Das Gleichnis der Zeitungsrolle

Wenn man zehn Monate verheiratet ist, dann häufen sich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis die vorsichtigen Fragen, wie es denn mit dem Thema Schwangerschaft aussieht. Nun gibt es tatsächlich neues Leben bei uns Zuhause zu verkünden, wenn auch nicht unbedingt so, wie vielleicht gerade erwartet wird.

In unserer Zeitungsrolle hat sich ein Rotschwanz ein Nest gebaut, fünf Junge sind geschlüpft und sorgen tagtäglich beim Ein- und Ausgehen für eine laute Begrüßung.

Hemmungslos schreien sie alle vorbeigehenden Hausbewohner*innen an, ohne Rücksicht auf morgendliche Müdigkeit, Telefonate oder Gespräche.

Auch so mancher Besuch hat sich schon erschreckt. Nicht nur der Lautstärke wegen, auch fliegt der Rotschwanz gerne mal haarscharf an Besucher*innen vorbei, die an der Haustür warten, gezielt in die Zeitungsrolle.

Mittlerweile ist unsere Zeitungsrolle eine kleine Attraktion geworden. Kinder aus der ganzen Nachbarschaft schauen regelmäßig in die Rolle und begutachten, wie groß die Vögel denn heute schon geworden sind. Ein Kind stellte dabei gestern mit großer Irritation fest: „Die machen ja gar nichts! Die sitzen einfach nur da, schreien ‚rum und bekommen ständig Essen gebracht!“

Eine ältere Frau, vielleicht die Oma, fragte: „Ja, und?“

Darauf wieder das Kind: „Die tun so als wären sie Könige! Aber es sind doch nur Baby-Vögel!“

Darauf erklärte die Oma: „Ach weißt du, die Vögel sind klein und schwach. Sie können noch nichts anderes als schreien und essen. Bald lernen sie fliegen, und bis dahin werden sie gefüttert und versorgt. Ihre Mama liebt sie und tut alles für sie. Für die Vogel-Mama sind die Kleinen richtige Könige, einfach nur weil es sie gibt“

„Einfach nur, weil es sie gibt?“

„Einfach nur, weil es sie gibt!“

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