Augen auf – Der Wecker klingelt, 7 Uhr.
Fenster auf: Novemberwetter.
Ich gehe aus dem Haus. Ich bin gewappnet.
Mit meinem neuen besten Freund:
Dem Regenschirm.
Mit ihm versuche ich mich zu schützen.
Vor der Nässe. Vor der Welt. Vorm November.
Im November läuft alles auf Sparflamme.
Die Heizungen. Aus Kostengründen.
Auf Sparflamme auch meine Motivation.
Im Studium. Im Freundeskreis. Im Leben.
Nur die Regenwolken scheinen von Sparflamme noch nichts gehört zu haben.
Schade drum.
Ich hasse den November. Jetzt ist es raus.
Ich hasse diesen toten Monat.
Da ist der Weinstand am Hauptmarkt nicht mehr und der Weihnachtsmarkt noch nicht offen.
Ich hasse den November und das merkt man auch.
Im November bin ich kein guter Mensch.
Im November brauch ich euch noch viel mehr.
Ihr Sonnenmenschen.
Ihr Wolkenbrecher*innen.
Ich brauche euch zum Aufrechtgehen. Zum Kopf Ausschalten.
Ihr dreht meine Sparflamme auf und haltet den Regenschirm für mich.
Dann kann ich ich sein – und vielleicht doch ein bisschen mehr so wie du.
Monat: November 2015
Küchenparty
Jede*r weiß, die besten Partys enden in der Küche. Dann, wenn man sich eigentlich nur noch kurz verabschieden will. Um dann Hals über Kopf in ein Gespräch einzutauchen, aus dem einen erst das Blubbern der Kaffeemaschine reißt. Diese Stunden sind es, die im Gedächtnis bleiben und das Gefühl geben, die letzten Stunden endlich mal wieder herrlich lebendig gewesen zu sein.
Irgendwie so ist es doch auch mit den letzten (und inzwischen allerletzten) Sonnentagen im Herbst. Getanzt und gefeiert wird im Feld, zwischen Weinstöcken und Kastanienbäumen. Dann die Schritte in die Küche, um nur noch schnell das letzte Glas Wein zu trinken. Mit dabei, auch eigentlich nur, um sich fix vom Sommer zu verabschieden: Kürbis, Zucchini, Quitten, Peperoni, Birnen, Trauben, und vieles mehr. Wichtigste Partyaccessoires: Einmachgläser, Topf und Kochlöffel.
Und dann füllen wir noch die letzten Gläser, heben sie auf die wunderbare Sommer-Herbst-Zeit und reden. Oder schweigen. Und bleiben doch irgendwie noch länger als gedacht.
Gedankenkette
Eigentlich hätte an dieser Stelle der letzte Herbstpost für dieses Jahr stehen sollen – ein Artikel zum Thema Lebensfreude, Schöpfungswunder und Sonnenschein
Aber nach den Anschlägen in Paris erschien mir das seltsam, zu tun als wäre nichts passiert. Auch wenn der Alltag einfach so weiter zu gehen scheint. Zu viele Gedanken bilden lange Ketten in meinem Kopf …
Schrecklich – unvorstellbar –Guter Gott, warum? – Was wird aus dieser Welt? – Zu was sind Menschen fähig? – Was habe ich doch ein behütetes Leben hier im heilen Europa, dass mich dieser Freitag so aus dem Konzept bringt? – Was bleibt von Europa, wenn seine Bürger*innen fordern, die Grenzen zu kontrollieren? – Alltag, das heißt in Aleppo genau das, was uns an den Bildern von Freitagnacht so schockiert – Freitagnacht, da saßen wir mit der Familie um einen großen Tisch und ich habe mich über Kleinigkeiten aufgeregt – Unbegreiflich – Und was ist mit all denen, denen in den kommenden Tagen womöglich noch eine größere Welle Hass entgegenschlägt als bisher? – Die aus den Gebieten kommen, wo der Black Friday zwischen zwei anderen Schreckensmeldungen verlesen würde? – Wer wird sich neben sie stellen in der nächsten Zeit? – Wie wird die Zukunft unserer Welt aussehen?
Gedanken, die unbeantwortet bleiben, die im Licht der Kerzen schimmern, die weltweit real und virtuell brennen als Zeichen für Hoffnung und Solidarität. Nicht nur mit Paris, sondern mit der gesamten Welt. Der Welt, deren Erhaltung uns aufgetragen und anvertraut wurde.
Du bist die Mauer?!
Mein Geburtstag ist der 1. April 1990. Die DDR existierte noch.
Der Mauerfall lag etwa fünf Monate zurück.
Zwei Wochen vor meinem Geburtstag finden die ersten und zugleich die letzten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR statt.
Die Wiedervereinigung ist im vollen Gange.
Die DDR oder besser gesagt das, was davon übrig geblieben ist, kenne ich nur von diversen Berlin-Besuchen, Zeitzeugenberichten und aus den Medien.
Ich habe diese Nacht nicht miterlebt. Nicht als Zuschauer am Fernsehen und schon gar nicht vor Ort in Berlin.
Und doch bereitet es mir immer wieder Gänsehaut,
wenn ich die Bilder jener Nacht sehe.
Menschenmassen an den Grenzübergängen in Berlin. Jubel. Tränen.
Endlose Freude über das, was da geschieht.
Der Mauerfall wurde erst durch die Menschenmassen auf den Straßen möglich.
Die Bürger*innen der DDR wollten nicht länger eingesperrt sein, nicht länger gesagt bekommen, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Durch die Mauer war ein ganzes Land sichtbar getrennt.
Familien wurden auseinandergerissen.
