue Werbekarte meiner Kolleg*innen aus dem Bereich Freiwilligendienste zu einem Freiwilligen sozialen Jahr.

Als sie mir in die Hand gefallen ist, musste ich erstmal überlegen, was das Jahr meines Lebens war – das, in dem ich meinen Schulabschluss gemacht habe – mit unzähligen Feiern, Weinfesten und dem Gefühl, mit der Stufe was RICHTIG Großes auf die Beine gestellt zu haben? Das Jahr, von dem ich vier Monate in Schweden auf tollen Höfen verbracht habe? Oder ist es dieses jetzt gerade – die Abschlussarbeit im Nacken und den ersten Job gerade angetreten?

Manchmal habe ich Angst, dass mir das zu viel wird oder dass ich mein letztes tolles Studienjahr verpasse. Und gleichzeitig merke ich: Hier gehöre ich hin. (wie Madeleine vorletzte Woche schrieb: Hier bin ich richtig)!

Das wird jetzt mein Jahr, meine Zeit, meine Herausforderung. Und gleichzeitig kommt die Erkenntnis: Dieses einzige perfekte Jahr gibt es nicht – zumindest so lange nicht, wie ich es nicht dazu mache.

Eines ist allen Jahren gleich, egal ob sie Schicksalsschläge bergen, einfach dahinfließen oder auf die Liste der „Jahre meines Lebens“ kommen: Gott geht mit. Das macht die Jahre nicht besser, als sie sind. Aber es schafft Vertrauen und die Hoffnung, sich nicht alleine durch dieses Leben wurschteln zu müssen.