Die Würde unterhalb der Würde

Neuerdings zähle ich mich ja zu diesen erwachsenen Menschen. Ich habe einen Beruf, ein geregeltes Einkommen, bin verheiratet und überhaupt komme ich mir schon ganz schön weit fortgeschritten auf der „Erwachsenenskala“ vor.

Dazu gehört, dass ich von manchen Dingen Abschied nehme.

Die Risse in der Jeans werden weniger.

Die Zahl der pro Monat verspeisten Tiefkühlpizzen geht zurück.

Die effektiven Arbeitszeiten verschieben sich von der Nacht auf den Tag.

Ich fange an darüber nachzudenken, ob ich im Fußballstadion den Stehplatz nicht gegen den Sitzplatz tauschen sollte.

Bei all dem Erwachsenensein werde ich, wenn ich nicht aufpasse, genau so, wie ich niemals werden wollte.

Nun ist das mit den neuen Jeans, der abwechslungsreicheren Ernährung und den Arbeitszeiten am Tag schon ok.

Nicht ok war für mich ein Erlebnis, das ich vor ein paar Tagen hatte. Ich sollte mit ein paar Kindern Weihnachtsbaumanhänger basteln. Ich bin eigentlich sehr ungeschickt was das Basteln betrifft, weshalb ich es auch nicht gerne mache. Viel mehr schockiert hat mich aber ein Gefühl, das plötzlich in mir aufstieg und das mir sagte: „Das ist jetzt aber unter meiner Würde“. Es passt nicht zu meinem aktuellen Entwicklungsstand auf der „Erwachsenenskala“ mit Kindern gegen meinen Willen Weihnachtsbaumanhänger zu basteln.

Gott sei Dank haben mich die Kinder aber doch dazu gedrängt, auch einen Anhänger zu basteln.

Heute liegt dieser Anhänger in meiner Wohnung und wartet auf den Weihnachtsbaum, an den er gehängt werden kann.

Und jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, freue ich mich. Nicht nur darüber, einen selbstgebastelten Weihnachtsbaumanhänger zu haben, sondern Kinder kennengelernt zu haben, die mir geholfen haben zu basteln und etwas Wichtiges gezeigt haben. Da, wo ich auf meiner „Erwachsenenskala“ ein paar Schritte zurückgegangen bin und die von mehr selbst so schrecklich falsch gedachte Würde hinter mir gelassen habe, habe ich etwas entdeckt: Freude, Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt, Ehrlichkeit und Offenheit statt Verschlossenheit und Egoismus. Ich habe die Würde unterhalb der „Würde“ entdeckt. Danke!

Liebe Langeweile,

Ich werde das bestimmt nicht nochmal schreiben, also pass gut auf und bewahr dir diesen Brief auf. Ich sag’s bestimmt nicht wieder, aber für jetzt gilt: Liebe Langeweile, ich vermisse dich ab und an.

Bild dir nichts drauf ein. Es ist sicher keine Liebe, aber ganz ohne dich ist irgendwie auch so stressig. Gefangen zwischen dem Getriebe von Alltag und Routine ist es doch eher anstrengend. Nicht so wie bei dir. Auf der Couch. Vor Netflix. Vor sehr, sehr viel Netflix. Was waren das noch für Zeiten, als ich FRIENDS in ein paar Monaten durchgeschaut habe.

Liebe Langeweile, du hast mich zu geistigem Leerlauf genötigt. Zeiten, in denen ich nichts wusste mit mir anzufangen, statt wie jetzt (theoretisch) durchgetaktet in den Tag zu starten.

Und wenn der Lärm um mich herum mal aufhört, so höre ich es doch noch eine Weile im Kopf weiterarbeiten.

Liebe Langeweile, wenn du mal wieder Langeweile hast, wäre das voll okay für mich, wenn du mal wieder vorbeikommst.

Es wird gut?

Egal was kommt, es wird gut, sowiesoImmer geht ’ne neue Tür auf, irgendwoAuch wenn’s grad nicht so läuft, wie gewohntEgal, es wird gut, sowieso Das Lied von Mark Forster hat mich in diesem Jahr auf der Ferienfreizeit begleitet.Wie gerne würde einfach dem letzten Satz glauben.Nein, es läuft gerade gar nicht wie gewohnt. Vor einer Woche … Weiterlesen …

Nein, ich lebe genau so, wie ich will!

