Das Loch in der Kirche

Vor ein paar Wochen war ich beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Nicht als Theologin, sondern in einem Team des Organisationsbereich. Zu denken gab mir trotzdem einiges! Teil des Veranstaltungsortes, den wir betreut haben, war die Hospitalkirche in der Innenstadt. Der dort anstehende Umbau war beginnend mit dem Kirchentag Anlass für ein Kunstprojekt, das „Aufbruch – … Weiterlesen …

Danke

Job und Uni, zwei Städte, eine WG zu wenig.
Meine alte WG sagt: Du kannst immer kommen. Gästematratze belegt? Umbuchung in die nächste WG – einfach so.
Danke.

Job und Uni, vier Abschlussprüfungen.
Chef sagt: Alles gut!
Danke.

Scheißtag, Frust und keine Nerven.
Freund sagt: Einatmen. Ausatmen. Yoga machen.
Danke.

Weinfest, Fahrrad kaputt, letzte Bahn weg.
Mein Sturkopf verkündet: Dann lauf ich halt. Die Freundin neben mir sagt: Kommt gar nicht in die Tüte.
Gepäckträger, Wind im Gesicht, Lachen um mich rum.
Danke.

 

Wintersonnenwende

Heute ist der 21.12., der kürzeste Tag des Jahres. Wintersonnenwende. Um 8:13 Uhr ging die Sonne auf und um 15:56 Uhr geht sie unter. Ein Tag von nur sieben Stunden und 43 Minuten. Klar, auch die letzten Tage waren kurz und dunkel, da merkt man heute kaum einen Unterschied. Und dennoch finde ich diesen Tag nochmal besonders: Die Dunkelheit findet heute ihren Höhepunkt, die Nacht überwiegt so eindeutig den Tag wie zu keiner anderen Zeit im Jahr.

Ich dachte eigentlich, dieser Tag würde in mir ein Gefühl von Enge hervorrufen, das Bedürfnis, endlich auszubrechen aus diesen tristen, dunklen Tagen. Aber dem ist nicht so. Ich habe mich einerseits an die Winterzeit gewöhnt und die Zeit der Winterdepression überwunden, aber vor allem weiß ich, dass nach diesem kürzesten Tag kein kürzerer mehr folgt. Die Tage werden langsam aber sicher länger, wenn auch nur in kleinen Minutenschritten. Für mich ein Hoffnungsschimmer. Das Schlimmste ist geschafft, es geht bergauf!

Regen

Wenn es regnet, jogge ich immer nur im Kreis.

Ich laufe zu einem Parkplatz, der gerade mal 50 Meter von meiner WG entfernt ist; Runde um Runde. Ich gucke auf den Boden und habe eine Kapuze auf.

Ich mache das, damit ich, falls es mir zu nass oder zu kalt wird, schnell wieder nach Hause kann.

Ich wohne in einer schönen Stadt. Es gibt einen Park, einen Fluss mit Enten darauf und einen kleinen Wald. Aber wenn es regnet, gibt es für mich nur den Parkplatz und den Blick auf meine Laufschuhe. Manchmal frag ich mich, was das über mich aussagt. Was denken andere Leute, wenn sie mich immer im Kreis laufen sehen? Was denke ich da über mich? Bin ich zu ängstlich? Scheue ich das Risiko? Vermutlich von allem ein Bisschen. Aber egal was ist, irgendwie wünsche ich mir immer mehr als meine Runde, auch im Regen, auch in der Kälte, auch in Trauer, auch in Einsamkeit.

Eigentlich wünsch ich mir, dass ich mich traue meine Kapuze zurückzuschlagen, die kalten Tropfen auf meinem Gesicht zu spüren, zu dem Fluss zu laufen, mir die Enten anzuschauen, denen der Regen auch nichts ausmacht, lachend nach Hause zu laufen und zu wissen, dass sich das Neue gelohnt hat.