In der Nacht des Mauerfalls haben sich Emotionen und Hoffnungen auf den Straßen gesammelt und haben mit dafür gesorgt, dass die Mauer eingerissen wurde.
Doch wie sieht es heute aus? Die Mauer als Bauwerk ist, bis auf kleine Restteile, verschwunden.
Deutschland ist seit 25 Jahren wiedervereinigt.
Bei einem Berlin-Besuch im Sommer 2013 besuchte ich die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße und stolperte regelrecht über einen Stein, der mich heute noch zum Nachdenken bringt. Ich habe keine Ahnung, ob er zur Ausstellung gehört, oder ob ihn jemand einfach dahin gelegt hat.
Seine Aufschrift: DU BIST DIE MAUER
Was hat das zu bedeuten?
Ich entdecke bei mir immer wieder Mauern in meinem Kopf, bei denen es auch an der Zeit wäre sie einzureißen.
Mein oftmals enger Blick, meine Zweifel, Vorurteile, schlechte Angewohnheiten…
Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Als ich die Inschrift auf dem Stein das erste Mal gelesen habe, kam ich mir irgendwie überführt und erwischt vor.
Was hat das zu bedeuten?
Mauern einreißen. Das geht nur dann, wenn ich bei mir anfange und meine Mauern einreiße. Mauern aus Angst. Mauern aus Gewohnheit.
Jede*r hat Mauern in ihrem*seinem Leben.
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Vor 26 Jahren.
Ein Anfang. Doch es darf niemals aufhören damit.
Mauern müssen immer wieder eingerissen werden.
Mauern aus Gewalt, Vorurteilen und Pessimismus.
Mauern aus Desinteresse und Wegschauen.
Mauern im Alltag.
Du bist die Mauer. Du bestimmst, ob sie fällt.
Von Sonnenblumen und Kratzern
Ich sitze in meinem kleinen grauen Auto und bin auf dem Weg zu meiner Oma. Es ist schon eine gefühlte Ewigkeit her, dass ich sie besucht habe, es ist ja auch ein langer Weg bis zu ihr.
Der Innenraum meines Autos wird endlich langsam warm. Es ist noch sehr früh am Morgen, die Sonne erwacht nur träge aus ihrem Schlaf. Meine Oma hat – typisch Großeltern – das Essen immer pünktlich um 12.00 Uhr auf dem Tisch stehen, deshalb bin ich schon so früh unterwegs.
Plötzlich fällt mir ein: Ich hab vergessen eine Kleinigkeit als Mitbringsel zu besorgen. So ein Mist!
Der kleine Stoff-Wal – Willy heißt er –, der an meinem Spiegel hängt und mich schon mein ganzes Autofahrleben begleitet, sieht mich vorwurfsvoll an. Nicht nur wegen des vergessenen Mitbringsels, sondern auch wegen meiner schlechten Laune. Ja es ist so, ich habe keine Lust auf diesen Tag!
Gerade möchte ich mich vor Willy für meine fehlende Motivation rechtfertigen („Es ist kalt, es ist früh, ich bin müde, die Landstraße hat lauter Schlaglöcher, ich war nicht immer die beste Enkelin für meine Oma…“), da lächeln mich auf einmal tausend freundliche Sonnenblumengesichter von einem Acker aus an. Die Sonne geht gerade hinter dem Sonnenblumenfeld auf, ein tolles goldfarbenes Bild. Genau das ist es, was ich meiner Oma als Geschenk mitbringen möchte.
Ich setze den Blinker und biege in einen kleinen Feldweg ein. Natürlich ist er feucht und schlammig, mein Auto seufzt, ergibt sich aber geduldig seinem Schicksal. Irgendwo in den Tiefen meines Handschuhfaches finde ich ein Taschenmesser und erinnere mich, dass ich als Kind oft mit meiner Oma in den Wald gegangen bin und Stöcke zu Wanderstöcken geschnitzt habe. Eine schöne Erinnerung. Das war noch, bevor es zwischen uns schwierig wurde…
Als ich die Tür öffne, kommt mir die herbstlich frische, kalte Morgenluft entgegen und meine Müdigkeit verfliegt. Ich marschiere querfeldein über die von Morgentau bedeckte Wiese, um auf den Sonnenblumenacker zu gelangen. Die Sonnenblumen begrüßen mich freundlich, indem sie mit ihren großen grünen, vom Wind getragenen, Blättern winken. Eine von ihnen lacht besonders herzlich. Genau die ist es, die kommt mit!
Auf dem Rückweg zum Auto scheinen mir die ersten Sonnenstrahlen auf den Rücken. Es fühlt sich wie eine warme Umarmung an. Ich fühle mich gut.
Wieder im Auto angekommen ärgere ich mich. An meinen Schuhen kleben nasses Gras und Matsch vom Acker. Und ein großer Kratzer! Das auch noch, dabei sind die Schuhe erst neu. Was für ein blöder Einfall anzuhalten, das war es nicht wert!
Über eine Stunde später stehe ich mit dreckigen und zerkratzten Schuhen vor der Haustür meiner Oma, in der rechten Hand die Sonnenblume, die mein zaghaftes Lächeln mit ihrem bei Weitem überstrahlt. Ich bin immer noch sauer über die Spontanaktion.
Meine Oma öffnet die Tür und strahlt mit der Blume um die Wette: Ich freue mich so sehr, dich zu sehen. Was für eine schöne Sonnenblume, die stell ich mir direkt auf den Tisch und wenn ich sie sehe, dann denke ich an dich!
Dann drückt sie mich. Die Umarmung fühlt sich genauso warm und sonnig an, wie heute Morgen auf dem Feld. Das war es doch wert!, denke ich mir, während ich auf den Kratzer schaue und mich endlich vom Lächeln der Sonnenblume anstecken lasse.