Der Falter

Als ich einmal in eine Kirche ging, kam ich, um die Stille zu genießen. Meine Augen erfreuten sich am unverschämt pompösen Schmuck und meine Ohren freuten sich an der Einfachheit der Klänge. Es war still. Nur meine eigenen Füße gaben dem Raum Klang. Und er antwortete mit all seinen Winkeln.

Ich ging bis nach ganz vorne. Drehte meinen Blick und sah Kerzen, die von Fremden entzündet alleine ihren Tanz tanzten. Ich warf eine Münze in den Korb, nahm mir selbst eine Kerze, entzündete sie, stellte sie zu ihren Geschwistern und setzte mich.

Es schien, als ob sie nur für mich tanzen würden. Nach einem Lied, welches nur sie hören können. Ich konnte die Melodie nur in ihren Bewegungen erraten.

Und wie ich dort saß, fasziniert von den Flammen, hörend auf Stille wurde diese durch ein starkes Vibrationsgeräusch unterbrochen. Ein Falter versuchte mit seinen Flügeln das Glas vor sich wegzuschieben.

Er wollte zum Licht und vergaß dabei das offene Fenster im Schatten hinter sich. Er war geblendet. Und in seiner Blindheit versuchte er unaufhörlich durch das Glas zu kommen.

Ich war deprimiert. Ließ meine Kerze allein mit den anderen weitertanzen und verließ die Kirche.

Sternschnuppen – Hoffnung

Ich schaue in den Himmel, kämpfe dagegen an, dass ich einschlafe. Eine, nur eine noch, dann mache ich die Augen zu. Nur noch einen Stern vom Himmel fallen sehen. Einmal noch, nur eine klitzekleine, …

Der Wunsch, einen dieser magischen Augenblicke zu erleben, wird immer stärker, ich freue mich darauf, konzentriere mich, um ihn ja nicht zu verpassen, hoffe – warte darauf.

Und dann frage ich mich plötzlich, warum mir das bei Sternschnuppen so leicht fällt: darauf zu vertrauen, dass gleich eine über den Himmel fliegt und dass mich dieser Moment faszinieren und zum Staunen bringen wird. Immer wieder neu habe ich das Gefühl, ein kleines Wunder zu erleben, so unberechenbar, schön, unwirklich, weit weg scheinen diese Lichtmomente zu sein – und gleichzeitig doch ganz nah. Sie berühren mich.

Als die nächste Sternschnuppe fällt, schließe ich die Augen und schicke einen Wunsch in den Himmel (den ich hier jetzt mal wider besseren Aberglauben verrate;)): Ich mag so eine Hoffnung haben für Sternschnuppenmomente in meinem Leben – damit sie mich berühren und verändern können… irgendwie pathetisch. Aber das sind Sternschnuppen ja schließlich auch.

Der Fremde ist fremd.

Ja, wer ist das denn?

Der Fremde.
„Ein Schmarotzer! Der nimmt uns die Arbeit weg! Schützt unsere Kinder!“
Aha. Wie treffend.

Der Fremde, wer ist das?
„Asylantenpack! Weg damit! In Auschwitz ist noch Platz!“
Aha. Wie widerlich.

Der Fremde, wer ist das?
Ein Flüchtling – der flüchtet also. Vor was?
Vor Krieg. Vor Tod. Vor Hunger.
Der will weg.
Weg von Menschen, die Kinder töten.
Weg von Schutthaufen, die mal Städte waren.
Weg von zu Hause – weil er weiterleben will.

Und jetzt ist er hier, hat sich durchgekämpft.
Er hat (irgendwie) überlebt, steht hier, ist angekommen –

… und ist fremd.

Na super.
Da ist er gerannt, geschwommen, gehetzt.
Er hat gehungert, hat tagelang nichts getrunken.
Hat Schlepper*innen überlebt und Schiffe, die diesen Namen nicht verdient haben.

Und steht hier und ist fremd.
Und wir rümpfen die Nase.

Ich gehöre zu der Generation, die Dreiviertel ihres moralischen Kompasses aus Disneyfilmen generiert hat.
Deswegen darf ich hier auch ohne Probleme Pocahontas zitieren:
Für dich sind echte Menschen nur die Menschen,
die so denken und so aussehn wie du.
Doch folge nur den Spuren eines Fremden,
dann verstehst du, und du lernst noch was dazu. (…)
Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt!

derfremde

Der Fremde, wer ist das?

Schmarotzer.

Flüchtling.

Sozialfall.

Armer.

Pack.

Mensch.

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr…

Es gibt immer wieder Theaterstücke, die mir etwas über mich und mein Leben sagen. Eines dieser Stücke ist das Musical „next to normal“. Geschildert wird das Leben einer fast normalen US-amerikanischen Kleinstadtfamilie, die mit den Depressionen und Wahnvorstellungen der Mutter zu kämpfen hat. Während sich das scheinbar perfekt eingerichtete Familienidyll zersetzt, fasst besagte Mutter nach einem Selbstmordversuch den Entschluss, ihren Mann zu verlassen, der sich all die Jahre um sie gekümmert hat.

Als also am Ende des Musicals alles in Trümmern liegt, was 2,5 Stunden vorher noch als eingespieltes und intaktes Familienporträt erschien, sehen wir einen am Boden zerstörten Familienvater vor uns. Seine Tochter kommt, um ihn aufzubauen und beginnt damit, das Lied „Light“ zu singen, in das nach und nach alle Charaktere des Stücks einsteigen.

Dieses Lied ist für mich in vielerlei Hinsicht wichtig geworden. Die große Hoffnung, die sich hier aus den Ruinen der heilen Welt schält, lässt mich einfach nie unberührt.

Der Schlüsselsatz ist für mich dabei: „The wasted world we thought we knew – the light will make it look brand-new.“

Egal wie sehr die Kacke auch am Dampfen ist; egal wie schlecht du dran bist; egal was schiefläuft; egal wie sehr diese Welt, von der du dachtest einen Plan zu haben, auch aus den Fugen gerät,

es wird letzten Endes alles wieder gut.

Alles halb so viel, wenn man Dinge im rechten Licht betrachtet. In einem, das wir alle brauchen und das wir alle in unserem Leben scheinen lassen können.

Kitschig? – Ja.

Überzogen? – Mag sein.

Wahr? – Hoffentlich.

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