Fun mit dem Hampelmann Jesus

Christliche Kinderfreizeiten, hach, die sind schon was Tolles. Da haben nicht nur die Kids, sondern auch die Mitarbeiter*innen Fun. Es gibt mindestens zweierlei Arten: Zum einen die, die eine erlebnisreiche gemeinsame Woche beim Zelten verbringen. Und zum anderen die, die dabei noch ein Musikvideo zum „ultimativen Kids-Freizeitsong 2016“ drehen und das anschließend bei Youtube reinstellen, um das Image der Christenheit aufzupolieren. Oder so.

Sommerhit 2016 – Kennst du Jesus? (Zukunft für DICH)

Die einen freut’s wie ein Hampelmann, mich schüttelt’s wie einen Zitteraal. „Ich will mit Jesus geh’n, [..] so hab ich kein Problem!“ und „Du kannst alles von ihm haben, komm und leb‘ in seinem Licht“.

Dass das noch niemand entdeckt hat: Leb‘ als Christ*in und alles ist gut. Keine Probleme, alle Wünsche werden dir erfüllt. (Nicht verraten: Geht mir seit Jahren so, ich erzähl es nur nicht weiter – sonst müsste ich Gott, der mich – zurecht – zum Mittelpunkt des Universums macht, ja mit anderen teilen.) Warum erzählt man Kindern sowas? Warum tut man das? Warum nur? Warum? 

Ein solches Gottesbild setzt mich so sehr unter Strom, dass ich eigentlich meinen Laptop künftig gar nicht mehr aufladen müsste. Der Hampelmann ist in dem Song in Wirklichkeit nicht die Sängerin, auch wenn sie das behauptet („Ich freu mich wie ein Hampelmann, mit dir macht’s einfach Fun!“). Der Hampelmann in der Geschichte ist Jesus: Zieh unten an der Schnur, und er macht genau, was du erwartest. Und verkommt dabei zur völligen Witzfigur.

Bodenhaftung

Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. 2. Mose 3,5b

– der vetrocknete Stoppelrasen meiner Kindheit im Garten meiner Eltern, auf dem ich die ersten Schritte machte

– die Pflastersteine unter der Laterne, unter der wir uns das erste Mal küssten

– die Grashalme im Innenhof der Uni, auf denen wir im Februar picknickten

– der Waschbeton des Balkons in der WG von vorletztem Sommer

– der Waldboden heute morgen beim Laufen

– die Kieselsteine in der Freiluftdusche im Zeltlager, durch die das Wasser direkt zurück in den Fluss geht

– die Küchenfliesen vor dem Herd, auf dem ich jeden Tag ohne Sorgen mein Essen kochen kann

– der Bahnsteig, auf dem ihr gleich ankommt

– die Felsen unterm Gipfelkreuz

– der Bächlekanal an einem warmen Sommerabend

– der Matsch beim Silvesterzelten, der in all den Jahren immer tiefer wurde

– der Teppichboden der Unibib, der flüstert „Tu was!“

– der weiche Sand am Hamburger Elbstrand zu jeder Jahreszeit

– der Sandstein im geliebten Wald

Lass uns mal wieder barfuß laufen, um zu merken, dass wir leben,

und zu spüren, wo wir ihm begegnen können.

Kitschig, romantisch, platt – mag sein.

Lebenswert – dennoch!

Brot zum Geburtstag

Es ist wieder soweit: Die Oma hat Geburtstag!

Schnell noch den Magen dehnen, damit ich mir keine lästigen Nachfragen über mein Essverhalten gefallen lassen muss und mit den Geschwistern überlegen, welche alten und schon tausendmal gehörten Geschichten an diesem Geburtstag wieder aufgetischt werden. Und jedesmal die gleiche Frage: Was schenkt man* der Oma zum Geburtstag?

Eine verdammt schwierige Frage, die sich allen Verwandten Jahr für Jahr stellt. Am Ende läuft es ja meist doch auf einen Blumenstrauß, einen Deko-Artikel oder einen Gutschein für ein Essen mit der Familie hinaus.

Im Nachhinein betrachtet waren wir alle mal wieder sehr einfallslos. Denn das vielleicht schönste Geschenk und damit einen ganz besonderen Geburtstag hat meine Oma von einem älteren Herrn aus dem Nachbarort bekommen: Er schenkte ihr Brot.

Nun mag man gerade in der Eifel, in der es Gott sei Dank noch viele traditionelle Bäckereien gibt, denken: Okay, Brot? Gibt es doch an jeder Ecke!

Doch die Geschichte hinter dem Brot ist etwas Besonderes: Der ältere Herr ist seit kurzem im Ruhestand und hat seine Bäckerei, die er von seinem Vater übernommen hatte, damit auch geschlossen.

Auch hier mag man nun wieder denken: Okay, Bäckereien kommen und gehen.

Aber erst an diesem Geburtstag wurde mir bewusst, was dieses Brot meiner Oma bedeutet hat. So hat sie in ihrem Leben nie ein anderes Brot als aus besagter Bäckerei gegessen. Sie liebte dieses Brot so sehr, dass sie aus lauter Verzweiflung kurzerhand die Kühltruhe ausgeräumt und noch möglichst viel Brot eingefroren hatte.