Gestern hat es nicht geklappt, aber ich glaube jetzt, da ich weiß, dass ich es will, kann ich es auch.

Wofür will ich Vorbild sein?

Wann bin ich ein gutes Vorbild? Diese Frage beschäftigt mich, seitdem ich vor drei Jahren Vater geworden bin – und in diesem Jahr ganz besonders. Grund dafür war die MHG-Studie oder wie sie ungeschönter im Ganzen heißt: „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“.

Ich bin zwar kein Beschäftigter der katholischen Kirche, aber heruntergebrochen besteht der größte Teil meiner Arbeit darin, die Kommunikation kirchlicher Institutionen zu verbessern, um eben wieder Menschen zu erreichen. Ich werbe für den Glauben und ich helfe beim Werben für die Kirche.

Die Frage nach der eigenen Vorbildrolle ist für mich die Frage nach der Übernahme von Verantwortung für meine Handlungen. Ich weiß nicht, wie ich diesen Konflikt auflöse. Ich weiß aber, dass ich mit meiner Arbeit in der Gegenwart Zukunft gestalte. Dass ich mit dem, was ich tue, zeige, was ich für richtig halte.

Ich bin sicherlich nicht immer das beste Vorbild, aber ich weiß, dass wenn ich meiner Tochter zeigen will, wie es auch anders geht, ich nicht bei dem bleiben kann, was gerade ist.

You can’t be what you can’t see.


Marian Wright Edelman – Gründerin und Vorsitzende der Children’s Defense Fund

Halbzeitpause

Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich Fußball gespielt. Zugegebenermaßen war das nie von sonderlich viel Erfolg gekennzeichnet, im Gegenteil. Ich war der Spieler, der seinen Platz auf der Ersatzbank nur dann aufgeben musste, wenn nicht genügend Mitspieler zum Spiel da waren. Kam es einmal zu dieser Katastrophe, galt die Devise möglichst den Ball zu meiden, dafür aber mit selbstbewussten Antritten und Laufwegen den Gegner zu verwirren, um so Räume für die eigenen Mitspieler zu schaffen. Meistens ist diese Taktik nach zwei Minuten aber aufgefallen, sodass ich den Rest der Zeit mit sinnlosem Hin- und Herlaufen verbracht habe.

So galt es die Spielzeit bis zur Halbzeitpause totzuschlagen. Diese schöne Zeit, die man in der Kabine verbringt, ohne die Sorge zu haben, mit weiteren Peinlichkeiten auf dem Platz aufzufallen.

Halbzeit. Eine wunderbare Zeit. Dabei war die Kabine unter den Maßstäben eines geschlossenen Raumes meist mindestens genauso hässlich wie mein Fußballspiel; zu klein, zu kalt, zu stinkend. Aber sie wurde zum Sehnsuchtsort, weil das Spielen meist noch schlimmer war.

Heute hat der Advent Halbzeit. Vieles habe ich mir für diese Zeit vorgenommen. Die Zeit etwas bewusster gestalten, mehr Zeit für mich und das Gebet nehmen, sozial aktiver sein, auf andere Menschen mehr Rücksicht nehmen. Vieles davon ist bisher etwa so erfolgreich gelaufen wie mein Fußballspiel. Leider ist der Advent auf den ersten Blick unbarmherziger als ein Fußballspiel. Es gibt keine Kabine, keine Halbzeitpause.

Aber dafür gibt es etwas anderes: Die Hoffnung, dass das alles nicht so aussichtslos ist wie mein Versuch, Fußball zu spielen. Ich will hoch von der Ersatzbank meines immer wieder zu trägen Menschseins, ich will raus auf den Platz.

Tage danach

Eigentlich müsste es doch schon längst da sein. Eigentlich müsste es doch schon längst passiert sein. Was genau? Kann ich nicht sagen. Aber manchmal packt mich dieses ungute Gefühl, dass gerade eigentlich etwas anderes dran wäre.

