Das Jahr deines Lebens

… mit diesem Versprechen wirbt die neue Werbekarte meiner Kolleg*innen aus dem Bereich Freiwilligendienste zu einem Freiwilligen sozialen Jahr.

Als sie mir in die Hand gefallen ist, musste ich erstmal überlegen, was das Jahr meines Lebens war – das, in dem ich meinen Schulabschluss gemacht habe – mit unzähligen Feiern, Weinfesten und dem Gefühl, mit der Stufe was RICHTIG Großes auf die Beine gestellt zu haben? Das Jahr, von dem ich vier Monate in Schweden auf tollen Höfen verbracht habe? Oder ist es dieses jetzt gerade – die Abschlussarbeit im Nacken und den ersten Job gerade angetreten?

Manchmal habe ich Angst, dass mir das zu viel wird oder dass ich mein letztes tolles Studienjahr verpasse. Und gleichzeitig merke ich: Hier gehöre ich hin. (wie Madeleine vorletzte Woche schrieb: Hier bin ich richtig)!

Das wird jetzt mein Jahr, meine Zeit, meine Herausforderung. Und gleichzeitig kommt die Erkenntnis: Dieses einzige perfekte Jahr gibt es nicht – zumindest so lange nicht, wie ich es nicht dazu mache.

Eines ist allen Jahren gleich, egal ob sie Schicksalsschläge bergen, einfach dahinfließen oder auf die Liste der „Jahre meines Lebens“ kommen: Gott geht mit. Das macht die Jahre nicht besser, als sie sind. Aber es schafft Vertrauen und die Hoffnung, sich nicht alleine durch dieses Leben wurschteln zu müssen.

Mit Jesus vor die Wand und an den Abgrund

Predigten sind so was wunderbar Herrliches, so etwas schön zu Veräppelndes. Vor allem, wenn der*die Prediger*in einen übertrieben pastoralen Ton draufhat und Bilder verwendet, die gar nicht zueinander passen: Nach der Hochphase im Glauben kommt die Wand, die dann zum Abgrund wird. Ein gefundenes Fressen für (geniale) Leute wie Oliver Kalkhofe:

KALKOFES MATTSCHEIBE REKALKED – VOR DIE WAND UND AM ABGRUND

Es ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen ich mich frage: Was für eine Sprache benutzen wir eigentlich als Christ*innen? Die im Video aus der Predigt zitierten Metaphern sind ja noch harmlos, Kalkhofe treibt das satirisch auf die Spitze. Er trifft aber einen wunden Punkt.

Allzu oft höre ich Predigten, die an meiner Sprachwelt – und damit an meiner Lebenswelt! – vorbeigehen. Viel zu häufig singe ich Lieder mit Worten, die ich sonst niemals in den Mund nehmen würde. Selbst wenn ich Christ*innen miteinander reden höre, denke ich: Was für eine merkwürdige, in manchen Bereichen fast schon lächerliche, Binnen-Sprache hat sich da mitunter ausgebildet?

Und dann kommt mir der eigentliche Gedanke:

Wenn ich das als Christ schon furchtbar finde, …

Abschied

Abschiede fallen mir immer schwerer.
Vor allem die, bei denen man sich für immer von lieben Menschen verabschieden muss.
Eigentlich denkt man doch, man gewöhnt sich irgendwie daran.
Abschiede gehören nun einmal zum Alltag dazu.
Übung macht also den Meister?

Nein.

Ich brauche immer mehr Zeit und Kraft die Gegenwart zu akzeptieren.
Aber jeder Abschied macht mich sensibler für die Zukunft.

Für Momente – klein oder groß.
Für Begegnungen – spontan oder geplant.
Für Hoffnungen – kitschig oder nüchtern.

Und genau hier hat der Abschied nichts verloren.
Ab hier übernehme ich wieder das Ruder.

Hier bin ich richtig

Donnerstag, 17.20 Uhr: Rushhour im Kaufland und ich mittendrin. Genervt schiebe ich meine Einkaufskarre vorbei an gestresst wirkenden Menschen und durch die unzähligen Lebensmittelreihen, von denen aus mir die Produkte quasi zuzurufen scheinen: „Kauf mich, hol mich mit nach Hause! Ich tu dir gut, denn ich gebe dir das Gefühl, dass du dich glücklicher, schlanker, gesünder, ausgewogener fühlst.“ Der Wein zwinkert mir dabei ganz besonders verführerisch zu…

Aber keine Chance! Heute wird das nichts, mit bewusstem Einkaufen, Preisvergleich und Kauferlebnis. Ich will einfach meine Einkaufsliste abarbeiten – wobei ich genau weiß, dass später genau die Sachen, die drauf stehen und die ich wirklich brauche im Laden liegen bleiben werden – und dann ab nach Hause auf die Couch, denn es war ein langer Tag. Außerdem fehlt sowieso nur noch ein kleines Fünkchen irgendetwas und ich raste aus.

