Nein, ich lebe genau so, wie ich will!

Ich bin jetzt zusammen mit meinem Zukünftigem im letzten Monat unserer Hochzeitsvorbereitungen. Dazu gehört eben auch, noch einmal den Saal für die Deko zu begutachten und dem Personal der Location die letzten Wünsche mitzuteilen.

„Ein bisschen Efeu würde sich noch gut in den Fensternischen machen.“ „Nein, ein paar Sitzkissen für draußen zieht die Hochzeitsgesellschaft vielleicht viel zu sehr nach draußen.“
„Brauchen wir zusätzliche Kissen für die Rückenlehnen?“ – „Nein, beim Tischgespräch wendet man sich doch eher nach vorne, sodass der Sitzkomfort nicht wirklich beeinträchtigt wird.“

„Wird es die Schwingungen im Raum verändern, wenn wir eine Cocktailbar einrichten anstatt die Cocktails vom Service bringen zu lassen?“
„Nein, ein bisschen Bewegung kann bei den Gästen schließlich nicht schaden und hebt für gewöhnlich die Stimmung. Ich habe gehört, bei körperlicher Aktivität sollen Glückshormone ausgestoßen werden, die beim Gast dann wohl für das beste Wohlbefinden sorgen!“

Froh, Dinge, die wahrscheinlich für den hochzeitlichen Weltuntergang gesorgt hätten, abgewendet zu haben, wendeten wir uns als nächstes den Absprachen mit dem Service zu. „Haben wir eigentlich Schnapsgläser?“ – „Hm, die müssten unbedingt noch besorgt werden.“

Sie müssten aus Glas sein und natürlich zu den ausgesuchten Gläsern und Tellern passen, sonst riskieren wir schließlich einen Aufruhr unter den Gästen.

Plastikgläschen? Nein, die kommen nicht infrage, sind sie doch völlig unangebracht für ein Fest von solchem Rang!

Am Ende unserer Besprechungen erzählte mir unsere Servicekraft, dass sie letztes Wochenende auf einer Hochzeit bedient hat, auf der selbst Burger für die Gäste zubereitet wurden. Gegessen wurde auf schön eingedeckten Bierbänken in einem Park. Deko bot die Natur. Ein Teich und ein paar Bäume.

In dem Gedanken – zumindest fortan – ein unabhängiges und eigenständiges Leben zu führen, beschloss ich auf dem Weg nach draußen: „Doch Plastikschnapsglässchen! Auch wenn ich damit möglicherweise ein öffentliches Ärgernis errege.“

Irgendwann 2017

„2017 wird mein Sterbejahr sein.“

Ich schlucke. Das sitzt. Eine Reaktion auf diesen Satz kostet Zeit.

Also erzählt sie, dass sie einfach nicht mehr könne.
Für ihre 94 sei sie zwar noch einigermaßen fit, doch eben nicht fit genug.
Das sei doch kein Leben mehr.
Und außerdem werde es stetig schlechter. Und anstrengender.

Sie hat es schwer. Womit genau?
Vielleicht mit dem Mensch-Sein so wie es für sie mittlerweile ist.
Vielleicht mit dem Gefühl, nicht mehr wirklich Mensch zu sein.
Oder mit der Angst, durch ihre Pflegebedürftigkeit andere Menschen am Mensch-Sein zu hindern.
Wahrscheinlich spielen all diese Aspekte zusammen und machen ihr das Leben schwer.

Sie sucht nach Erleichterung.
Die hat dann Gott für sie parat, hofft sie.

Wie das wird? Und wie oder was sie dann wird?
Es wird besser, glaubt sie.

Irgendwann 2017.

Haltewunsch

Da ist er also, der Advent, in vollem Gange, fast fertig. Ja, ich weiß – Lebkuchen und Spekulatius warten schon seit Monaten vertrocknend darauf, endlich gekauft zu werden, die Weihnachtsmärkte werden seit zehn Wochen (mindestens!) aufgebaut und überhaupt – man hätte schon merken können, dass er kommt, der Advent.