Ich bin jetzt zusammen mit meinem Zukünftigem im letzten Monat unserer Hochzeitsvorbereitungen. Dazu gehört eben auch, noch einmal den Saal für die Deko zu begutachten und dem Personal der Location die letzten Wünsche mitzuteilen.

„Ein bisschen Efeu würde sich noch gut in den Fensternischen machen.“ „Nein, ein paar Sitzkissen für draußen zieht die Hochzeitsgesellschaft vielleicht viel zu sehr nach draußen.“
„Brauchen wir zusätzliche Kissen für die Rückenlehnen?“ – „Nein, beim Tischgespräch wendet man sich doch eher nach vorne, sodass der Sitzkomfort nicht wirklich beeinträchtigt wird.“

„Wird es die Schwingungen im Raum verändern, wenn wir eine Cocktailbar einrichten anstatt die Cocktails vom Service bringen zu lassen?“
„Nein, ein bisschen Bewegung kann bei den Gästen schließlich nicht schaden und hebt für gewöhnlich die Stimmung. Ich habe gehört, bei körperlicher Aktivität sollen Glückshormone ausgestoßen werden, die beim Gast dann wohl für das beste Wohlbefinden sorgen!“

Froh, Dinge, die wahrscheinlich für den hochzeitlichen Weltuntergang gesorgt hätten, abgewendet zu haben, wendeten wir uns als nächstes den Absprachen mit dem Service zu. „Haben wir eigentlich Schnapsgläser?“ – „Hm, die müssten unbedingt noch besorgt werden.“

Sie müssten aus Glas sein und natürlich zu den ausgesuchten Gläsern und Tellern passen, sonst riskieren wir schließlich einen Aufruhr unter den Gästen.

Plastikgläschen? Nein, die kommen nicht infrage, sind sie doch völlig unangebracht für ein Fest von solchem Rang!

Am Ende unserer Besprechungen erzählte mir unsere Servicekraft, dass sie letztes Wochenende auf einer Hochzeit bedient hat, auf der selbst Burger für die Gäste zubereitet wurden. Gegessen wurde auf schön eingedeckten Bierbänken in einem Park. Deko bot die Natur. Ein Teich und ein paar Bäume.

In dem Gedanken – zumindest fortan – ein unabhängiges und eigenständiges Leben zu führen, beschloss ich auf dem Weg nach draußen: „Doch Plastikschnapsglässchen! Auch wenn ich damit möglicherweise ein öffentliches Ärgernis errege.“

Umzugsweisheiten

Ein Buch, in das ich Jahre nicht mehr reingeschaut habe.

Ein Bilderrahmen, der seinen Platz auf dem Kleiderschrank gefunden hat und erstmal abgestaubt werden musste, damit das gerahmte Bild überhaupt zu erkennen war.

Eine alte Tasse, aus der ich eigentlich noch nie getrunken habe.

Eine Urlaubspostkarte von einer Freundin aus Schulzeiten, von der ich mittlerweile nicht mal mehr weiß, in welcher Stadt sie lebt.

Ein Kugelschreiber aus einem Urlaub, der seit Jahren nicht mehr schreibt, aber dennoch seinen Platz auf meinem Schreibtisch hat.

Ein T-Shirt, das an meinen Abiturjahrgang erinnert, das ich nach fünf Jahren Studium und Mensa aber maximal noch bauchfrei tragen könnte.

All diese und viele weitere Dinge habe ich in meiner Wohnung gefunden.

All diese und viele weitere Dinge habe ich im Grunde jeden Tag angesehen, rumgeräumt, bei Seite geschoben und dann doch wieder hervorgeholt. Ich habe all diese und viele weitere Dinge nie weggeworfen. Ich habe immer geglaubt, all diese und viele weitere Dinge gehören halt irgendwie dazu.

Nun stand ein Umzug an.

Ich lebe jetzt in einer neuen Wohnung. Ohne das Buch, in das ich Jahre nicht mehr reingeschaut habe; ohne den Bilderrahmen, die alte Tasse und die Urlaubspostkarte. Auch ohne den Kugelschreiber. Das Abi-Shirt liegt bereit für die nächste Altkleidersammlung.

Verrückt, aber ich fühle mich wunderbar und heimisch wie nie in der neuen Wohnung.