Dass jenes, womit ich gerade beschäftigt bin, nicht das ist, womit ich gerade beschäftigt sein sollte. Ganz ohne Gegenvorschlag. Ohne aufzuhören mit dem, was ich jetzt mache.

Und dann: Tage danach packt es mich. Dann fällt mir etwas ein, was so präzise ist, dass es unmöglich plötzlich in meinen Sinn kommen konnte. Tage danach fällt mir auf, dass ich bereits die ganzen Tage daran gearbeitet habe.

Was für eine Verantwortung!

Wenn ihr euch weiter so streitet, dann rollen hier gleich die Panzer über die Straße!

So hat meine Mutter mir und meinem Bruder einmal aus dem ersten Stockwerk ins Wohnzimmer zugerufen, als wir uns in unserer Kindheit in den Haaren hatten (ich glaube, er hat mir tatsächlich an den Haaren gezogen). „Gleich“, so hatte mein kindliches Ich schon herausgefunden, bedeutete bei meiner Mutter eine Zeitspanne von etwa 15 Minuten. So viel Zeit hatten wir also, um uns zu vertragen, bevor der Krieg auf der Straße ausbrechen und es kein Entkommen mehr für uns geben würde. Vor dem Krieg hatte ich eine Wahnsinnsangst, also schwang ich schnell die weiße Fahne und lugte die nächsten 15 Minuten durch das Wohnzimmerfenster auf die Straße, um sicherzugehen, dass wir uns schnell genug vertragen hatten, um den Krieg zu verhindern, dessen Auslöser wir gewesen wären. Was für eine Verantwortung!

Keine Panzer in Sicht! Puh, da hatten wir ja noch einmal Glück gehabt!

Heute bin ich mir sicher, dass unsere Mutter sich nicht darüber bewusst war, wie genau wir ihre Worte im Ärger in diesem Moment genommen haben. Ich weiß jetzt allerdings auch, was sie mit ihrer radikalen und angsteinflößenden Aussage eigentlich gemeint hat: den Zusammenhang, dass die kleinen Streitereien den Anfang von viel größeren Konflikten bis hin zu gewaltigen und grausamen Kriegen bilden können. Wir sollten lernen, dass man sich auch im Kleinen um den Frieden bemühen muss, um Hass und Gewalt im Größeren schon im Keim zu ersticken.

Als ich älter wurde und die Welt schon etwas besser verstand, erzählte mir meine Oma von den Zeiten des Krieges in Deutschland. Ich sah sie während ihrer Erzählungen als Kind vor mir, wie sie ihre Kleidungsstücke vor dem Schlafen gehen ordentlich auf einen Stuhl legt, um in der Nacht jederzeit schnell hineinspringen zu können, falls es Fliegeralarm geben sollte. Ich bin so froh, dass ich ohne Angst einschlafen darf, dachte ich bei mir und ich hatte Angst vor einem dritten Weltkrieg. Das darf niemals passieren! Was ich dafür tun könnte? Sei du immer die Erste, die Frieden stiftet! Das war die Antwort meiner Oma (man merkt, bei wem meine Mutter ihre Erziehung genossen hat). Damals war mir nicht klar, warum das konkret helfen soll. Schließlich sind es doch die Politiker*innen, die Kriege anfangen oder sie verhindern.

Natürlich, so denke ich heute, kann ich persönlich zum Beispiel nichts gegen die heiklen Provokationen eines Donald Trumps tun aber auch einzelne können und auch ich kann für die Werte, die ihnen und mir wichtig sind, eintreten, z.B. für Frieden und Solidarität. Kennenlernen durfte ich das Engagement zweier Freiwilliger, die u.a. auf der ‚Iuventa‘ und für verschiedene NGOs auf dem Mittelmeer Flüchtlingen das Leben retten. Mit ihrem Tun treten sie für Solidarität, Frieden und andere Werte ein. Sie opfern ihre Zeit, finanzielle Mittel, ihre Mühe und Kraft. Für mich sind sie wahre Held*innen, die Respekt, Hochachtung und Applaus verdienen. Von dem ach so werteverliebten Europa und zuweilen seinen Europäer*innen schlägt ihnen aber kein Dank entgegen, sondern Kriminalisierung und Stigmatisierung. Ihre Rettungsschiffe werden in den Häfen festgehalten, damit dabei hingenommen werden kann, dass zu ‚Abschreckungszwecken‘ (Was ist abschreckender als die Hölle, in die die Heimat der Flüchtenden verwandelt wurde?) das Mittelmeer zu einem Massengrab wird.

