Niemand verdient es, zu verschwinden

No one deserves to disappear – niemand verdient es, zu verschwinden.

Ich habe mal wieder einen Ohrwurm. So einen richtigen. Einen, der so massv ist, dass ich ihn der Beerschen Ohrwurmkategorisierung nach als „existentiell“ bezeichne.

Aber der Reihe nach. Dass mir das Theater mein Leben erklärt, hab ich schon mal angesprochen. Hier ist wieder so ein Fall: „Dear Evan Hansen“.

Zum Inhalt nur so viel: Was würdest du sagen, wenn ein Jugendlicher, der eher der Außenseiter an seiner Schule ist, nach dem Suizid eines Mitschülers ein großes Missverständnis nutzt, das er jederzeit richtig stellen könnte, um endlich mehr Aufmerksamkeit zu bekommen – von der Schulgemeinschaft; von seiner und der Familie des Verstorbenen; von dem Mädchen, auf das er steht?

Wie dem auch sei, eine der Grundaussagen des Stücks ist, dass es niemand verdient, vergessen und übersehen zu werden. Und das bringt mich zum Nachdenken.

Wen vergesse ich? Wen schiebe ich aus meinem Blickfeld? Absichtlich, unabsichtlich?

Wen würde ich vermissen, wenn sie*er morgen nicht mehr da wäre? Und andersrum: Wer würde bemerken, wenn ich morgen verschwunden wäre?

Ja, stimmt schon. Viel zu schnell verschwinden Menschen aus meinem Blickfeld. Weil ich es nicht auf die Reihe bekomme, Kontakt zu halten oder weil ich bewusst auf Kontakt verzichte oder… Die anderen im Blick behalten, niemanden vergessen, niemanden in der Sprachlosigkeit verschwinden zu lassen, das würde ich mir gern auf die Fahne schreiben. Ein ziemlicher Brocken.

Niemand verdient es, zu verschwinden. Vielleicht ist das ja ein Aspekt dieser zum Allgemeinplatz – um nicht „Phrase“ zu sagen – gewordenen unantastbaren Würde eines jeden Menschen. Zumindest ist es ein Anspruch, der mich darüber nachdenken lässt, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe. Ein Anspruch, der mich wach halten kann.

No one deserves to disappear – niemand verdient es, zu verschwinden. Hoffentlich mehr als ein Ohrwurm.