All diese und viele weitere Dinge habe ich eigentlich nicht mehr gebraucht.

Vielleicht sollte ich einfach öfter mal umziehen und Dinge auf den Prüfstand stellen.

Einfach mal öfter Abschied nehmen und Platz für Neues schaffen.

Unterbrich mich

Wenn ich jetzt schon weiß, was nachher kommt und der nächste Schritt dem ersten folgt.

Unterbrich mich.

Wenn ich dir heute sagen kann, was morgen passiert, welches Wetter wird und wohin ich geh.

Unterbrich mich.

Unterbrich mich. Halte mich an. Zieh mich aus dem Kreis. Gib mir für einen kleinen Moment das Gefühl, nicht weiter zu müssen. Stehen bleiben zu können.

Unterbrich mich. In meinen Gedanken. Wenn der eine dem nächsten folgt und sie sich immer weiter aufbauschen.

Unterbrich mich.

Und danach lass mich wieder frei.

Zwischen

Zwischen ist so ein schönes Wort. Denn es beschreibt Übergänge, die mein Leben ausmachen. Das Studium gleitet in den Beruf über. Ein Zustand, den ich durchaus schätzen gelernt habe. Der aber an Tagen, die ich in den Räumen verbringe, die sieben Jahre lang mein Zuhause waren, Wellen der Nostalgie und des Selbstmitleides auslöst. Inzwischen verändert sich auch dieser Raum, wird umgebaut, und scheint sich damit dem gesamten Prozess, den man so als Uni-nach-7-Jahren-Beenderin durchmacht, anzupassen.

Eine Übergangsphase, ein Umbau, unfertig. Zwischen alt und neu, zwischen Vergangenheit und Zukunft (wenn man das so episch sagen will). Ich überlege, ob es nicht immer nur ein Dazwischen gibt, ob dieser Mythos vom „Ankommen“ nicht völliger Quatsch ist. Immer kommt etwas Neues auf uns zu, immer liegt etwas anderes hinter uns, der Horizont (schon wieder so ein episches Wort) zieht.

Es gibt Tage, da fällt das weniger auf, da erscheint mir das natürlich und selbstverständlich, immer auf was Neues zu schielen, mich auf Dinge vorzubereiten und die dann hinter mir zu lassen.

An anderen Tagen (heute ist so einer) ist das Dazwischen schwer zu ertragen. Wo bin ich denn zu Hause? Wo will ich eigentlich hin? Warum liegen so viele Sachen schon hinter mir? Warum bin ich nie zufrieden mit dem, was gerade ist?

Dazwischen. Im Alten Testament bedeutet Gottes Name „Ich bin da.“ Und dass „da“ überall und nirgendwo ist,  zeigt er immer wieder ziemlich eindrucksvoll im „Zwischen“. In den Zweigen des Dornbusches, der Feuer fängt, bei den Jüngern, die nachdem Jesus gestorben war, kopflos durch die Gegend liefen. Und gerade ja auch zwischen den Zeiten, irgendwo zwischen Damals – Jetzt – Ewigkeit.

Deshalb: Gott, auf ein Wort im Zwischen.

Mehr zwischen gibt’s unter http://netzgemeinde-dazwischen.de/

Von Zeit zu Zeit Chaos

Es könnte so einfach sein mit diesen Deadlines, diesen Abgabeterminen, diesen unerwartet auftauchenden Fristen, die ich dann doch immer wieder mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen muss. Wie bei diesem Text hier: In paar Minuten soll er online gehen. Und ich? Ich hatte bis gestern noch nicht einmal eine Idee, worüber ich schreibe. Es könnte so einfach sein, denn Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.“

Also rein theoretisch hätte ich immer genügend Zeit für meine Sachen. Theoretisch hätte ich aber auch das Latinum besser als mit ausreichend bestehen können. Es ist dann doch immer wieder die Praxis, die mir aufzeigt, dass scheinbar alles unter dem Himmel seine Zeit hat, aber die Anzahl der Stunden und wie ich sie nutze dann doch in meiner Verantwortung bleibt.

Denn auch wenn alles eine Stunde hat, so lasse ich mich oft dazu verleiten, die Stunden der Sachen parallel zu legen. So kommt es von Zeit zu Zeit zum Chaos; aber auch das hat seine Zeit.