Diese Zeit und diese Situation schreien nach uns. Sie und die Beispiele der Lebensretter*innen auf See fordern uns auf, die Ersten zu sein, die diesen Kurs nicht akzeptieren und immer wieder neu die Ersten zu sein, die Frieden und Solidarität eine Stimme geben; ob wir damit im Kleinen anfangen oder ob wir zu den ganz großen Held*innen werden.

Sie sind Quertreiber*innen, die Leben retten und zum Dank dafür kriminalisiert werden. Die Lebensretter*innen schauen in die dankbaren Augen von Männern, Frauen und Kindern und dafür werden ihre Schiffe in den Häfen festgehalten. Für ihre Überzeugungen, für die Solidarität zu den vielfach unerwünschten Menschen gehen sie ein hohes Risiko ein. Sie verschaffen den Werten, die in Europa zuweilen mit Füßen getreten werden eine Stimme, die uns alle, die mich herausfordert, in meinem Umfeld die Erste zu sein, die Frieden stiftet, die solidarisch ist, einen ersten Schritt in eine bessere Zukunft zu tun.

Ich halte dich nicht fest

In dem Moment, in dem ich losgefahren bin, hatte ich schon keine Lust mehr. Vor mir lagen sechs Stunden Autofahrt – drei hin und drei zurück. Es war ein Montagmittag, als ich für eine Besprechung zur Autobahnkirche Baden-Baden aufbrach. Das Treffen klang vielversprechend, das unangefangene Hörbuch (Känguru Offenbarung) machte es erträglich, doch der Regen und das orientierungslose Fahren durch die Pfalz nahmen mir jede Freude. Umso dankbarer war ich, als mich das erste Schild auf die Autobahnkirche hinwies. Da bin ich.

Während der Fahrt und auch schon davor bei der Reiseplanung musste ich immer wieder schmunzeln. Wie verrückt es doch ist: Eine Raststätte als Zielpunkt ins Navi einzugeben. „Was machst du heute so?“ – „Och, ich fahre zu einer Raststätte.“ Ein verrücktes Bild, aber passend zu dem, wie sich die Autobahnkirche Baden-Baden präsentiert: Als Pyramide. Mitte in Baden-Baden. Direkt an der Autobahn. Neben einer kleinen Raststätte, einem Motel und hunderten parkenden LKWs. Eine Pyramide auf einem Sockel.

Drinnen spannt sich ein Zelt auf. Drumherum nur Glasfenster. Jeder Zentimeter ist gesäumt von Symbolen. Nichts hier sagt mir: „So muss es sein.“ Alles sagt mir: „Finde es heraus! Suche! Entdecke!“ Symbole, die auf ein Mehr verweisen – die Richtung vorgeben, nicht die Interpretation liefern. In diesem Raum hätte ich mich verlieren können.

Das Gespräch lief gut und damit auch die Gewissheit, dass ich diesen Ort wohl noch öfter besuchen werde. Zeit für die Rückfahrt.

Es ist schon verrückt eine Raststätte als Reiseziel zu haben, es ist gut zu wissen, dass ich nochmal wiederkomme und es ist beruhigend, dass dieser Ort einfach da ist. Mich nicht festhalten möchte, von mir nichts einfordert. Er ist einfach da und ich werde wiederkommen. Freiwillig.