Versteckt. Irgendwo. Mittendrin.

Samstagmorgen letzte Woche. Irgendwo in der Eifel. Es geht um das Thema Barmherzigkeit. In der uralten Kirche liegen Plakate aus, auf die man* seine Meinung schreiben kann.

Die Frage: Kann man* trotz all dem, was sich Menschen alles gegenseitig an schlimmen Dingen antun, noch an Gottes Barmherzigkeit glauben?

Barmherzigkeit. Was für ein Wort? Im Alltag gebrauchen wir es kaum. Ich überlege. Wo habe ich schon einmal so was wie Barmherzigkeit erfahren? Mir fällt es ein. Damals im Bus von Los Angeles nach San Francisco.

Auf einem Plakat hat jemand aufgeschrieben: „versteckt. Irgendwo mittendrin und doch ganz konkret ist sie gelebt da.“

Vielleicht muss ich gar nicht erst soweit weg gehen um so etwas wie Barmherzigkeit zu erfahren. Auch gar nicht in Gedanken und in Erinnerungen an die Busfahrt in Kalifornien.

Schön, wenn man* die Erfahrung machen kann, dass andere zu einem*r barmherzig sind. Nicht um andere klein zu machen, sondern um sie ganz groß werden zu lassen.

Barmherzigkeit geschieht an mir und durch mich an anderen. Oft von mir selbst „unbemerkt. versteckt. Irgendwo mittendrin und doch ganz konkret ist sie gelebt da.“

Der sperrige Begriff beginnt sich mit Bedeutung zu füllen.

Ein erster Aufbruch.

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Unangenehme Wahrheiten

Der „Club der roten Bänder“, momentan meine absolute Lieblingsserie.

Kurz zum Inhalt: Die Serie dreht sich um eine Gruppe Jugendlicher, die allesamt wegen verschiedenen Schicksalsschlägen im Krankenhaus behandelt werden. Dort finden sie zusammen und beschließen eine Gemeinschaft zu bilden, den „Club der roten Bänder“. Gegenseitig stützen sie sich und kämpfen gemeinsam gegen ihre Schicksalsschläge, aber auch gegen die ganz normalen Probleme des Erwachsenwerdens.

Eine Folge dreht sich ganz um unangenehme Wahrheiten.

Dabei fällt der Satz:

„Wir sind immer wieder gezwungen, unangenehme Wahrheiten zu sagen. Das ist eine der schwierigsten Aufgaben in unserem Leben.“

Unangenehme Wahrheiten – im Beruf, im Privatleben, in der Familie.

Überall sind sie zu finden.

Ich fange mit einer kleinen unangenehmen Wahrheit an, die mir schon lange im Bauch liegt.

Und siehe da – es geht mir besser.

Es mag kitschig sein, aber diese wuchtige Aussage hat mir beim Schauen der Serie irgendwie den Spiegel vorgehalten.

Umso länger ich warte, desto schwieriger und unangenehmer werden sie.

Die Zeit läuft!

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Berührt …

… hat mich wieder ein kleines, leises Lied. Geschrieben von einer Gruppe Liedermacher, Schlagsaite, die ich mal in Hamburg gesehen habe und deren Musik mich seitdem begleitet.

„Für die Liedersänger“ ist für mich ein wunderbares Lied, das in wenigen Worten genau das anspricht, was Weihnachten verheißen will:

„Dass hin und wieder alles irgendwie neu anfängt“, dass es für jede*n, auch für die, die nicht mehr daran glauben können oder wollen, einen Neuanfang gibt. Auch für die „Weltverflucher“. Es singt von einer Hoffnung, die uns immer wieder begegnet. Sich nicht aufdrängt, sondern einfach da ist. Darauf wartet, dass wir „dann mal schlau spielen“.

Mehr Interpretation will ich den Zeilen nicht antun. Für mich wird hier Verheißung gesungen. Statt mit Engelsflöten mit Schlagzeug und Gitarre. Nicht süß wie Weihnachtsglocken, sondern echt und kratzig wie ein kurzer Mitschnitt.

https://www.youtube.com/watch?v=Ge9Q2W2i1hQ?t=3m

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Ich liege im Bett

Ich liege im Bett.

Ist ja erstmal nichts Ungewöhliches – dafür wurde es ja erfunden.
Zum Liegen und Schlafen… und vielleicht für ein paar andere Dinge.

Ich liege im Bett.

Neben mir ein Pizzakarton – Kochen war heute nicht.
Es ist 16:24. Eine dieser Zeiten, bei denen es sich schwierig gestaltet, als (halbwegs) Erwachener eine Ausrede zu finden nutzlos rumzuliegen.

Ich liege im Bett.

Und hätte eigentlich zu tun.
Mein Schreibtisch
Meine Ablagefläche für Dinge, die ich vor mir her schiebe, quillt über.
Mein Boden müsste auch mal wieder gestaubsaugt werden.
Ein Blick auf mein Handy verrät: drei Anrufe in Abwesenheit.
Und was mache ich?