Hab ich aber nicht. Der November und auch der Dezember waren zu voll dieses Jahr – zu voll mit Veranstaltungen, Terminen und Aufgaben. Und dazu war der November auch kein richtiger, mit seinen Schreckensmeldungen und den dazu so gar nicht passenden Sonnentagen. Eigentlich die stringente Fortführung dieses Jahres. Ich finde, der Dezember mit seinem Advent hätte noch ein paar Tage warten können. Der Welt noch ein bisschen Zeit geben zum Sich-Beruhigen, statt täglich neue Kriegsverbrechen, Anschläge und Menschenhass zu verkünden. Da passt Weihnachten gerade so wenig wie Eis am Stiel.

Und irgendwie passt es halt ja doch wieder. Hilflose Kinder, die versuchen, die Welt wachzurütteln, Junge und Alte, die keine Heimat finden, Unglauben, Wut und Ratlosigkeit angesichts dessen, zu was Menschen fähig sind. Dahinein wird Gott Mensch, vor 2000 Jahren wie heute, und gibt damit das Versprechen, da zu sein.

Mein Kopf kann das alle wunderbar zusammenbringen. Aber entgegen allem Denken wünsche ich mir einfach nur, dass wenigstens an Weihnachten die Welt kurz still steht. Dass Gott nicht nur da ist, sondern einfach mal Frieden macht. Auszeit. Und sich alle, überall, in diesen Frieden verlieben. Utopisch. Ich weiß. Trotzdem.

Wenn die Hoffnung auf diesen Frieden sich nicht zur riesigen Sehnsucht auswächst, was bleibt dann?

Ich will mich nicht besinnen!

„Auszeit im Advent“ /

„Gedanken zum ruhigen Start in den Tag“ /

„Besinnliche Stunden im Advent wünschen Dir…“ /

„Gönn Dir eine beruhigende Tasse Tee zum Durchatmen in all dem Weihnachtsstress!“

Egal ob Plakat an der Uni, Gemeindebrief, Weihnachtskarten oder Werbung. Alle und alles fordert dazu auf, mich hinzusetzen, durchzuatmen, eine Tasse Tee zu trinken, zu warten und mich zu besinnen. Herrlich. Genau das Richtige im Advent. Vorbereitung und so.

Aber ich will mich nicht besinnen. Nicht jetzt. Nicht so. Mein Leben ist gerade so erfüllt, die Zeit so intensiv … an der Uni – viel zu lernen, zu diskutieren, zu entdecken. In der Familie – viel zu besprechen. Im Ehrenamt – viel planen, anzugehen, anzupacken. Manchmal, das gebe ich zu, droht es „zu viel“ zu werden. Aber wird es weniger, wenn ich mich hinsetze, Tee trinke, warte und mich besinne?!

Ja, wir brauchen Rückzugsorte im Leben, Zeiten, in denen wir einfach nur da sind, ohne zu rennen, zu denken, zu machen und zu tun. Die sind nicht nur sinnvoll, sondern lebensnotwendig.

Aber in diesem Jahr tue ich mir schwer mit dieser kollektiven Besinnlichkeit.

Und dazu: Weihnachten, der Beginn eines ganz besonderen Lebens. Der Advent, welcher der Weihnachtszeit vorausgeht, eine ausgewiesene Vorbereitungszeit. Vorbereitung – dazu gehören für mich Denkarbeit, Klärungsarbeit, logistische und organisatorische Aufgaben.

Deshalb breche ich dieses Jahr mit der Besinnung bei Tee und Kerzenschein. Werde lesen, denken, lachen, diskutieren, rennen, brennen, begegnen, mich auch mal ärgern, gestalten und damit meinen Kopf, mein Herz, meine Beine, meine Hände vorbereiten auf das, was kommt.

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Jeden Tag ein neues Törchen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Adventkalenders 2015 zum Thema Aufbruch & Abbruch. Alle weiteren Einträge findest du in unserem Archiv unter Adventskalender 2015.