Feuermomente

Dabei  sein.
Nur nicht trödeln.
Von einer wichtigen Verabredung  zur nächsten.
Immer auf dem Sprung.
„Ich muss aber noch schnell…“

Und dann trotzdem immer irgendwie zu spät kommen.
Nirgens richtig da sein.
Und im Hinterkopf das alte Sprichwort meiner Mutter:
„Du kannst nicht auf jeder Hochzeit tanzen!“
Na und? Ich will es aber versuchen!

So sieht mein Leben in letzter Zeit viel zu oft aus.
Ich hetze von Tür zu Tür und mache all die Sachen die ja soo wichtig sind.
Dann passt mein Leben quasi auf die DinA5 Seite meines Taschenkalenders auf das Display meines Handys.
Und immer öfter liege ich im Bett und stelle mir die Frage:
Heute schon gelebt?

Ich ändere das jetzt.
Leichter gesagt als getan. Aber ich meine es ernst.
Ich lege den Schalter um und versuche mal irgendwo ganz da zu sein.

Angekommen…

Da sein – bei der Tasse Kaffee am Mittag.
Ankommen – beim Abend mit Freund*innen.
Die Zeit vergessen, weil es so viel zu erzählen gibt.
Karten spielen.
Musik hören.
Sich selbst nicht ganz so ernst nehmen.
Der Sonne beim Aufgehen zuschauen.

Die Liste ist lang und könnte noch länger sein.
Es ist meine Liste.
Meine Liste mit Feuermomenten.
Diese Momente will ich brennen lassen, dass es knistert und raucht.

Sie sollen mich wärmen, dass ich auftaue.
Auch wenn mir manchmal der Rauch in die Augen weht.
Auch wenn jede Sekunde der Alltag wieder um die Ecke schaut.

„Du kannst nicht auf jeder Hochzeit tanzen“
Das stimmt.
Deswegen suche ich jetzt den Moment.

Und lasse ihn brennen.

Weihnachtsprobleme

Ich habe so meine Probeme mit Weihnachten.

Jetzt nicht direkt mit dem Fest an sich, nicht mit der Nachricht, um die es geht.
Darüber will ich heute aber auch nicht reden – heute bin ich nicht der Theologe, der die Weihnachtsgeschichte auslegt.

Heute frage ich mich einfach: Wie soll ich das denn überstehen?

Frei auf der Arbeit – Keine Vorlesungen. Der schöne Alltag, an den ich mich klammere, verpufft.
Dann geht es auf in die Heimat. Mit Sack und Pack zu Mama und Papa.

Der Weihnachtsbaum ist – wie jedes Jahr- irgendwie schief und kahl, weil „sich irgendjemand zu spät drum gekümmert hat ihn zu besorgen.“
Wer genau dafür zuständig war ist unklar – wie jedes Jahr.
Ich war es nicht. (Zum Glück!)

Die Deko ist mir zu hell, zu viel, zu bunt.
Die Küche ist mir zu klein, zu laut, zu unübersichtlich, wenn alle gleichzeitig mitwirken wollen am Weihnachtsbraten.
Das Wohnzimmer zu vollgestellt, zu Kerzenlicht, zu warm. (Mal ehrlch: 25 Grad?!)

Wir schaffen es irgendwie durch Essen, Bescherung und Weihnachtslieder durch, ohne zu streiten.
Jacke an, die Glocke läutet: Abendmesse.

Weil wir „einen guten Platz brauchen, wo man auch was sieht“ sind wir eine gefühlte Stunde zu früh in der Kirche.

Warum tu ich mir das jedes Jahr an?

Vielleicht, weil es genau darum geht (jaa, ich weiß, der Theologe lässt grüßen).
Weihnachten ist etwas, dass man übersteht.
Wo man über sich und den Dingen einfach mal drüber steht. Groß ist.
Den*die andere*n annimmt – genau wie er*sie ist.
Ich schlucke meinen Ärger über Deko, Famille und Braten runter.

Nach der Messe gibt’s noch ein Glas Sekt.

Und ich habe tatsächlich einen tollen Abend.

Überstanden.

Ich liege im Bett

Ich liege im Bett.

Ist ja erstmal nichts Ungewöhliches – dafür wurde es ja erfunden.
Zum Liegen und Schlafen… und vielleicht für ein paar andere Dinge.

Ich liege im Bett.

Neben mir ein Pizzakarton – Kochen war heute nicht.
Es ist 16:24. Eine dieser Zeiten, bei denen es sich schwierig gestaltet, als (halbwegs) Erwachener eine Ausrede zu finden nutzlos rumzuliegen.

Ich liege im Bett.

Und hätte eigentlich zu tun.
Mein Schreibtisch
Meine Ablagefläche für Dinge, die ich vor mir her schiebe, quillt über.
Mein Boden müsste auch mal wieder gestaubsaugt werden.
Ein Blick auf mein Handy verrät: drei Anrufe in Abwesenheit.
Und was mache ich?

Ich liege im Bett.

Und staune.
Über mich. Über die Welt.
Über diese Stimme, die leise sagt: „Dann steh halt auf und mach was!“
Über diese andere Stimme, die lauter ist und schreit: „Aber warum denn?“

Ich liege im Bett.