Ich liege im Bett.

Und staune.
Über mich. Über die Welt.
Über diese Stimme, die leise sagt: „Dann steh halt auf und mach was!“
Über diese andere Stimme, die lauter ist und schreit: „Aber warum denn?“

Ich liege im Bett.

Dann steh ich auf, nehme den Pizzakarton und werfe ihn weg.
Ich gehe an den Schreibtisch.
Die laute Stimme, der innere Schweinehund, bellt noch einmal und ist dann still.

Heute habe ich gewonnen.

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Wenn Bleiben der beste Aufbruch ist

Eine Dachterrasse in Madrid.

Freundschaft, Freiheit und Zufriedenheit.

Drei Stunden lang.

Und zwischendurch immer wieder die Pläne zum Aufbruch: Sightseeing, Shopping, Essen.

Je mehr Zeit vergeht, umso größer wird der Hunger. Und die Pläne.

Wir können alles schaffen, was wir wollen. Zu zweit können wir Madrid erobern und die ganze Welt gleich mit. Keine Grenzen. Nichts hält uns auf. Hochgefühle. Wir schmieden Pläne über all das, was wir machen, wenn wir aufbrechen. Und bleiben sitzen.

Drei Stunden lang.

Die Pläne wachsen weiter.

Gnadenlose Selbstüberschätzung und somit Ursprung der Sünde sagen wohl die Theologen. Alkoholeinfluss sagt meine Mitplanerin. Gotteserfahrung sage ich.

Wer Recht hat? Keine Ahnung. Ich glaube, ich.

Das Ergebnis dieser Gotteserfahrung?

Ein Loch im Magen. Sonnenbrand auf den Schultern. Und das Gefühl wirklich aufgebrochen zu sein.

Mitten im Bleiben.

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

417 Meter über New York

Normalerweise ist es einfach, einen Schritt nach vorne zu gehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Doch als ich kürzlich im Kino saß, mit der 3D-Brille auf der Nase, und dem Protagonisten auf der Leinwand beobachtete, da dachte ich: Nie und nimmer würde ich diesen Schritt tun, der nun folgen würde. Nie im Leben.

„The Walk“ erzählt eine wahre Geschichte, die von Philippe Petit, einem französischen Hochseilartisten. Er sucht nach immer neuen Orten für den nächsten Nervenkitzel, er will immer weiter über sich hinauswachsen. Petit bricht schließlich auf, um seinen Lebenstraum zu verwirklichen: Auf einem Seil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers zu balancieren. Illegal natürlich – und ohne Sicherung.

Es ist vor allem ein Satz Petits, der mir nachgeht:  „People ask me: ‚Why do you risk death?‘. For me, this is life.“ Das soll das Leben sein? Dieser Schritt auf das Drahtseil, 417 Meter über der New Yorker Innenstadt, den ich niemals tun würde? Muss ich einen Extremsport betreiben, um das „wahre Leben“ zu spüren? Braucht das Leben das Angesicht des Todes, um voll zur Geltung zu kommen?

Je mehr ich darüber nachdenke: Ich würde zwar niemals einen Aufbruch wagen, wie es der Protagonist von „The Walk“ getan hat. Aber ich muss täglich andere Schritte tun, vielleicht nicht Hunderte Meter über New York, aber häufig ohne Absicherung. Ohne die Gewissheit, dass es gut ausgeht. Ich muss Neues wagen, um voranzukommen.

Und dann kommt mir in den Sinn: Vielleicht ist es nicht die Nähe des Todes, die uns das Leben spüren lässt – auch nicht beim Hochseilartisten Petit. Vielleicht spürt man* das Leben dann besonders intensiv, wenn man* über sich hinauswächst. Jede*r in ihrem*seinem Rahmen.

logo_aufbruch_abbruch

Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Der Fremde ist fremd.

Ja, wer ist das denn?

Der Fremde.
„Ein Schmarotzer! Der nimmt uns die Arbeit weg! Schützt unsere Kinder!“
Aha. Wie treffend.

Der Fremde, wer ist das?
„Asylantenpack! Weg damit! In Auschwitz ist noch Platz!“
Aha. Wie widerlich.

Der Fremde, wer ist das?
Ein Flüchtling – der flüchtet also. Vor was?
Vor Krieg. Vor Tod. Vor Hunger.
Der will weg.
Weg von Menschen, die Kinder töten.
Weg von Schutthaufen, die mal Städte waren.
Weg von zu Hause – weil er weiterleben will.

Und jetzt ist er hier, hat sich durchgekämpft.
Er hat (irgendwie) überlebt, steht hier, ist angekommen –

… und ist fremd.

Na super.
Da ist er gerannt, geschwommen, gehetzt.
Er hat gehungert, hat tagelang nichts getrunken.
Hat Schlepper*innen überlebt und Schiffe, die diesen Namen nicht verdient haben.

Und steht hier und ist fremd.
Und wir rümpfen die Nase.