Der Grund: Vor fünf Minuten habe ich mir, nachdem ich endlich einen Parkplatz gefunden habe – natürlich schön weit weg vom Eingang und den Einkaufskarren – und meinen Berg Pfand zur Rückgabestation geschleppt habe, einen Krieg mit dem Pfandflaschenautomat geliefert… Flasche rein, Flasche raus, Falsche rein, Flasche raus, Flasche drin, Automat voll, anderer Automat, Flasche rein, Flasche raus, Automat voll, alle restlichen Automaten belegt…

„Kaufland – hier bin ich richtig“ dröhnt es aus den Lautsprechern. Schwer zu sagen, wer mehr Hingabe besitzt: Die Frau am Lautsprecher oder ich, wie ich eine Packung Spaghetti in den Wagen werfe. Plötzlich kommt unerwartete Spannung auf: Ein bekanntes Gesicht! Mit neugewonnener Energie flüchte ich mich in den nächsten Gang, um mich vor der Konversation zu drücken. Das hätte mir jetzt noch gefehlt. Lasst mich einfach alle in Ruhe!

Dann, nach gefühlt einer Stunde, habe ich alles zusammen und steuere die Kassen an. Wenn ich daran denke, das alles ins Auto, vom Auto ins Haus und in die Schränke zu räumen, sinkt meine Stimmung gen Gefrierpunkt. Während ich meine eingekauften Sachen endlich auf das Band knalle – Murphys Gesetze haben ihre Richtigkeit wieder einmal bewiesen, natürlich habe ich mich in die langsamste Schlange gestellt – bekomme ich eine Situation zwischen einer älteren Dame und einem jungen Mann mit, die vor mir an der Kasse stehen.

Die alte Frau hat Probleme, ihren schweren Einkauf auf das Band zu heben. Der junge Mann will ihr helfen. Die Frau schaut erst etwas skeptisch, freut sich dann aber umso mehr, dass jemand so aufmerksam ist und ihr hilft. Nachdem alles auf dem Band liegt, fragt sie den Mann: „Haben Sie Kinder?“ Der Mann nickt. Die Frau kramt in ihren Tüten und zieht einen Teddybär hervor. „Für Ihre Kinder. Danke fürs Anpacken.“

Mehr passiert nicht und schon ist der kleine, scheinbar unbedeutsame und etwas seltsame Moment vorbei. Doch er hat eine riesige Wirkung: Plötzlich muss ich lächeln… In aller Ruhe räume ich meine Sachen in die Karre, summe mein Lieblingslied vor mich hin und fahre nach Hause.

Von Flüssen und Schleifen

Ich bin Rheinländer; in Bonn geboren.
Und als solcher muss ich bekennen:
Es gibt keinen schöneren Fluss als den Rhein.
Der Rhein ist ein ehrlicher Fluss. Er verheimlicht nicht, wo er entlangfließt;
kilometerweit ist der Verlauf zu sehen.

Er hat mir die Sehnsucht gezeigt. Das Streben zum Horizont.
In die Weite blicken. Das Träumen vom Ziel.

Ganz anders die Mosel, an der ich die letzten vier Jahre meines Lebens verbracht habe.
Die Mosel schlängelt sich durch die Weinberge. Sie verrät ihren Verlauf nicht.
Ein Horizont ist nicht zu erkennen, sondern nur eine Kurve.

So sehr ich doch die Ehrlichkeit des Rheins schätze,
habe ich von der Mosel das Schleifen-Schlagen gelernt.
Eben auch mal eine Schleife machen. Nicht immer geradeaus zu gehen.
Sich nicht hetzen lassen, sondern gemütlich sich dem Ziel zu nähern.

Gewitter

Flirrende Hitze. Den ganzen Tag.
Über 40°.
Ein richtiger Sommertag. Heiß.

Mit dem Abend kommt eine Brise, dann die Wolken.
Gewitterwolken.
Im Dunkeln erste Blitze, leiser Donner.

Ich sitze auf meinem Balkon und bestaune die Wolken, die sich rund um den bewaldeten Horizont sammeln.
Mehr Wind. Mehr Blitze.
Auf allen Seiten.

Mit den ersten Tropfen in mir drei Gedanken:
Wie klein ich bin.
Wie groß alles andere.
Und wie schön das ist.

Ein bequemer, aber quietschender Stuhl

Vorgestern saß ich eine ganze Weile auf einem bequemen aber quietschenden Stuhl in der Sparkasse und wartete auf einen Sachbearbeiter. Ich hatte ein Problem mit meinem Konto – eigentlich nicht der Rede wert, schließlich ist fast kein Geld drauf – aber dennoch musste es gelöst werden. Was auch immer der Sachbearbeiter noch gemacht hat, ich war kurz davor das Basketballspiel, was ich mir ansehen wollte, zu verpassen.

Scheinbar sitzen oft Menschen auf diesen bequemen aber quietschenden Stühlen und warten, denn neben jedem einzelnen Stuhl stand ein Tisch mit Flyern über die Angebote der Sparkasse und deren Partner*innen.