Dann steh ich auf, nehme den Pizzakarton und werfe ihn weg.
Ich gehe an den Schreibtisch.
Die laute Stimme, der innere Schweinehund, bellt noch einmal und ist dann still.

Heute habe ich gewonnen.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.

Novemberlaune und Sonnenmenschen

Augen auf – Der Wecker klingelt, 7 Uhr.
Fenster auf: Novemberwetter.
Ich gehe aus dem Haus. Ich bin gewappnet.
Mit meinem neuen besten Freund:
Dem Regenschirm.
Mit ihm versuche ich mich zu schützen.
Vor der Nässe. Vor der Welt. Vorm November.
Im November läuft alles auf Sparflamme.
Die Heizungen. Aus Kostengründen.
Auf Sparflamme auch meine Motivation.
Im Studium. Im Freundeskreis. Im Leben.
Nur die Regenwolken scheinen von Sparflamme noch nichts gehört zu haben.
Schade drum.
Ich hasse den November. Jetzt ist es raus.
Ich hasse diesen toten Monat.
Da ist der Weinstand am Hauptmarkt nicht mehr und der Weihnachtsmarkt noch nicht offen.
Ich hasse den November und das merkt man auch.
Im November bin ich kein guter Mensch.
Im November brauch ich euch noch viel mehr.
Ihr Sonnenmenschen.
Ihr Wolkenbrecher*innen.
Ich brauche euch zum Aufrechtgehen. Zum Kopf Ausschalten.
Ihr dreht meine Sparflamme auf und haltet den Regenschirm für mich.
Dann kann ich ich sein – und vielleicht doch ein bisschen mehr so wie du.

Der Fremde ist fremd.

Ja, wer ist das denn?

Der Fremde.
„Ein Schmarotzer! Der nimmt uns die Arbeit weg! Schützt unsere Kinder!“
Aha. Wie treffend.

Der Fremde, wer ist das?
„Asylantenpack! Weg damit! In Auschwitz ist noch Platz!“
Aha. Wie widerlich.

Der Fremde, wer ist das?
Ein Flüchtling – der flüchtet also. Vor was?
Vor Krieg. Vor Tod. Vor Hunger.
Der will weg.
Weg von Menschen, die Kinder töten.
Weg von Schutthaufen, die mal Städte waren.
Weg von zu Hause – weil er weiterleben will.

Und jetzt ist er hier, hat sich durchgekämpft.
Er hat (irgendwie) überlebt, steht hier, ist angekommen –

… und ist fremd.

Na super.
Da ist er gerannt, geschwommen, gehetzt.
Er hat gehungert, hat tagelang nichts getrunken.
Hat Schlepper*innen überlebt und Schiffe, die diesen Namen nicht verdient haben.

Und steht hier und ist fremd.
Und wir rümpfen die Nase.

Ich gehöre zu der Generation, die Dreiviertel ihres moralischen Kompasses aus Disneyfilmen generiert hat.
Deswegen darf ich hier auch ohne Probleme Pocahontas zitieren:
Für dich sind echte Menschen nur die Menschen,
die so denken und so aussehn wie du.
Doch folge nur den Spuren eines Fremden,
dann verstehst du, und du lernst noch was dazu. (…)
Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt!

derfremde

Der Fremde, wer ist das?

Schmarotzer.

Flüchtling.

Sozialfall.

Armer.

Pack.

Mensch.

Sonnenstrahlkraft

Es ist vier Uhr am Nachmittag, die Sonne hat sich hinter Wolken und Nebel versteckt. Ich bin müde und mache ich mich auf den Weg nach Hause. Eigentlich hätte ich noch Uni – aber die letzte Vorlesung lasse ich sausen. Das ist heute einfach nicht mehr drin…

Mein Auto scheint fast von allein zu fahren. So ist das, wenn man einen Weg wieder und wieder fährt. Die Gewohnheit sitzt am Steuer und lässt einen abstumpfen: für die Umwelt, die andern, das Leben.

Aber das ist mir auch heute ganz recht so – erst mal das Radio aufdrehen. In meinem Auto schotte ich mich ab: vom Nachdenken, von mir, und auch von Gott.

Und dann passiert es plötzlich, auf dem Weg nach unten übersehe ich ein Schlagloch. Ich schrecke auf und schaue mich um… und sehe es. Ich kann es nicht in Worte fassen. Wahre Schönheit: Die Sonne, gerade im Begriff unterzugehen. Das Bild brennt sich mir ein. Ich drehe die Karre um und halte an einer Bushaltestelle. So was habe ich schon lange nicht mehr gesehen: Wie die Sonne hinter Nebelschwaden durchbricht, plötzlich noch einmal alles gibt und mir ihr Leuchten schenkt… wunderbar.

Es ist noch anderen wie mir ergangen. Sieben, acht Leute haben angehalten, sind ausgestiegen. Sie haben ihren Alltag zurückgelassen und stehen jetzt hier. Andächtig sehen wir zu. Eben noch im alten Trott verfangen, schauen wir jetzt einfach nur stumm zu und genießen. Niemand macht Fotos, jedem*r ist klar: Das hier lässt sich nicht einfangen. Nach zwei Minuten ist alles wieder vorbei.