Und nun hatte der der alte Bäckermeister aus dem Nachbarort für ihren Geburtstag nochmals den Ofen angeworfen und meiner Oma „ihr“ gutes Brot gebacken.

Ich muss zugeben, das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Nicht nur über unsere Wegwerfgesellschaft, diese ganzen Discount-Bäckereien und Aufbackbrötchen (an denen ich mich selbst auch regelmäßig bediene) und die Frage, ob ich eine solche Treue zu einem Geschäft aufbringen könnte, wenn ich doch am liebsten den kürzesten und einfachsten Weg zu einem Supermarkt aufsuche… Geschenkt!

Wirklich ins Grübeln kam ich etwas später, als meine Oma sagte: „De Heerr hätt sich jett jedacht, dat hän sesch ohs im Bruht schenkt.“ (Übersetzung: „Der Herr hat sich etwas gedacht, dass er sich uns im Brot schenkt.“)

Dann tat sie etwas, dass sie seit über 70 Jahren mit jedem Laib Brot machte: Bevor sie ihn anschnitt, segnete sie das Brot in dem sie mit dem Brotmesser ein Kreuz auf die Unterseite des Laibes zeichnete, und verteilte das Brot anschließend an die ganze Familie. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie schön das ist.

Ein letzter Sommertag

Es ist noch dunkel im Zimmer. Der Wecker – zum zweiten Mal – vertröstet. Noch fünf Minuten. Bitte! Ein paar Sonnenstrahlen, die sich zwischen Kleiderschrank und Vorhang durchzwängen, lassen einen heißen Tag erahnen. Ein letzter Sommertag.

Mein Handy klingelt. Papa meint das Display. Papa? frage ich mich. „Papa?“ frage ich in den Hörer. So früh? Naja, acht. „Sitzt du?“ Nein, ich liege noch. Noch fünf Minuten. Bitte! „Es ist was Schreckliches passiert.“ Was Schreckliches? So redest du sonst doch nicht? Dann sagt er einen Namen. Dann etwas Unmögliches. Etwas Undenkbares. Was Schreckliches.

Eine Bekannte meiner Eltern. Eine ihrer Trauzeuginnen. Mehr: eine Freundin der Familie.

Mehr: eine neunundvierzigjährige Mutter einer kleinen Tochter. Neun vielleicht. Neun. Und. Vierzig. Eine Ehefrau. Eine Tochter. Eine Schwester. Eine, die immer fragt. Wie es ist. Wie es geht. Vor drei Wochen hat sie mir noch einen Espresso gekocht. Was Schreckliches.

„Scheiße.“, sage ich in den Hörer. „Scheiße“. Mehr kann ich nicht sagen. Mehr kann ich nicht denken. Und –  eingekocht in ein fünf Buchstaben großes Klischee – die eine Frage, die nicht gestellt werden kann, geschweige denn beantwortet: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Irgendwie kam ich dann doch zum Fenster. Vorhang auf: Ein letzter Sommertag.

Morgens kurz ins Büro. Ging alles irgendwie. Irgendwie normal. Ging alles irgendwie gut.

Für den Nachmittag hatte sich schon länger Besuch angemeldet. Gemeinsames Kochen. Gemeinsames Schwitzen beim Spazieren. Gemeinsamer Blick in die Weite und zwischen alledem immer wieder ein Thema. Was Schreckliches. Und ein Wort. Scheiße.

Meine Ohren klingeln. Zwei Wörter sind zu wenig, ein Wort ist zu viel. Alles, was gesagt wird, und was gesagt werden wird, steht dem Nichts gegenüber, was gesagt werden kann. Gemeinsamer Blick in die Weite. In das blaue weite Nichts. Ein Blick nach oben – wohin ist doch egal, hast du uns das nicht so gesagt? Dass du da bist? – eine Frage nach oben: Warum? Warum jetzt? Warum sie? Warum?

Die Sonne scheint. Keine Wolke. Etwas Wind. Ein letzter Sommertag.

Gegen Abend verabschieden wir uns. „Schön, dass ihr da wart.“ Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart. Und dann, die Tür ist zu, die Klinke noch in meiner Hand, ein Lächeln. Ein Lächeln, irgendwie echter als jedes andere an diesem dann doch irgendwie normalen Tag. Warum? Das wird sich mir nicht erschließen, vermutlich nicht. Aber dass du da bist, habe ich irgendwie verstanden, auch wenn ich auf diese Erfahrung so gut und gerne hätte verzichten können. Scheiße. Schön, dass ihr da wart. Gut, dass ihr da wart.

Weil ich das Lächeln, allein in meiner Wohnung, unpassend finde, höre ich wieder auf damit. Komme wieder zu dem einen Wort zurück, das diesen Tag so schrecklich treffend durchzieht: Scheiße.

Ich bleibe am Kalender hängen. Ein Abreißkalender, dessen Blätter ich in einen kleinen Karton stecke, wenn ihre Tage gezählt sind. Montag. August. Einunddreißig.

Der letzte Sommertag.