Ein Stück vom Zuckerkuchen

So langsam komme ich ja tatsächlich in das Alter, in dem der Anteil an Hochzeiten und Taufen im Partygeschehen prozentual sprunghaft ansteigt. Aber keine Angst, das wird kein jammervoller Sinnsuche-Artikel der mittleren Zwanziger à la

Wo will ich hin? Was macht mein Leben aus? Warum heiraten alle, nur ich nicht? (Nicht, dass es diese Momente nicht gäbe…)

Das Schöne, besonders an den Taufen, ist, dass wir dadurch im Freundeskreis ein neues Thema bekommen haben. Es eignet sich hervorragend dazu, all die lebenswichtigen Fragen und theologischen Diskussion mal beiseite zu lassen: die liebsten Kindergeschichten.

Ist das ein aktueller Trend, dass man Kindern jetzt Geschichten schenkt? Zumindest ist es mir in letzter Zeit häufiger begegnet – vielleicht sollte ich mal die Väter hier im Team fragen 😉 Ich finde die Idee jedenfalls echt toll.

Außerdem war sie der Auslöser dazu, die Gespräche über Jobsuche, Abschlussarbeiten und Theodizee einmal beiseite zu schieben. Bei dieser Diskussion hab‘ ich einige gute Freund*innen nochmal neu kennengelernt. Auf eine Art, die uns, die wir uns erst im Studium begegnet sind, bisher verwehrt blieb.

Wir tauchten ein in ein Stück Kindheit der/des anderen, lieferten uns einen Schlagabtausch, warum der Regenbogenfisch mindestens genauso schön ist wie Helme Heines drei Freunde oder Die drei Fragezeichen. Erörterten, wie Astrid Lindgren so unglaublich tolle Bücher geschrieben hat und warum wir alle eigentlich Lisa, Ole, Lasse oder Ronja heißen wollen.

Das Bewegende an dieser Diskussion fand ich, dass sie nie entschieden werden kann. Klar kann man überlegen, welche Geschichte den höheren pädagogischen Gehalt hat, die besseren Werte vermittelt… Oder man kann einfach erkennen, dass es etwas ist, das der/dem Gegenüber viel bedeutet, das sie oder ihn geprägt hat. Es sind Stücke einer wie auch immer verlaufenen Kindheit – in der es zumindest einen schönen Punkt gab – die Lieblingsgeschichte nämlich.

In diesem Sinne: Danke, liebe Eltern, für den Gedankenanstoß. Wir kommen gerne mal zum Vorlesen vorbei!

Das Radio in meinem Kopf

Ohrwurm, der
Substantiv, maskulin
(umgangssprachlich) Lied, Schlager, Hit, der sehr eingängig und einprägsam ist
mögliche Synonyme: Gassenhauer, Schnulze, Song

Ziemlich nervig, diese Viecher. Nur zwei Takte „Atemlos“ und man* wird es die ganze Nacht nicht los. Ok, das ist wirklich der worst case.

Es geht auch anders. Mein letzter Ohrwurm, der mich Tage begleitet hat, war der neue Star Trek-Titel. Den hab ich solang vor mich hingesummt, bis mein Mann mir den Soundtrack besorgt hat und es als Wecker und Klingelton eingestellt hat.

In dieser Musik könnte ich mich verlieren. So majestätisch, so – fast würde ich altmodisch sagen – „erhaben“. Das löst Gefühle in mir aus, bringt mich in eine bestimmte Stimmung.

Und jedes mal wenn ich in meinem Alltag auf diese Stimmung treffe, wenn ich mir einen Sonnenaufgang ansehe oder wenn ich einen Vogel erhaben durch das Himmelsblau schweben sehe, wird diese Musik in meinem Kopf gespielt –
als mein ganz persönlicher Soundtrack.

Oft merke ich erst in welcher Stimmung ich bin,
wenn ich bewusst auf mein Radio im Kopf höre.
Welche Songs sind gerade dran?

Und manchmal bin ich dann überrascht:
Da trällert mein Hirn ein Taizè-Lied dahin
und erinnert mich daran,
dass es mehr gibt in meinen hektischen Alltag.

Zwei Welten?