Ich gehöre zu der Generation, die Dreiviertel ihres moralischen Kompasses aus Disneyfilmen generiert hat.
Deswegen darf ich hier auch ohne Probleme Pocahontas zitieren:
Für dich sind echte Menschen nur die Menschen,
die so denken und so aussehn wie du.
Doch folge nur den Spuren eines Fremden,
dann verstehst du, und du lernst noch was dazu. (…)
Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt!

derfremde

Der Fremde, wer ist das?

Schmarotzer.

Flüchtling.

Sozialfall.

Armer.

Pack.

Mensch.

Mut zum Tiger in dir

Was ich am Theologiestudium besonders klasse finde, sind die Praktika. Raus aus dem Vorlesungssaal, hin zu den Menschen, Erfahrungen sammeln, sich ausprobieren, das Gelernte in die Tat umsetzen, Glaube vor Ort erleben und teilen…

Eine der prägendsten Erfahrungen, die ich in meinem letzten Praktikum machen durfte, war das Ermutiger*in-Sein. Im Rahmen einer ökumenischen Jugendaktionswoche, in der es darum ging, gemeinsam Gutes zu tun und sich sozial zu engagieren, wurden ein paar Jugendliche und Betreuer*innen für einen Tag lang zu Ermutiger*innen. Unsere Mission: Menschen an ihrem Arbeitsplatz besuchen. Unser Ziel: ihnen für ihre tagtägliche Arbeit „Danke“ sagen – kurz: sie ermutigen.

Ausgestattet mit einem Strauß Blumen sind wir also losgezogen und haben Menschen an ihren unterschiedlichen Arbeitsplätzen überrascht: in der Polizeidienststelle, in der Bäckerei, im Krankenhaus…

Die Menschen haben zunächst nicht schlecht gestaunt, als plötzlich eine Gruppe junger Leute mit Blumen vor ihnen stand, um ihnen ein positives Feedback für ihre Arbeit zu geben. Doch nach der ersten Verwunderung erschien ein Lächeln auf den Gesichtern. „Es tut gut, sowas mal gesagt zu bekommen. Wir versuchen wirklich jeden Tag unser Bestes zu geben. Schön, dass unsere Arbeit geschätzt wird!“

Durch diese Aktion ist mir deutlich geworden, dass Ermutiger*in-Sein ganz einfach ist, sei es für ein Familienmitglied, für eine*n Freund*in oder eben für einen fremden Menschen an seinem Arbeitsplatz. Es braucht dabei nicht viele große Taten oder Worte. Eine kleine Geste, wie ein Lächeln oder ein positiver Zuspruch reichen manchmal schon, um einen Menschen zu ermutigen, ihm eine Freude zu machen und ihm zu zeigen, dass man ihn und das, was er tut, wertschätzt. Sowas kann Balsam für die Seele sein, nicht nur für den*die Ermutigten, sondern auch für den*die Ermutiger*in selbst.

Es wäre schön, wenn die Welt voller Ermutiger*in wäre…

…lass uns heute noch damit anfangen.

Weck den*die Ermutiger*in in dir!

Türen dieser Welt

Es bringt mich aus der Fassung. Wie viele Leute sich dagegen wehren, Flüchtlingen die „Türe aufzumachen“. Wie viele Sätze in dieser Richtung mit „Ich stelle weder die Menschenrechte in Frage, noch bin ich ausländerfeindlich“ beginnen und einem gesprochenen oder hörbar gedachten „…, aber…“ beendet werden.

Gleichzeitig stehen viele Andere für Flüchtlinge ein und auf, versuchen zu argumentieren und zu begründen, warum es gut, gerecht, sinnvoll, gewinnbringend,… ist, fremde Menschen im „eigenen Land“ aufzunehmen.

Was mich dabei immer häufiger zum Nachdenken bringt: Warum braucht es diese vielen verschiedenen Argumentationen? Egal ob religiös motivierte („Jesus war ja auch ein Flüchtling“), oder solche, die besagen, „dass das alles gar nicht so schlimm ist – immerhin kenne man doch bestimmt den und den – und der war ja auch mal Flüchtling und sei doch jetzt ein guter Bürger…“, sie alle rechtfertigen und suchen wortreich nach Begründung.

Warum reicht es denn nicht schlichtweg, dass es einem Menschen schlecht geht, jemand kein Zuhause hat, um sein oder ihr Leben bangen muss?
Warum ist diese himmelschreiende Ungerechtigkeit nicht schon Grund genug?
Ist sie nicht Grund und die Menschen, die nach Schutz suchen, nicht Anlass genug, mir mal wieder zu überlegen, wem diese Welt denn nun gehört?

Es mag naiv klingen, aber reicht das nicht? Reicht das nicht aus, um Menschen zumindest die „Tür“ „meines Landes“ aufzumachen?

Wer hat diese Tür überhaupt gebaut? Gehört die Welt nicht allen, die auf ihr herumlaufen?!