Angeboten wurden KFZ-Versicherungen, private Haftpflichtversicherungen, Rechtsschutzversicherungen, IndexGarant, Baufinanzierungen, Pflegeversicherungen, Unfallversicherungen, Arbeitslosenversicherungen, Vermögensaufbauprogramme, Reiseversicherungen, betriebliche Altersversorgung und so weiter…

Ich habe mir bisher ja noch nie groß Gedanken über Versicherungen gemacht. Bestimmt ist jede davon irgendwie manchmal doch ganz sinnvoll.

Aber, so dachte ich mir, man* kann sich gegen und für alles auf dieser Welt versichern lassen, jedes Risiko dieser Welt für sich ausschließen wollen und hat doch keine Chance gegen die Spontanität und den Lauf des Lebens.

Manchmal läuft alles ganz anders als man* plant, Versicherungen und Absicherungen hin oder her.

Manchmal will man* gerne ein Basketballspiel sehen und sitzt stattdessen nur auf einem bequemen, aber quietschenden Stuhl herum und das alles für ein Konto, auf dem sowieso kein Geld drauf ist.

Mimimi – er hat Jesus gesagt!

Religion und Werbung – was auf den ersten Blick kaum zusammenpasst, wird dennoch oft kombiniert. Religiöse Anspielungen scheinen vor allem dann in den Köpfen der Werbemacher*innen aufzupoppen, wenn man nach etwas Provokantem sucht. Jüngstes Beispiel: Der Schweizer Bikini-Modemacher „Ta-bou“. Ein hübsches Model räkelt sich vor einem Holzkreuz, daneben der Spruch: „Nicht wie Jesus oder Alexander! Wir machen weiter … seit 38 Jahren!“ (Hier der Link zum Plakat.)

Ich stelle mir den Dialog derer vor, die sich das ausgedacht haben:

„Wir brauchen mal wieder etwas, das uns ins Gespräch bringt.“

„Jesus!“

„Gute Idee. Uns gibt es jetzt seit 38 Jahren. Wurde Jesus nicht 38 Jahre alt?“

„Moment…Google sagt: 33. Und Alexander der Große wurde auch nur 33!“

„Mist, fünf Jahre zu wenig. Andrerseits … Egal. 38, 33 – was machen die paar Jährchen schon für’n Unterschied. Tot ist tot. Jesus ist gut, das zieht. Da regen sich die Frommen schön auf!“

Und klar: Es hat funktioniert. Man* regt sich auf.

Ich wünsche mir manchmal, dass wir auf solche „Provokationen“ einfach nicht reagieren. Wenn ich ein solches Plakat oder etwas anderes in der Art sehe, denke ich mir: So what? Was hat das für mich für eine Bedeutung? Ganz unabhängig davon, wie beleidigend oder provokativ es ist. Es ist doch wie im Kindergarten: Der*die eine ärgert weiter, solange sich der*die andere drüber aufregt. Sobald der*die das aber einfach dauerhaft ignoriert, ist Schluss – die Provokation macht einfach keinen Spaß mehr. Ist das so schwer, sobald man aus der Pubertät raus ist?

Und abgesehen davon: Müssen wir Christ*innen uns wirklich stellvertretend für Gott aufregen? Ich glaube, das kriegt der Allmächtige schon ganz gut alleine hin. Vermutlich geht’s da aber dann um ganz andere Sachen, und nicht darum, ob im Kopf irgendeiner*s Werbefachfrau*manns ab und an Mal „Jesus“ aufpoppt.

Deckbett gewünscht

22 Uhr, der Tag ist geschafft. Oder so ähnlich. Eigentlich steht heute Abend noch Prüfungsvorbereitung an. Aber der Kopf macht nicht mehr mit. Alles Apfelmus da drin. Ein kurzer Scroll über facebook verspricht ja prinzipiell erstmal Ablenkung und Erfrischung.
Heute jedoch leider keins von beidem. Ich stolpere dabei immer wieder über Artikel, Posts und Nachrichten, die weder Witz noch Leichtigkeit verheißen.

Das Leid der Welt und die Angst der Menschen, formuliert in reißerischen Geschichten, schlecht gemachten Graphiken, polarisierenden Überschriften, einseitig recherchierten Meldungen.

Mir wird übel.

Ich wünsche mir, die Kraft zu haben, mit ihnen zu diskutieren, zu debattieren, manches Argument zu entkräften. Aber irgendwie bin ich zu k.o., aber es reicht noch, den bereits geschriebenen Artikel Türen dieser Welt nochmal zu teilen. Denn an meiner Meinung hat sich nix geändert.

Ich bin gerade einfach ziemlich müde. Mag in mein Bett. Und eine Decke über den Kopf. Die hieß früher bei uns Deckbett. Wenn mein Papa das über mich drüber gepackt hat, war alles gut. Schade, dass das heute nicht mehr so einfach ist. Wann genau bin ich zu alt geworden dafür?