Valerie und der Priester gehört seit etwa einem halben Jahr zu meiner regelmäßigen Lektüre. Valerie Schönian folgt bei diesem Blog dem jungen Priester Franziskus – das Motto: Die agnostische Journalistin und der Mann Gottes erklären dem*der anderen (und dem*der Leser*in) ihre Lebenswelt.

Was erstmal ein wenig wie ein neues Format von den Macher*innen von Frauentausch und Co. klingt, liest sich überraschend frisch. Die Protagonist*innen versuchen so klar, ehrlich und authentisch wie möglich Fragen zu stellen und zu beantworten – und das gelingt sogar meist.

Als Leser interessiert mich der Austausch, das Wieso und Wohin der Beiden.
Mich interessieren die kleinen und großen Konflikte: Frauenpriestertum (natürlich), die Frage nach dem Nutzen des Gebets, und vieles mehr.

Schade ist, das ich – der Leser – mich fühle, als müsste ich mich entscheiden. Team Franziskus oder Team Valerie?
Liberal und fresh, oder konservativ und Angst vor Sexszenen im Theater?
Muss ich als Mensch, der an Gott glaubt und deswegen Theologie studiert, immer mit Franzsiskus übereinstimmen?

Oder darf ich katholisch sein und mich trotzdem fragen, ob „Jesus hatte ja nur Männer berufen“ wirklich Grund für den kategorischen Ausschluss des Frauenpriestertums sein kann?
Darf ich katholisch sein und trotzdem für die absolute Gleichberechtigung kämpfen?
Ich möchte Franziskus zustimmen, wenn er vom persönlichen Glück einer Beziehung zu Gott spricht.
Aber ich möchte auch mit Valerie fragen dürfen, ob das klassische Gebet dazu der einzige, der beste Weg ist.

Es gibt keine einfachen Antworten – aber deswegen darf ich doch das Fragen nicht aufgeben, oder?
Wie sieht christliches Leben aus – abseits des Pfarrhauses?

Ich will Austausch.
Ich will wissen, was die Menschen glauben.
Ich will aufhören, so zu tun, als wüsste ich alles.

Es gibt keine einfachen Antworten – aber ich darf doch das Fragen nicht aufgeben, oder?

Welcher Weg denn jetzt?

Gott, lass meine Gedanken sich sammeln zu dir.

Einmal durchatmen. Ich lasse den Blick in die weite streifen. Die Sonne geht auf. Der Nebel zieht weg. Ich atme ein. Kalte Luft füllt die Lunge. Ich atme aus. Wolken bilden sich. Meine Gedanken kreisen. Das eine könnte ich noch. Das andere geht nicht mehr. Hier noch schnell was machen. Hab ich da etwas vergessen? Ich atme ein. Mich sammeln. Geht gar nicht mal so schnell. Bei dir? Geht gar nicht mal so einfach.

Bei dir ist das Licht, du vergisst mich nicht.

Puh. Ob das so stimmt? Du vergisst mich nicht? Nimmst den Mund doch ganz schön voll. Kannst du halten, was du versprichst? Ich atme ein und wünsche mir, dass es stimmt. Dass du auch an mich denkst.

Bei dir ist die Hilfe, bei dir ist die Geduld.

Dass du mir eine Hilfe bist. Dass du mir hilfst geduldiger zu sein. Auch mal abzuwarten. Eine Stille zu nutzen, um herauszufinden was ich will.

Ich verstehe deine Wege nicht,

Ich atme aus und genauso unberechenbar wie die sich bildenden Formen des Atems fühlt sich der Weg an, auf dem ich bin. Da geht es entlang und dann ist es weg.

aber du weißt den Weg für mich.

Das ist wohl alles, was mir bleibt. Die Sonne ist aufgegangen. Der Nebel ist weg. Meinen Atem sehe ich nicht mehr. Ich fang‘ dann mal meinen Tag an.

Brot zum Geburtstag

Es ist wieder soweit: Die Oma hat Geburtstag!

Schnell noch den Magen dehnen, damit ich mir keine lästigen Nachfragen über mein Essverhalten gefallen lassen muss und mit den Geschwistern überlegen, welche alten und schon tausendmal gehörten Geschichten an diesem Geburtstag wieder aufgetischt werden. Und jedesmal die gleiche Frage: Was schenkt man* der Oma zum Geburtstag?

Eine verdammt schwierige Frage, die sich allen Verwandten Jahr für Jahr stellt. Am Ende läuft es ja meist doch auf einen Blumenstrauß, einen Deko-Artikel oder einen Gutschein für ein Essen mit der Familie hinaus.

Im Nachhinein betrachtet waren wir alle mal wieder sehr einfallslos. Denn das vielleicht schönste Geschenk und damit einen ganz besonderen Geburtstag hat meine Oma von einem älteren Herrn aus dem Nachbarort bekommen: Er schenkte ihr Brot.

Nun mag man gerade in der Eifel, in der es Gott sei Dank noch viele traditionelle Bäckereien gibt, denken: Okay, Brot? Gibt es doch an jeder Ecke!

Doch die Geschichte hinter dem Brot ist etwas Besonderes: Der ältere Herr ist seit kurzem im Ruhestand und hat seine Bäckerei, die er von seinem Vater übernommen hatte, damit auch geschlossen.

Auch hier mag man nun wieder denken: Okay, Bäckereien kommen und gehen.

Aber erst an diesem Geburtstag wurde mir bewusst, was dieses Brot meiner Oma bedeutet hat. So hat sie in ihrem Leben nie ein anderes Brot als aus besagter Bäckerei gegessen. Sie liebte dieses Brot so sehr, dass sie aus lauter Verzweiflung kurzerhand die Kühltruhe ausgeräumt und noch möglichst viel Brot eingefroren hatte.

Und nun hatte der der alte Bäckermeister aus dem Nachbarort für ihren Geburtstag nochmals den Ofen angeworfen und meiner Oma „ihr“ gutes Brot gebacken.

Ich muss zugeben, das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Nicht nur über unsere Wegwerfgesellschaft, diese ganzen Discount-Bäckereien und Aufbackbrötchen (an denen ich mich selbst auch regelmäßig bediene) und die Frage, ob ich eine solche Treue zu einem Geschäft aufbringen könnte, wenn ich doch am liebsten den kürzesten und einfachsten Weg zu einem Supermarkt aufsuche… Geschenkt!

Wirklich ins Grübeln kam ich etwas später, als meine Oma sagte: „De Heerr hätt sich jett jedacht, dat hän sesch ohs im Bruht schenkt.“ (Übersetzung: „Der Herr hat sich etwas gedacht, dass er sich uns im Brot schenkt.“)

Dann tat sie etwas, dass sie seit über 70 Jahren mit jedem Laib Brot machte: Bevor sie ihn anschnitt, segnete sie das Brot in dem sie mit dem Brotmesser ein Kreuz auf die Unterseite des Laibes zeichnete, und verteilte das Brot anschließend an die ganze Familie. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie schön das ist.

Von Angst und Hoffnung.

2015. Irgenwann nach den Anschlägen von Paris. Ein Gespräch.

Wir sitzen auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist spät.

„Ich versteh´ den IS nicht – was wollen die denn?“
(Schluck Bier –  nervöses Lachen)
„Angst. Die wollen, dass du Angst hast. Und ich. Wir alle.“
(Schluck Bier)
„Aber hab ich das? Paris, New York – klar, dass da was passiert.
 Warum soll ich denn hier Angst haben? Als könnte in Trier was passieren…“
(Schluck Bier – Themenwechsel)

2016. 8  Tage nach Würzburg. 2 Tage nach Ansbach. Ein Selbstgespräch.

Ich sitze auf dem verrauchten Dachboden meiner WG – es ist früh.

40.000 Einwohner hat Ansbach. Knapp 50.000 weniger als Trier. Knapp 20.000 mehr als meine Heimatstadt.
(Schluck  Kaffee – Handysummen – Breaking News: Geiselnahme in einer nordfranzösischen Kirche)
Nach Paris war ich sicher. Angst habe ich nicht gefühlt.
(Schluck Kaffee)
Und jetzt? Was fühle ich?
Es ist diffus. Angst könnte man es schon nennen – aber auch:
Verwirrung. Trotz. Ein mulmiges Gefühl im Bauch.

(Schluck Kaffee – Zigarette)
Aber warum Angst?
Weil es kleiner ist. Näher. Da wird in der Provinz geschlitzt und gebombt.
Das ist nicht mehr Paris. Das kann jetzt überall sein.
(Schluck Kaffee)
Wenn so was Angst sähen kann – wie kann man Hoffnung pflanzen?

2 Stunden später. Auf dem Weg zu Aldi. Ein Gespräch.

Ich laufe durch die Innenstadt. Alles wie immer.
Eine Frauenstimme singt – „Arabisch“, denke ich.
Da sitzt sie, direkt neben der Eingangstür.
Sie trägt ein blumiges Kopftuch und singt.

Schön“, sage ich.
Sie lächelt: „Danke.“ –  „Was singst du da?“
Gebrochenes Deutsch: „Ich singe. Liebe, Leben und Gott, singe ich.“
„Warum?“
„Überall Tod. Wenn ich singe, kein Tod. Wenn ich singe, keine Angst

Wow. Im Weitergehen frage ich mich noch:
Kaffee, oder Bier? Was kaufst du jetzt?

So don’t let me, don’t let me, don’t let me down!

Völlig am Ende.
Kurz davor durchzudrehen.
Schreiend und flehend.
Der einzige Ausweg:
Ein Wunder.

Alleingelassen.
Enttäuscht.
Wütend.
Und doch:
Hoffnung, dass genau jetzt doch jemand da ist.

Ein Klagepsalm.

The Chainsmokers - Don't Let Me Down (Video) ft. Daya

Das Jahr deines Lebens

… mit diesem Versprechen wirbt die neue Werbekarte meiner Kolleg*innen aus dem Bereich Freiwilligendienste zu einem Freiwilligen sozialen Jahr.

Als sie mir in die Hand gefallen ist, musste ich erstmal überlegen, was das Jahr meines Lebens war – das, in dem ich meinen Schulabschluss gemacht habe – mit unzähligen Feiern, Weinfesten und dem Gefühl, mit der Stufe was RICHTIG Großes auf die Beine gestellt zu haben? Das Jahr, von dem ich vier Monate in Schweden auf tollen Höfen verbracht habe? Oder ist es dieses jetzt gerade – die Abschlussarbeit im Nacken und den ersten Job gerade angetreten?

Manchmal habe ich Angst, dass mir das zu viel wird oder dass ich mein letztes tolles Studienjahr verpasse. Und gleichzeitig merke ich: Hier gehöre ich hin. (wie Madeleine vorletzte Woche schrieb: Hier bin ich richtig)!

Das wird jetzt mein Jahr, meine Zeit, meine Herausforderung. Und gleichzeitig kommt die Erkenntnis: Dieses einzige perfekte Jahr gibt es nicht – zumindest so lange nicht, wie ich es nicht dazu mache.

Eines ist allen Jahren gleich, egal ob sie Schicksalsschläge bergen, einfach dahinfließen oder auf die Liste der „Jahre meines Lebens“ kommen: Gott geht mit. Das macht die Jahre nicht besser, als sie sind. Aber es schafft Vertrauen und die Hoffnung, sich nicht alleine durch dieses Leben wurschteln zu müssen.

Von Flüssen und Schleifen

Ich bin Rheinländer; in Bonn geboren.
Und als solcher muss ich bekennen:
Es gibt keinen schöneren Fluss als den Rhein.
Der Rhein ist ein ehrlicher Fluss. Er verheimlicht nicht, wo er entlangfließt;
kilometerweit ist der Verlauf zu sehen.

Er hat mir die Sehnsucht gezeigt. Das Streben zum Horizont.
In die Weite blicken. Das Träumen vom Ziel.

Ganz anders die Mosel, an der ich die letzten vier Jahre meines Lebens verbracht habe.
Die Mosel schlängelt sich durch die Weinberge. Sie verrät ihren Verlauf nicht.
Ein Horizont ist nicht zu erkennen, sondern nur eine Kurve.

So sehr ich doch die Ehrlichkeit des Rheins schätze,
habe ich von der Mosel das Schleifen-Schlagen gelernt.
Eben auch mal eine Schleife machen. Nicht immer geradeaus zu gehen.
Sich nicht hetzen lassen, sondern gemütlich sich dem Ziel zu nähern.